Nr. 23

Die Gleichheit

Der christliche Textilarbeiter" schreibt, waren ihnen von ihren Führern flar und deutlich die Folgen eines Weiterstreikens vor Augen geführt worden. Trotzdem aber haben sie mit 1920 gegen 54 Stimmen beschlossen, den Kampf fortzusetzen. Wir sind die ersten, die den Bocholter Textilarbeitern einen vollen Erfolg wün­schen. Ein solcher ist aber ausgeschlossen unter der Leitung von Leuten, die noch vor kurzem die größte Energie cntfaltet haben, um einen Lohnkampf der Arbeiter zu brechen. Unter solch unzuver­fäffiger Führung ist auch nicht die geringste Gewähr für einen Sieg vorhanden. Wollen die Bocholter Tertilarbeiter aus ihrem Elend heraus, so müssen fie fich der freien Gewerkschaftsbewe­gung, dem Deutschen   Textilarbeiterverband anschließen. Wenn der Kampf in Bocholt   den dortigen Textilarbeitern die Augen dar­über öffnet, wer allein ihre Sache ehrlich und entschlossen ber­treten fann, so ist der Kampf nicht umsonst gewesen. sk.

Arbeitslosenzählung im Deutschen   Textilarbeiterverband. Die Junizählung ergab 1295 Arbeitslose, darunter 415 Arbeite­rinnen. Im Vormonat waren 1180, im Juni des Vorjahres 635 Beschäftigungslose verzeichnet worden. Am gleichen Tage wurden als auf der Reise befindlich gemeldet 209 arbeitslose Mitglieder, darunter 8 weibliche; im Vormonat waren es 189, im Juni des Vorjahres 170. Im zweiten Quartal 1913 waren 5053 Verbands­mitglieder insgesamt 73 726 Tage arbeitslos, im gleichen Quartal des Vorjahres 3375 Mitglieder 36 994 Tage. An Arbeitslosenunter­stützung wurden in diesem Zeitraum an 2671 Männer für 35 648 Tage 39 423 Mt. und an 924 Frauen für 14 407 Tage 11 625 Mr. ausgezahlt. Für Arbeitslose auf der Reise betrug die Reiseunter­stützung 8297 Mt. Die Junizählung erfaßte 99 Proz. der Mit­glieder. Die Zahl der Mitglieder betrug 87 979 männliche und 55 634 weibliche, zusammen 143 613 Mitglieder.- Die wirtschaft­Die wirtschaft­liche Lage in der Textilindustrie hat sich gegen den gleichen Zeit­raum des Vorjahres erheblich verschlechtert. Im Vorjahr war die Arbeitslosenziffer 2,43, dieses Jahr aber 3,52. Dabei ist auch die Arbeitslosigkeit für den einzelnen eine längere geworden. Während voriges Jahr auf jeden Fall von Arbeitslosigkeit 10,96 Tage ent­fielen, so dieses Jahr 14,59 Tage. Erhöhte Arbeitslosenziffer mit längerer Arbeitslosigkeit drückt der Lage der Textilarbeiterschaft den Stempel auf.

-

sk.

Mahnung. In der Stadt Aachen   sind 19802 Arbeiterinnen gewerblich tätig. Sie verteilen sich nach den letzten Zählungen auf die Hauptindustriezweige wie folgt:

Textilindustrie

Nadelindustrie

Nahrungsmittelindustrie Bekleidungsgewerbe

Handelsgewerbe.

.

6964

2364

2403

2199

2953

Von dieser großen Schar von Lohnarbeiterinnen ist nur eine sehr geringe Bahl gewerkschaftlich organisiert. So gehören zum Veispiel dem Deutschen   Tegtilarbeiterverband nicht mehr als 118 Frauen und dem Deutschen Metallarbei­terverband bloß 40 an. Die Zahl der Organisierten steht in einem schreienden Mißverhältnis zu der Zahl der Beschäftigten. Die Gleichheit" wird in Aachen   in 100 Exemplaren von Frauen gelesen. Während die Männer rund 4000 gewerkschaftlich Or­ganisierte zählen, stehen Tausende ihrer weiblichen Angehörigen der Organisation noch fern. Ja, noch schlimmer: nicht selten fommt es vor, daß die Frauen und Töchter christlichen Organi sationen angehören, während der Mann oder Vater freier Ge­werkschafter ist. Viele politisch und gewerkschaftlich organisierte Arbeiter, die in unserem Lager stehen, tun rein gar nichts, um die Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen aufzuklären und zusammen zuschließen. Sie tragen noch ein Stück des alten Spießbürger­zopfes und meinen, die Frauen brauchten sich um das allgemeine Leben nicht zu kümmern. Und das angesichts der Scharen von Arbeiterinnen, die nach den Fabriken und Werkstätten strömen. Wäre ein jeder aufgeklärte Arbeiter sich der Notwendigkeit der Propaganda unter den Frauen bewußt, so müßten unsere Ge­werkschaften bald Hunderte, ja Tausende weiblicher Mitglieder ge­winnen. Wären die Textilarbeiterinnen hinlänglich organisiert, sie brauchten sich keine Lohnabzüge von 25 Prozent gefallen zu lassen, wie sie zum Beispiel die Firma Raß und Langstadt   ihren Spulerinnen zurzeit zumutet. Unmöglich würden sich dann auch die Aachener Spinnereiarbeiterinnen dazu erniedrigen, in großem Umfang Streifarbeit zu verrichten, wie das leider wäh­rend des Spinnereiausstandes in Verviers   der Fall gewesen ist. Die Aachener Spinnereiarbeiterinnen haben dadurch ihre kämpfenden Arbeitsbrüder im nahen Verviers   schwer ge­schädigt. Dessen waren sich aber die Unorganisierten ebensowenig

