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Die Gleichheit

tigen Reich der Hoffnungen und Wünsche gehen konnten, sondern wie sie im engen Raume der kapitalistischen Ord. nung auf der erreichten Entwicklungsstufe gehen mußten. Wohl genossen die stillen Gläubigen des Blocks von Bebel bis Bassermann" laut und reichlich den Triumph, daß bei den Deckungsvorlagen mit dem schwarzblauen Block die un­bequeme ,, eine reaktionäre Masse" der bürgerlichen Parteien zerfiel, die von Anfang an entschlossen gewesen war, Wil­ helm II.

die Wehrvorlage als Jubiläumsgabe chrfürchtig darzubringen. Die Blauen waren von der Majorität

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tarische Konstellation hinaus zu den lebendigen politischen Streitkräften, die es außerhalb des Reichstags zum schärf­sten Kampf gegen die Wehrvorlage und zum dauernden Ringen mit dem Imperialismus zu mobilisieren galt. Die nur parlamentarische Betrachtung der vorliegenden Aufgabe ließ zu Anbeginn des Kampfes feine rechte. Kraftentfaltung und Siegeszuversicht aufkommen. Aber tragen die proleta­rischen Massen nicht selbst einen großen Teil Schuld daran,

nicht viel zu wenig zahlreich und entſchloſſen auf den Blan solche Auffaſſung überhandnehmen konnte? Sind fie

getreten, haben sie nicht zu leise und schüchtern gesprochen? Das trifft gewiß zu, fordert aber nur eine umso schärfere Kritik an dem Verhalten unserer Neichstagsvertretung, an der Ak­tion der Partei überhaupt heraus. Der Internationale Sozia­

aus­geschaltet, die der Regierung mit verständnisinnigem Hände­druck die Riesensummen für die Kosten der militaristischen Orgie überreichten. Allein dafür mußten die besagten Gläu bigen den Schmerz hinunterwürgen, daß die Liberalen die Bundesbrüderschaft mit den Schwarzen dem Zusammen- listische Kongreß zu Basel mit dem geschichtlichen Um und

wirken mit der Sozialdemokratie vorzogen. Den Grund da für fann ein Blinder mit dem Stocke fühlen. Die Liberalen griffen begierig nach der Gelegenheit, mit den Zentrümlern zusammen Deckungsvorlagen zurechtzuschustern, über die sich

weil diese Helden die Möglichkeit weit von sich weisen wollten, in Gemeinschaft mit der Sozialdemokratie die ersten Schritte zu einer gründlichen Steuerreform zu tun. Bentrümler und Liberale brauchten Zeit, um sich über den Kuhhandel einig zu werden, der die Sozialdemokratie um jeden Einfluß prellte, wie die Rechnung des Imperialismus beglichen wer­den sollte. Die bürgerliche Mehrheit ließ die Sozialdemo­fratie bei der zweiten Lesung reden, bis das Geschäft fertig war, dann peitschte sie die restlichen Beratungen und die definitiven Entscheidungen mit einer skandalösen Eilfertig keit durch, die ein blutiger Hohn auf die Bedeutung der Vorlagen, auf die Folgen ist, die ihre Annahme für die brei­testen Volksmassen haben muß. Bei der dritten Lesung der Wehrvorlage maß sich die Sozialdemokratie nochmals in fraftvollem Waffengang mit dem Feinde, von der Umstände

Auf der Stunde hatte eine gewaltige, hinreißende Fanfare zum Kampf wider den Imperialismus ertönen lassen. Sie rief das deutsche Proletariat leider nicht zu einer so scharfen Aggressive gegen den Feind, daß auch der kapitalfrömmsten und geriebensten Regierung die Lust zu einer Wehrvorlage bergangen wäre. Sogar die talentlose Regierung eines Beth­ mann Hollweg fonnte es so wagen, dem werktätigen Volk das imperialistische Anfinnen der riesigsten Militärvorlage ins Antlitz zu schlagen, die wir bis jetzt fennen, und konnte sich erdreisten, die Ausgebeuteten mit dem Märchen der Deckungsvorlagen zu narren, die Besitzenden würden nicht mehr die Nutznießer, sondern die Lastenträger der Rüstungs­tollheit sein. Das rührselig- verlogene Geschwafel von dem patriotischen Jubiläumsopfer" der Reichen und Sehrreichen hat unstreitig das Seinige dazu getan, den Widerstand der Proletarier und kleinen Leute gegen das verderbliche Aus­recken des Militarismus abzustumpfen. Jedoch gerade weil das zu befürchten war, mußte die Fraktion von der ersten Minute an alle in ihr beschlossenen Energien entfesseln, alle vorhandenen Möglichkeiten hartnädigen Kampfes bis zum mußte sie durch die unerhörte Kühnheit und Wucht ihres Ansturms die Blicke der breitesten Bolks­schichten auf sich ziehen und in leidenschaftlicher Spannung auf sich gerichtet halten; mußte sie vor allem auch das letzte Spinnwebfädchen des Scheins fortfegen, als ob von nun an die ausbeutende Minderheit aus ihren von den Ausgebeu­teten gefüllten Schatzsäcken die reiche Tafel des Militarismus bestellen werde. Man prüfe die Haltung der Fraktion an die­sen Forderungen, und die sich fast allerwärts regende Kritik erscheint gerechtfertigt. Paßt es insbesondere nicht zu ihnen wie die Faust aufs Auge, daß der Wehrbeitrag und die total verhunzte Vermögenssteuer die Zustimmung der Sozialdemo­fratie erhielten? Gewiß, denn dadurch wurde für Hundert­tausende und aber Hunderttausende unaufgeklärter Prole­tarier der Schein gestärkt, als ob tatsächlich in den Deckungs­vorlagen das Mailüfterl einer Steuerreform und der kapi­ talistischen Opferfreudigkeit wehe.

