304
Die Gleichheit
Mädchen ab und zu auch ein Aufmarsch in Soldatenuniform mit patriotischem Fahnenschwenken zu sehen ist und in den Couplets neben der sexuellen Zweideutigkeit auch die chauvinistische Selbst= verherrlichung einen Platz bekommt. Das Widerlichste an dem ganzen Betrieb des Bühnenkapitalismus ist die Heuchelei, womit die Polizei ab und zu irgendeine Künstlerin herausgreift und im Namen der Moral abstrafen läßt. So ist erst unlängst eine auch in Deutschland bekannte Nackttänzerin in Paris wegen Verlegung der öffentlichen Schamhaftigkeit zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Sie hatte eine Vorstellung vor geladenem Publikum gegeben. O. P.
Verschiedenes.
Zwei Urteile. Jm Dsten des Deutschen Reiches standen kürzlich zwei Mörderinnen vor den Geschworenen. Die eine war die Frau eines Akademikers, die andere eine unverehelichte Arbeiterin. So verschieden die gesellschaftliche Stellung der beiden ist, so verschieden sind auch die Urteile, die bürgerliche Geschworene gefällt haben. Im ersten Falle handelt es sich um die Gattin des Dr. Blume Posen. Sie war angeklagt, ihren Ghemann vorsätzlich und mit überlegung ermordet zu haben. Dieser war eines Tages erschossen aufgefunden worden. Anfänglich nahm man an, daß ein Selbstmord vorliege, schließlich aber geriet die eigene Gattin in den Verdacht, ihren Mann meuchlings ermordet zu haben. Der Verdacht stellte sich als wahr heraus. Frau Eva Blume war nämlich von ihrem Gatten mit einem Liebhaber überrascht worden. Dr. Blume wollte sich daraufhin von seiner Frau scheiden lassen. Diese beschloß nun, offenbar aus Furcht vor einem Skandal, den Gatten aus dem Wege zu räumen. Sie faufte einen Revolver, und als das Ehepaar eines Abends auf einer Bant saß, erschoß die Frau ihren ahnungslosen Mann von rüdwärts. Sie wurde bald in Untersuchungshaft genommen und von Ärzten auf ihren Gesundheitszustand untersucht. Es zeigte sich, daß sie nicht in einem Zustand geistiger Störung gehandelt hatte, und so kam sie in Posen auf die Anklagebank. Die Öffentlichkeit wurde für die ganze Dauer der Hauptverhandlung streng ausgeschlossen! Das Urteil lautete nicht auf Mord, sondern nur auf Totschlag unter Bubilligung mildernder Um= stände. Der Gerichtshof erkannte auf eine Strafe von vier Jahren Gefängnis. Es hieß in den bürgerlichen Zeitungen, das milde Urteil hätte in Posen allgemein überrascht. Bürgerliche Geschworene, meist Gutsbesitzer, hatten es über die Angeklagte ge= fällt, die aus reicher Familie stammt. Es wurde weiter mitgeteilt, aus der langen Verhandlung wäre so viel bekannt geworden, daß das Sexualleben der Angeklagten ein ganz ungeheuerliches gewesen sei. Ein ärztlicher Sachverständiger habe deshalb die Auffassung gewonnen, daß Frau Blume zwar eine geistig hoch= stehende Person sei, daß aber bei ihr in gewisser Beziehung ein Defekt vorhanden sein müßte, der nach einer Entscheidung des Reichsgerichts den Strafausschließungsgründen des§ 51 des Straf gesetzbuchs zuzurechnen sei. Also eine Dame, deren Geschlechtstrieb außerordentlich stark ist, hat einen" Defekt" und kann daher für bas Verbrechen, das sie begangen hat, nicht bestraft werden, wenngleich sie geistig sehr hoch" steht. Hätten sich die anderen Sachverständigen diesem Gutachten angeschlossen, das über Proletarierinnen wohl nie abgegeben wird, so wäre Frau Eva Blume freigesprochen worden. Nun muß sie einige Jahre im Gefängnis bleiben, wo man ihr sicher alle Erleichterungen gewährt, die Gesetz und Vorschrift und ärztliche Verordnung zulassen. Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden der Mörderin nicht aberkannt.
