Nr. 20

Die Gleichheit

rasch die ganze Macht erweckter, in Fluß gekommener prole­tarischer Massen zur Entfaltung und Wirksamkeit zu bringen, jederzeit dieser Macht entsprechend die Situation ohne Ver­zug und bis zum Rande auszunüßen. Ist diese Überwindung vollzogen, so werden die breitesten proletarischen Massen unter Führung der Sozialdemokratie in stolzem Selbstver­trauen betätigen, daß sie unerschütterlich entschlossen sind, dem Feind den Daumen aufs Auge und das Knie auf die Brust zu sehen,

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gewöhnt. Sie kennen es nicht anders." Leider hat das seine Richtigkeit. Viele Volksschulkinder verbringen Tag und Nacht in einem einzigen Raum mit 5, 6, ja mit 10 Personen. Das wäre aber doch unbedingt ein Grund mehr, um dafür zu sor­gen, daß sie wenigstens in den Schulstunden gute Luft atmen, daß ihnen die Bewegungsfreiheit gegönnt wird. Mit aller Entschiedenheit müssen wir darauf hinarbeiten, daß die Volksschulgebäude Häuser sind, in denen unsere Kinder- in Klassen von geringer Schülerzahl- Luft, Licht und Sonne finden, diese drei Haupterfordernisse zur gesunden körper­

Die Tätigkeit der Frau in der Gemeinde. lichen Entwicklung.

Von Anna Blos.  

III.

Wie sehen nun die Klassenzimmer aus, in denen unsere Kinder einen großen Teil ihrer Jugend verbringen müssen! Ta stehen in Reih' und Glied enge Schulbänke, in die die

Die Frau in der Schulbehörde.- Volksschul- Kinder, wie in einen Schraubstock gezwängt, fast bewegungs­

gebäude.

Nirgends tritt der Unterschied zwischen reichen und armen Gemeinden so in die Augen fallend zutage wie bei den Volks­schulgebäuden. Während in großen Städten, in wohlhaben­den Gemeinden Bauten errichtet sind mit hellen, großen, luf­tigen Zimmern, mit breiten Treppen und Korridoren, mit guten Heiz- und Lüftungsvorrichtungen, mit Turnhallen, Schulhöfen, Gärten usw., sieht man in armen Gemeinden, na­mentlich auf vielen Dörfern, Schulhäuser, die beinahe zusam­menstürzen, berwahrloste Gebäude, in denen nach dem Bericht eines bayerischen Lehrers 1905 Schulraum, Lehrerwohnung und Sprizenhaus gemeinsam liegen. Lüftung, Heizung, Licht und Sonne sind dort ein fast unbekannter Lurus. Turn­hallen fehlen, es sind keine Korridore da, in denen die Kinder bei schlechtem Wetter sich aufhalten können. Es mangelt an Schulhöfen. Aber selbst in reichen Gemeinden mit großen Schulhäusern entsprechen die Räume selten der Zahl der Kin­der, die darin untergebracht werden sollen. Diese Zahl wächst von Jahr zu Jahr, aber: Die Schulhäuser pressieren nicht", sagte der Münchener   Oberbürgermeister v. Borscht. Wo die überfüllung zu groß ist, hilft man sich mit Schulbaracken, die keineswegs den gesundheitlichen Anforderungen ent­sprechen. Die Folgen des Raummangels sind überfüllte Klassen. 1901 mußten in Preußen zum Beispiel 1 255 922 Kinder in 8815 Schulen und 16 127 lassen so unterrichtet werden, daß in einer Schulstube in einklassigen Schulen mehr als 80, in Halbtagsschulen mehr als 90, in zwei­und mehrklassigen Schulen mehr als 70 Kinder saßen. 22,15 Prozent der Kinder wurden nach Rühles Statistik durchschnittlich in überfüllten Schulen unterrichtet; in West­ falen   sogar 47,9 Prozent, in Oppeln   44,4 Prozent, in Arns­ berg   40,8 Prozent. Fast 100 000 Kinder saßen in Klassen, die bis zu 120 Schüler hatten, 53 Klassen wiesen bis zu 180, 16 bis zu 200 und 14 bis zu 236 Schüler auf. 16 000 Klassen hatten keinen Lehrer. Im Jahre 1906 fehlte dieser schon für 18 000 Klassen und 36 000 mußten ihren Lehrer mit anderen Klassen teilen. 1912 besaß Preußen Volksschul­klassen, die in einklassigen Schulen mit über 80, in Halbtags­schulen mit über 60, in der mehrklassigen Schule mit über 70 Schülern besetzt waren. Außerdem waren 11 747 Lehrer überlastet, darunter mußten 378 über 120 Kinder unter­richten. Einige Lehrer amtierten in Dritteltagsschulen, das heißt einem Lehrer waren drei Klassen zugewiesen. Auch einige Lauf- und Wanderschulen bestanden noch. In den über­füllten Klassen wurden fast 700 000, von den überlasteten Lehrern 957 000 Kinder unterrichtet. 869 Stellen mußten wegen Lehrermangel unbesetzt bleiben. Es fehlten in den ländlichen Volksschulen 13 352 Klassenzimmer. 383 schul­pflichtige Kinder konnten nicht aufgenommen werden wegen Blazmangel. Die nachgewiesene große überbürdung der Lehr­kräfte sezt diese ganz außerstand, sich des einzelnen Kindes anzunehmen, worauf wir später zurückkommen. Doch davon abgesehen läßt sich ja die Verfassung der Kinder denken, die wie in einen Schafstall gezwängt in den viel zu engen Klassen­zimmern siten müssen. Aber," wird uns eingewendet, die Kinder sind ja von daheim an die schlechte, verbrauchte Luft