365

wie des Entehrenden ihrer Handlungsweise bewußt. Nur durch den gewerkschaftlichen Zusammenschluß fann in ihnen das Be­wußtsein von der internationalen Solidarität aller Ausgebeuteten geweckt werden. Hätten die Aachener Textilarbeiterinnen den Weg zu ihrer Organisation gefunden, so wären auch die Lohn- und Arbeitsverhältnisse in den hiesigen Spinnereien nicht so erbärm­liche, wie sie heute sind. Daß der Verdienst der Frauen vielfach so gering ist, darf für sie kein Grund sein, der Gewerkschaft fernzu­bleiben, muß vielmehr gerade ein Ansporn werden, von ihrem Rechte zur Vereinigung Gebrauch zu machen. Mögen alle, die es angeht, Frauen wie Männer, aus den kurzen Darlegungen ihre Folgerungen ziehen. L. K.

Notizenteil. Dienstbotenfrage.

Wie Dienstmädchen behandelt werden. Anna Heusinger war bei einem Herrn Maiwald in Berlin  , Markgrafen­straße 14, seit 1910 in Stellung. Am 12. April dieses Jahres war das Mädchen abends nach 10 Uhr noch in der Küche beschäf= tigt, als der Herr eintrat und brüllte: Warum brennt das Licht im Schlafzimmer nicht?" Die in der Küche anwesende Frau Mai­wald antwortete: Das habe ich ausgemacht!" Der Herr rief trotz dieser Aufklärung dem Mädchen barsch zu: Warum antworten Sie nicht?" Anna erwiderte:" Ich war ja nicht hinten, das Licht bat Ihre Frau ausgemacht!" Nun schrie Herr Maiwald: Halten Sie den Mund!" und schlug dabei das Mädchen ins Gesicht. Als Anna Heusinger erklärte, fie lasse sich nicht schlagen und werde morgen ihre Sachen packen, mischte sich Frau Maiwald in den Streit und sagte: Sie sind ein ganz freches und irrfinniges Frauen­zimmer!" Das Mädchen blieb natürlich die Antwort nicht schul­dig, und nun schlugen Herr und Frau in rührender ehelicher Ge­meinschaft auf Anna ein. Diese flüchtete nach ihrem Zimmer, wo sie von den beiden Gebildeten" weiter geschlagen und gestoßen wurde, bis sie an der Erde lag und um Hilfe rief. Die Gnä­dige" holte nun einen Topf mit kaltem Wasser und goß das dem Mädchen ins Gesicht und über den Leib. Darauf wurde Anna Heusinger an den Haaren emporgezogen, und es hieß:" Nun vor­wärts in die Küche, jeht wird erst noch abgewaschen!" Nach einer solchen Behandlung weigerte sich selbstverständlich das Mädchen, für die milde Herrschaft noch weiter Dienste zu verrichten. Dar­auf machte die Dame Miene, wieder handgreiflich zu werden. Das Mädchen beantwortete dies mit den Worten:" Fassen Sie mich noch einmal an, dann schlage ich Sie mit dem Topf ins Ge­ficht!" Die Gnädige ging aber trotz der Warnung zum Angriff über und erhielt dafür den Topf wirklich ins Gesicht, worauf das Mädchen die Treppe hinunter zur Portiersfrau flüchtete. Be­merkt muß werden, daß der Sohn den Eltern zugerufen hatte: ,, Bedenkt doch, was ihr macht, an dem Mädchen dürft ihr euch nicht vergreifen!" Die Portiersfrau nahm das Mädchen in Schutz und wurde dafür von Frau Maiwald alte Klatschliese" tituliert. Anna Heufinger lief mit aufgelöstem Haar, blutender Nase und in nassen Kleidern zur Polizei. Bu einem Schuhmann, der sie zurückbegleitete, äußerte die Gnädige: Schade um jeden Schlag, der daneben ging!" Eine andere, im gleichen Hause wohnende Herrschaft nahm das Mädchen für die Nacht auf, und am nächsten Tage erhielt Anna ihre Sachen und ihren Lohn bis zu dem Tage, wo sie verprügelt worden war. Ins Zeugnis schrieb die Herr­schaft: Treu   und ehrlich, ihr Wesen gibt öfters Anlaß, zu kla­gen." Um diese Bemerkung ganz zu würdigen, muß man feft­halten, daß das Mädchen seit 1910 bei Maiwalds diente und im vorigen Jahre sein Lohn von 80 auf 100 Taler aufgebessert wor­den war. Anna Heusinger fuhr zu ihren Eltern, die ouf einem Gutshof im Braunschweigischen arbeiten. Vor der Abreise von Berlin   hatte sie bei der Staatsanwaltschaft Strafantrag erstattet. Diese Hüterin des Rechts stellte jedoch das Verfahren wegen Mangel an Beweisen" ein. Da Anna Heusinger leider nicht int Hausangefielltenverband organisiert war, wollte sie sich mit dem Bescheid begnügen. Ein in der Landagitation tätiger Genosse ver­wies fie jedoch an das Braunschweiger Arbeitersekretariat. Nun wurde die feine Herrschaft noch nachträglich beim Amtsgericht Berlin   auf Zahlung von 75 Mt. Lohn für ein Vierteljahr und das übliche Koftgeld verklagt. Daraufhin erklärten sich Maiwald3 bereit, 100 Mt. zu zahlen, wenn die Klage zurückgenommen werde. Da das Mädchen nach einigen Wochen Beschäftigung ge= funden hatte und somit nicht mehr Lohn für das volle Vierte!- jahr verlangen konnte, zog es die Klage zurück und erhielt die angebotene Entschädigung. Die Lust zum Dienen ist Anna

"

-