Das zweite Urteil! In Insterburg stand die 27 Jahre alte Arbeiterin Klima wegen Mordes vor den Geschworenen. Auch in diesem Falle setzten sich diese zum größten Teil aus Gutsbefizern zusammen. Die Arbeiterin stand unter der Anklage, ihr 1½ Jahre altes Kind vorsätzlich und mit überlegung getötet zu haben. Sie war Mutter zweier unehelicher Kinder. In Ostpreußen hatte sie Jahre hindurch bei Gutsbefizern gearbeitet. Für das erste uneheliche Kind mußte sie monatlich 13 Mt. Pflegegeld zahlen. Der Vater des zweiten unehelichen Kindes, ein Gutsbesizer, fand sie mit 100 Mt. ab. Die Klima hatte den Betrag auf die Sparkasse getragen und das Sparkassenbuch der Pflegefrau des Kindes ausgehändigt. Da forderte die Pflegemutter des ersten Kindes statt 13 Mt. Monatsgeld 15 Mt. Klima nahm darauf das Kind aus der Pflege, um es anderswo unterzubringen. Sie fuhr nach Königsberg und wollte es hier dem Ashl übergeben, doch es wurde ihr gesagt, ohne Bescheinigung des Gemeindevorstehers ihres Wohnortes könne sie das Kind nicht im Asyl unterbringen. Darauf fuhr die Arbeiterin wieder zurüd. Der Bug raste durch einen großen Wald, und die uneheliche Mutter
Nr. 19
tam auf den Gedanken, auszusteigen und das Kind im Walde auszusehen. Sie verließ auf der nächsten Station den Zug, irrte im Walde umher und dachte fortgesetzt nach, wie sie ihren kleinen Knaben los werden könne. Sie sagt sich, wenn sie ihn liegen lasse, werde er schreien, endlich kam sie auf den unseligen Gedanken, das Kind zu töten. Da sie kein Blut sehen konnte, erwürgte sie den Knaben mit einem Halstuch, ließ die Leiche im Walde liegen und fuhr nach Duisburg , wo sie bald verhaftet wurde. In der Hauptverhandlung hielt der Staatsanwalt die Anklage wegen Mordes aufrecht. Die Geschworenen folgten jedoch der Anklage nicht, denn sonst hätte die Arbeiterin zum Tode verurteilt werden müssen. Sie erkannten auf schuldig wegen Totschlags, versagten aber der Angeklagten die mildernden Umstände. Das Gericht verurteilte sie zu 15 Jahren Zuchthaus und sprach ihr auf 10 Jahre die bürgerlichen Ehrenrechte ab. Dieses Urteil kommt einem Todesurteil gleich. Man vergleiche nun die beiden Urteile! Hier die geistig hochstehende" Frau Doktor, deren Sexualleben ein ganz ungeheuerliches" war und die ihren Mann meuchlings ermordete, um ihn als unbequemen Störenfried ihres außerehelichen Liebeslebens los zu werden. Sie fühnt ihre Tat mit vier Jahren Gefängnis. Ihr Verbrechen wird nicht als ehrlos angesehen, da das Gericht sie im Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte gelassen hat. Da die arme Landarbeiterin, die für zwei Kinder zu sorgen hat. Das geht über ihre Kraft. Sie weiß, daß sie dafür nicht genügend verdienen kann. Mit ihrem 12 Jahre alten Knäblein irrt sie umher, um es irgendwo unterzubringen. In einem unglückseligen Augenblick wird aus Not und Sorge der entsetzliche Gedanke geboren, das Kind zu töten. War diese Mutter unter diesen Umständen auch ganz zurechnungsfähig? Konnte sie es sein? Und doch werden der Beklagenswerten keine mildernden Umstände zugebilligt, fie muß auf 15 Jahre ins Zuchthaus. Ihr Leben ist vernichtet und das zweite Kind ist der Mutter beraubt. Im Falle Blume ist eine ganze Reihe von Tagen verhandelt worden, im zweiten Falle wo es um das Schicksal einer armen Arbeiterin ging nur einen ein= zigen Tag. Dem Fürsten Eulenburg wurden seinerzeit mehrere Tage Frist gewährt, um sich allein über sein Vorleben, seine Neigungen für die Kunst usw. zu äußern. In einer Viertelstunde entschieden die Geschworenen über das Schicksal der Landarbeiterin. In dieser kurzen Spanne Zeit entschieden sie, daß der Angeklagten die mildernden Umstände zu versagen seien. Hätten sie ihr solche zugesprochen, so wäre die höchste Strafe 5 Jahre Gefängnis gewesen. Spricht man angesichts solcher Urteile von Klassenjustiz, so entrüsten sich die Anwälte der bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Und doch zeigen sie zum Greifen deutlich, wie verhängnisvoll die einseitige Besehung der Geschworenenbank wirkt. In Ostelbien sind meist die Herren Agrarier dazu berufen, über schwere Vergehen zu urteilen. Arbeiter werden hier fast nirgends zu Geschworenen gewählt. Und daß Frauen als Geschworene fungieren, gestattet das Gesetz nicht. Solange dieser Stand der Dinge dauert, werden auch Urteile gefällt werden, gegen die sich unser Gerechtigkeitsempfinden auflehnt. Daher müssen wir unablässig für die sozialdemokratische Forderung eintreten, daß die Richter vom Volk gewählt werden und daß den Frauen gleiches Anrecht mit den Männern auf das Richteramt zusteht. Mit der Verwirklichung dieser Reformen steigt die Bürgschaft für eine Rechtsprechung, die sich bemüht, unbefangen zu verstehen und gerecht zu entscheiden. Eine solche Rechtsprechung wird auch zu sozialen Maßnahmen führen, die dem Verbrechen vorbeugen, von dem heute nur zu oft Goethes Wort gilt: Ihr laßt den Armen schuldig werden, dann überla ihr ihn der Pein!
-
Achtung, Genossinnen!
-
cm.
Der Zentralverband der Hausangestellten Deutsch lands sucht zum sofortigen Antritt, spätestens zum 1. Juli dieses Jahres, für seine Hauptverwaltung
eine erste und eine zweite Vorsitzende
die die Agitation für den Verband und die Redaktion des Derbandsorgans übernehmen können. Bewerbungen sind zu richten an den Vorstand des Verbandes der Haus: angestellten, Berlin , Engelufer 21.