Los sitzen müssen. Vielfach ist schon von Ärzten darauf hin­gewiesen worden, daß der übergang von der Ungebundenheit der vorschulpflichtigen Zeit zu dem Zwang des Stillfitzens viel zu unvermittelt ist. Sie stellten aber auch fest, daß die Konstruktion der Schulbänke auf die Haltung des Kindes sehr nachteilig wirkt, daß sehr häufig eine Krümmung des Rückgrats, eine Verschiebung der Wirbelsäule auf die Schul­bank zurückzuführen ist. In der Neuzeit beschäftigt man sich viel damit, verbesserte Sitzgelegenheit für die Schulkinder zu schaffen. Bis aber die Gemeinden sich dazu entschließen wer­den, die Erfindungen und Reformen den Volksschulen zu­gänglich zu machen, wird wohl noch mancher Kampf auszu­fechten sein, wird noch manches Kind eine Schädigung für das Leben von der Schulbank davontragen.

Als Schmuck der Schulzimmer kommt heute noch vielfach nur eine Schultafel und eine Landkarte in Betracht; wenn es hoch kommt, noch die Bilder des betreffenden Landes­fürsten und der Landesmutter. Die glatten Wände sind weiß oder grau gemalt oder gestrichen. Nichts ist da, worauf das Auge der Kinder ausruhen kann, was ihm eine Ablenkung schafft in der Eintönigkeit des Unterrichtes. Vereinzelt be­ginnt man, in den Schulzimmern die bunten Steinzeich­nungen in auswechselbaren Rahmen aufzuhängen. Bei der Forderung solchen Wandschmuckes meinte ein Vertreter der bürgerlichen Parteien, das wäre überflüssiger Lurus. Früher hätte kein Mensch daran gedacht, auch noch die Schulzimmer zu schmücken. Solche Bilder lenkten nur unnötig die Aufmerk­samkeit der Kinder ab; die Kinder hätten auch kein Verständ­nis für schöne Bilder. Der Mann war kein Pädagoge. Sonst wüßte er, wie dringend notwendig es ist, daß die Aufmerk­samkeit der Kinder zeitweilig abgelenkt wird. Ein guter Lehrer läßt seine Schüler eine Weile aus dem Fenster sehen, wenn er merkt, daß sie müde werden. Wer mit Kindern zu tun hat, der weiß vor allem, wie wichtig die Erziehung zur Schönheit durch Schönheit ist. Und in der Volksschule sind so viele Kinder, die selten oder nie Gelegenheit haben, ein gutes Bild zu sehen. Noch heute findet man häufig als Schmuck der Wohnung ihrer Eltern häßliche bunte Farbendrucke, No­pien von Schlachtenbildern oder Genrebildern, die den Kin­dern nichts geben können. Unendlich viele Kinder aber kennen überhaupt keinen Wandschmuck. Ein kleines Mädchen, dem man in der Schule ein Wandbild schenkte, wurde gefragt: ,, Wo wirst du das Bild aufhängen?" E3 antwortete:" Ich kann das Bild nicht aufhängen, denn wir haben keine Wand!" Es stellte sich heraus, daß die Eltern des Kindes einen Raum mit drei anderen Familien teilten. Da sie die Mitte des Raumes bewohnten, hatten sie tatsächlich keine Wand. Man kann sich denken, was für solche Kinder der Anblick guter Bil­der in Schulzimmern und Korridoren bedeutet. Diese Kinder werden nicht zu bunten, häßlichen Farbendrucken greifen, wenn sie einmal eine eigene Wohnung einrichten und schmücken können. Ihr Geschmack wird schon frühzeitig ge­bildet. Und welche Fülle von Anregung vermag ein gut re­produziertes Bild unserer großen Künstler Lehrern und Schülern zu bieten! Die Schule soll eine liebliche Stätte sein, von innen und außen dem Auge einen angenehmen