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Die Gleichheit

Hause. Alles war so organisiert, daß die Frauen bei der Verab­schiedung der Kinder am Abend feststellen konnten, ob etwa eines fehlte; gegebenenfalls waren sofortige Recherchen über den Ver­bleib möglich. Trozdem als Grundsak galt, daß nur schulpflichtige Kinder an den Spaziergängen teilnehmen sollten, wurden auf Drängen der Eltern auch kleinere zugelassen. Oft konnte man auf dem Nachhauseweg unsere aufsichtführenden Genofsinnen mit einem Kinde auf dem Arme sehen. Bei dem ganztägigen Spaziergang hat sich gezeigt, daß die Kinder ein warmes Mittagessen bekommen müssen. Die Herstellung eines solchen bereitet Schwierigkeiten, deren Lösung letztes Jahr dank der Bereitwilligkeit der Maggigesellschaft erleichtert wurde, die neben der Lieferung der Suppenwürze auch die Zubereitung der Mahlzeit für über 1300 Kinder übernommen hatte. Ganztägige Ferienspaziergänge mit Mittagsmahl haben eine gute Organisation und ausreichende Geldmittel zur Voraus­seßung, ebenso Kochgelegenheit und genügendes Hilfspersonal. Die Kinder wurden an dem ganztägigen Spaziergang( mit Aus­nahme der Kinder von Sachsenhausen   und Oberrad  ) mit der Straßenbahn nach dem allgemeinen Sammelpunkt gebracht, dem Tivoligarten. Nachdem sich jedes Kind mit einem Glase Milch und einem Brötchen gestärkt hatte, begannen die einzelnen Abteilungen ihre Wanderungen in den Wald, wo sie sich unterhielten. Die ersten Teilnehmer kamen um 11 Uhr zum Mittagessen, das in einem Teller ausgezeichneter Suppe und einem Würstchen bestand. Nach furzer Rast wurde der Wald nochmals zu Spiel und sonstiger Unterhaltung aufgesucht. Gegen Abend erhielten die Kinder vor der Heimbeförderung noch einmal ein Glas Milch und ein Bröt­chen. Den Abschluß der Spaziergänge bildete ein stark besuchtes Kinderfest, bei dem Kaffee und Brezeln verabreicht wurden, vom Konsumverein und von der Milchverwertungsgesellschaft gespendet. An den halbtägigen Spaziergängen beteiligten sich insgesamt an 21 Tagen 21 790 Kinder, an dem ganztägigen Spaziergang 1307, am Kinderfest 1458. Verabreicht wurden 8258 Liter Milch, 24 555 Brötchen und 1420 Würstchen. 59 Straßenbahnwagen waren nötig gewesen, um die Kleinen nach den Spielplätzen und zurück zu be= fördern. Die Kinderschutzkommission hat im Auftrag der Ge­werkschaften und der sozialdemokratischen Partei die Spaziergänge crganisiert und ist von beiden moralisch und finanziell in der tat­kräftigsten Weise unterstüßt worden. Die Veranstaltungen haben unstreitig dargetan, welch dringendes Bedürfnis vorliegt und wie notwendig es ist, daß die Gemeinde mit ihren Mitteln eingreift. Die mithelfenden und aufsichtführenden Genoffinnen haben sich mit verständnisvoller Herzlichkeit und unermüdlichem Eifer be­tätigt. Ihr Wirken hat gezeigt, daß die Gemeinde, die Allgemein­heit den größten Gewinn von der Betätigung der Frau auf Ge­bieten hat, wo größere Gemeinschaften immer mehr die Aufgaben übernehmen müssen, die früher in den Händen der Familie ruhten.

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Politische Rundschau.