Gunſt gehoben. In der Atmoſphäre des Erfurter Schreckens- äußersten ausmöglichkeiten

urteils mußte jeder ihrer Hiebe verdoppelte Wucht, jede ihrer Anklagen zündendere Gewalt erhalten. Unmittelbar darauf zeigte die Verhandlung der Deckungsvorlagen, wie gründlich die Sozialdemokratie von Liberalen und Zen­trümlern in die Ecke gedrückt worden war. Nicht einmal auf den Gang der parlamentarischen Geschäfte hatte sie so viel Einfluß, um auch nur eine leidlich anständige Erörterung der Deckungsvorlagen durchseßen zu können. Und statt den Ansätzen zu einer weitzielenden Finanzreform sah sie sich einem jämmerlichen Gelegenheitspfuschwerk gegenüber, das einer solchen Reform den Weg verlegt und die Massen mit schwerster künftiger Weiterbelastung bedroht. Trotz alledem warf die sozialdemokratische Fraktion dem Reichstag nicht die Spottgeburt aus kapitalistischem Dreck und ohne Reform­feuer vor die Füße. Indem sie für den Wehrbeitrag und die Reichsvermögenszuwachssteuer stimmte, bewilligte sie Mil­lionen, die unverhüllt den Zwecken des Imperialismus, der Ausdehnung und Befestigung der kapitalistischen Klassen­herrschaft dienen werden. Die feierliche Prinzipienerklärung, die die Fraktion zu ihrer Abstimmung abgeben ließ, unter­streicht nur den opportunistischen Charakter des Handelns. Die Dinge haben ihre eigene steifnackige Logik, die sich durch die schönsten Worte nicht korrigieren läßt. Die Sozialdemo­fratie schloß die Schlacht gegen den Imperialismus zwar mit einem schmetternden Tusch für ihre Prinzipien, aber mit dem Bruch des Grundsages und der Tradition der Partei: dem Militarismus feinen Groschen. Wie ist all das zu ver­stehen und zu bewerten?

Der Trommelflang, mit dem die Fraktion in den Kampf zog, ist augenscheinlich durch die Auffassung gedämpft wor­den, daß das Zustandekommen der Wehrvorlage dank dem Bewilligungseifer aller bürgerlichen Parteien gesichert sei, auch wenn die Sozialdemokratie im Reichstag noch so leiden­schaftlich und zäh kämpfe. Der Blick mancher unserer Abge­ordneten wanderte nicht über die aussichtslose parlamen­

In Verbindung mit der Auffassung, daß der Sieg des Militarismus unobwendbares Geschehen sei, erblickte unsere Fraktionsmehrheit die Deckungsvorlagen in einer unrich­tigen Perspektive. Der Kampf um die Verteilung der neuen Lasten erschien ihr als ihre jezige Hauptaufgabe, erschien ihr als der Boden, auf dem sie um jeden Preis ein Hälmchen positiver Ergebnisse" ernten mußte. Konnte die Sozialdemo­fratie der Regierung und den bürgerlichen Parteien nicht mit Erfolg in den Arm fallen, wenn diese patriotische" Kumpanei dem Volk erhöhte Blutsteuer abpreßte, so mußte sie wenigstens bedacht sein, es vor noch drückenderer Guts­steuer zu schüßen. Diese Schlußfolgerung ist an und für sich" selbstverständlich, ist unanfechtbar richtig als abstrakte, all­gemeine Formel. In ihrer Anwendung auf die vorliegenden tatsächlichen Verhältnisse wird sie jedoch zum Irrlicht , das zu der opportunistischen Abstimmung der Fraktion bei den Deckungsvorlagen geführt hat. Das wäre unmöglich gewesen, hätte sich die Mehrheit unserer Genossen im Reichstag nicht über die sehr beschränkte praktische Bedeutung einer Steuer­