Vor dem Berliner   Kriegsgericht ist am 8. August nach mehr­tägiger Verhandlung ein Prozeß gegen sieben Angeklagte zu Ende, geführt worden, der die amtliche Bezeichnung" Tilian und Ge­nossen" trug. Die Öffentlichkeit aber nennt ihn den Krupp­Prozeß und hat damit die Tatsache gekennzeichnet, daß die an­geklagten und verurteilten Zeugoffiziere und Unteroffiziere bei der Affäre Nebensache sind, daß vielmehr die eigentliche Ange­flagte die Riesenfirma Krupp ist.

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Die Ordnungspresse jubiliert angesichts des milden Urteils, daß es sich nur um Kleinigkeiten gehandelt habe, daß die furchtbaren übertreibungen" Liebknechts gerichtet seien. Von einem Panama   ist keine Rede, versichern diese Ordnungsstüben ihren Lesern. Die Spißen des Heeres sind an dem Schmiersystem ganz unbeteiligt, das der Prozeß aufgedeckt hat von einer uner­laubten Bevorzugung der Firma Krupp   durch die Armeeleitung, wofür die Mitglieder der höheren Behörden Bestechungsgelder emp­fangen hätten, kann nicht gesprochen werden, ebensowenig von landesverräterischen Umtrieben. Nur einige untergeordnete Be­amte der Offizierscharakter der Zeugleutnants wird möglichst tertuscht haben sich durch einen ehemaligen Kameraden zu flei­nen Ordnungswidrigkeiten verleiten lassen, mehr aus kamerad­schaftlicher Gefälligkeit, denn um des verhältnismäßig geringen Lohnes wegen, den der Berliner   Vertreter der Firma Krupp  , der Herr Brandt, für solche Aufdeckung militärischer Geheimnisse zahlte. Und dabei ist diesen Beamten kaum zum Bewußtsein ge­kommen, daß sie etwas Strafbares taten, etwas, das der Sicher­heit des Deutschen Reiches eventuell gefährlich werden könnte. Sie glaubten die militärischen Geheimnisse des Reiches bei der Firma Krupp   ebenso gut aufgehoben wie in den Schränken der amtlichen

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Nr. 24

Bureaus. Denn diese Firma, die sich der höchsten Gunst der leiten­den Stellen erfreute, der eine Vorzugsstellung vor allen anderen Lieferanten eingeräumt wurde, schien ihnen ein Stüd Reichs­behörde selbst zu sein. Sie fanden daher nichts Arges dabei, dem Vertreter dieser Firma Dinge anzuvertrauen, die sie anderen Leuten niemals preisgegeben haben würden.

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So stellt die Ordnungspresse die Dinge dar im heißen Bemühen, die Ehre der Armee und der Firma Krupp   zu retten. Nun mag man den Verurteilten dieses Prozesses mildernde Umstände zu­billigen. Sie haben Schmiergelder genommen für die Preisgabe militärischer Geheimnisse, aber sie sind keine Landesverräter. Nur wird die Sache dadurch für die Armeeleitung wie für die Firma Krupp   nicht viel besser. Denn wenn die Zeugleutnants durch die Art, wie Krupp von den höchsten Stellen bevorzugt wurde, zu der Anschauung kommen konnten: Krupp   ist der Staat!", wenn sie behaupten durften, Krupp erfahre ja doch alles, so bezeugt das mindestens, daß das Kriegsministerium nicht die richtige Grenze zu ziehen gewußt hat im Verhältnis zu seinem Hauptlieferanten. In der Folge mußten Auffassungen, wie die eben erwähnten, bei den unteren Stellen entstehen. Die Firma Krupp   aber ist un­zweifelhaft unlauterer Machenschaften überführt. Die Herren Direktoren, die zu Berlin   als Zeugen auftraten, haben sich zwar heftig dagegen gewehrt, daß sie Brandt zu seinem Verfahren an­gestiftet, ja daß sie es auch nur gebilligt hätten. Aber die Frage, wie denn dieser Beamte, der doch geheimes, auf geradem Wege nicht zu erlangendes Material liefern sollte, sich dieses auf nicht strafbarem Wege verschaffen sollte, auf diese Frage, die sich jeder­mann aufdrängt, hat keiner eine offene und befriedigende Antwort zu geben gewußt. Brandt sollte vor allem die Preisangebote der Konkurrenzfirmen ausspionieren. Daß er sie nicht auf gefeßlichem Wege erfahren konnte, daß keiner seiner ehemaligen Kameraden, die er im tameradschaftlichen Verkehr aushorchen sollte, berechtigt war, diese Preisangebote zu offenbaren, das alles wußten die Kruppdirettoren sehr gut. Aber sie haben die Kornwalzer", die Geheimberichte des Brandt mit diesen Angaben ruhig zur Kennt nis genommen, ohne zu fragen, wie er sie gewonnen hat. Den einen ging's nichts an, der zweite hat nicht darüber nachgedacht, der dritte hat noch eine andere Ausrede und so fort. Ein Grundsatz dieser Firma scheint zu sein, daß allzuviel Wissen Kopfweh macht. Man hat sich damit begnügt, dem Herrn Brandt gelegentlich zu erklären, daß er beileibe nichts Unanständiges tun dürfe, aber die Berichte hat man von ihm weiter gefordert und genommen. Man sicherte sich durch solche billige Mahnungen für alle vorkommenden Fälleging aber jeder ernstlichen Prüfung des Brandtschen Ver­fahrens hartnäckig aus dem Wege. So sichern sich bisweilen Poli­zisten, wenn sie bei Mißhandlungen von Arrestanten durch Be­amte zugegen sind, indem sie wegsehen. Nachher können sie dann mit ruhigem Gewissen schwören, daß sie nichts dergleichen gesehen haben. Überhaupt scheint das System der Deckung bei der Firma Krupp   recht gut ausgebildet zu sein. Es gibt so viele Direktoren dort, daß es schwer fällt, festzustellen, wer für eine bestimmte Maßregel verantwortlich ist. Unter dem halb Duhend dieser Herren, die nach Berlin   vors Kriegsgericht zitiert wurden, wo sie wegen des Verdachtes der Mitschuld allerdings unvereidigt ber­nommen wurden, war keiner, der genau zu sagen wußte, mit welchen Aufträgen, zu welchem Zwecke Brandt eigentlich in Berlin  angestellt wurde, keiner, der für diese Anstellung verantwortlich sein wollte. Dagegen versicherte einer, daß er sie für gänzlich über­flüssig gehalten habe, und wollte glauben machen, daß die Korn­walzer" eigentlich ganz wertlos für die Firma gewesen seien. Das paßt vortrefflich zu der Tatsache, daß Brandt im Gehalt auf über 10 000 Mt. gestiegen ist und daneben noch 3500 Mt. Repräsenta­tionsgelder erhielt.

Ob es in dem Verfahren gegen Brandt selber, das demnächst vor dem bürgerlichen Gericht in Berlin   stattfinden soll, gelingen wird, dieses Rätsel zu lösen? Und ob dort neben Brandt seine Vorgesetzten, die Kruppdirektoren, auf der Anklagebant erscheinen werden? Oder ob sie ganz ungeschoren bleiben, weil sie von nichts gewußt haben? Die Besizerin des Riesenbetriebs, die Tochter des legten Krupp  , Frau Krupp von Bohlen- Halbach, wird ja von den Gerichten nicht behelligt werden können. Denn sie und ihr Gemahl haben ja mit dem Betrieb keine andere Verbindung, als daß sie das Millioneneinkommen einstreichen und verzehren, soweit sie es nicht zur Erweiterung des Riesenbetriebs oder zu den berüchtigten, die Arbeiter mit der Verheißung auf Alterspensionen fesselnden Kruppschen Wohlfahrtseinrichtungen verwenden. Beide liefern den Beweis, wie überflüssig heute der Unternehmer für die Produktion ist. Der gewaltige Ertrag des Riesenbetriebs, den viele Zehn­tausende von Arbeitern und Angestellten schaffen müssen, fließt