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Die Gleichheit
band den Fleischergesellen das Ultimatum: bis zum 15. August sich zu erklären, ob sie auf Grund eines Arbeitsvertrags der Unternehmer weiterarbeiten wollten, andernfalls sei ihnen zum 1. September gekündigt. Sämtliche Arbeiter wiesen den von den linternehmern vorgelegten Arbeitsvertrag zurück, der bedeutende Verschlechterungen enthält. Die Unternehmer rüsten sich zu einem größeren Kampfe. Sie werden ihn kaum zu einem glücklichen Ende führen, wenn die Arbeiterfrauen beim Einkauf die um ihr gutes Recht kämpfenden Fleischer unterstützen.
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Die neueste Blüte deutscher Rechtspflege" ist die gericht= liche Anerkennung eines von Arbeitswilligen erhobenen Schadenersazanspruchs. In einer Erfurter Malzfabrik war es im Jahre 1911 über Lohndifferenzen zum Streik gekommen. Der Kampf war durch das aufreizende Verhalten der Arbeitswilligen wesentlich verschärft worden. Nach Wiederaufnahme der Arbeit erging sich einer der Arbeitswilligen, ein Brauer, in rüden Beschimpfungen der organisierten Arbeiter, die diese damit beantworteten, daß sie von der Direktion die Entlassung des Schmähers verlangten. Der entlassene Brauer klagte auf Schadenersaß, indem er angab, keine Beschäftigung erhalten zu können. Das Erfurter Landgericht erkannte im Januar dieses Jahres seinen Schadenersatzanspruch im Prinzip als gerechtfertigt an. Das Oberlandesgericht zu Naumburg es ist durch seine Urteile gegen organisierte Arbeiter berüchtigt berwarf die Berufung der drei beklagten Mitglieder des Brauereiarbeiterverbandes. Nunmehr hat das Erfurter Landgericht den Schadenersatz auf 1100 Mt. festgesetzt, vorbehaltlich weiteren Schadenersatzes, für den der klagende Arbeitswillige den Anspruch nachzuweisen habe. Seine Klage auf Gewährung einer Jahresrente wurde vom Gericht abgelehnt. Schade, das hätte dem Urteil die Krone aufgesetzt. Für das arbeitsscheue Gesindel der Hingebrüderschaft eröffnen sich durch den Richterspruch ungeahnte Perspektiven. Es macht erst den Verräter und Streitbrecher, bedroht mit allerhand Mordwerkzeugen Streikende und friedliche Passanten, und wenn Arbeiter sich später weigern, mit solchen sie beschimpfenden Gesellen zusammen zu schaffen, müssen sie diesen noch Schadenersatz zahlen. Gegen die Klassenjustiz protestierte in diesen Tagen die Arbeiterschaft durch eine Ehrung, die sie einem Opfer des Klassen fampfes zuteil werden ließ. Vor drei Jahren fam es während eines Bauarbeiterstreits in Deutz bei Köln zu einem Zusammenstoß von Ausständigen mit den Arbeitswilligen, wobei ein Polizist lebensgefährlich verletzt wurde. Auf Grund von Aussagen eines übelbeleumundeten Zeugen- er war 15mal wegen Betrügereien, Urkundenfälschungen usw. vorbestraft!-wurden eine Anzahl or= ganisierter Bauarbeiter zu ungeheuer hohen Freiheitsstrafen verurteilt, obgleich sie entschieden bestritten, bei dem Zusammenstoß irgendwie beteiligt gewesen zu sein. Unter den Verurteilten befand sich auch ein Angestellter des Bauarbeiterverbandes, Genosse Frölich, der für 2 Jahre 7 Monate ins Gefängnis wandern mußte. Ein anderes Opfer dieser Klassenjustiz, das 5 Jahre zu verbüßen hat, schmachtet noch hinter Kerkermauern. Frölich sah jetzt nach 31monatiger Gefangenschaft die Freiheit wieder. Gewerkschaftsund Parteimitglieder bereiteten ihm einen ehrenvollen Empfang. In kurzen schlichten Worten dankte Frölich. Er versicherte, alles nachzuholen, was er für die Arbeitersache in den langen Monaten versäumen mußte, die er unschuldig im Gefängnis gesessen. Auf ihn habe die Strafe nicht abschreckend gewirkt. Er wolle nicht ge= feiert und gelobt werden, er habe nur auf vorgeschobenem Posten seinen Mann gestanden. Unter stürmischen Rundgebungen für Frölich und mit dem Gesang der Marseillaise fand die schlichte Begrüßungsfeier einen würdigen Abschluß. Die Klassenjustiz des Kapitalistenstaats zieht sich ihre Totengräber heran.
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Notizenteil.
Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.
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Wie schonungslos die Ausbeutung der Tegtilarbeiterinnen von Stuttgart und Umgebung ist, das wurde ins Licht der Offentlichkeit gerückt auf der Konferenz, von der wir bereits berichtet haben. Es ist eine unbestrittene Tatsache, daß die Proletarier allgemein in Gestalt des Lohnes nur einen sehr beschei= denen Teil der Frucht ihrer Arbeit erhalten. Es steht ebenso fest, daß die Arbeiterinnen und namentlich die Arbeiterinnen in der Textilindustrie meist mit besonders kläglicher Bezahlung abgespeist werden. Aber wie verstehen es die Stuttgarter Unternehmer der Trikotbranche, den ohnehin bescheidenen Verdienst ihrer Lohnsflavinnen noch unter das übliche Maß herabzudrücken! Sie könnten eine Prämie für die Rücksichtslosigkeit und Findig
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keit beanspruchen, mit der sie das tun. Die Abzüge sind ein beliebtes Mittel, um von den Löhnen der Arbeiterinnen abzuknapsen und den Profit der Unternehmer zu erhöhen. Sie erfolgen in der verschiedensten Gestalt. Vor allem dadurch, daß die Näherinnen fast durchweg Nadeln und Faden aus der eigenen Tasche bezahlen müssen. Es kommt vor, daß sie dafür in zwei Wochen bis zu 15 Mt. zu verausgaben haben. Das ist meist mehr, als eine Arbeiterin in einer Woche für ihren gesamten Lebensunterhalt aufwenden darf. Damit nicht genug. Wird von den Vorgesetzten eine Arbeit beanstandet, so muß die Arbeiterin das betreffende Stück Ware behalten, und der Preis dafür wird vom Lohne abgezogen. Es kommt nicht selten vor, daß der berechnete Lohn zu niedrig ist, um den geforderten Betrag zu decken. Dann veranstalten die Arbeiterinnen unter sich eine Art Lotterie, der beanstandete Gegenstand wird verlost. Die Strafen sind hoch und werden mit Strenge eingetrieben. Lachen wird mit 50 Pf. ge= ahndet,„ Unart" mit 20 Pf., auf Nachrepassieren steht gar 2,50 Mart Strafe. Es sind Zehntausende und Zehntausende von Mart, die das beutegierige Unternehmertum im Laufe eines einzigen Jahres vom sauer verdienten Lohne abbricht. Die Geschichte des Mittelalters erzählt uns von Leuten, die, von Gewinnsucht ge= stachelt, von den Goldmünzen soviel wie nur möglich abschnitten und abkrazten. Sie wurden Kipper und Wipper genannt, weil sie bei ihrem räuberischen Tun die Münzen wägen mußten. Was aber besagen die Praktiken der betrügerischen Gesellen, von totem Metall abzubrechen, gegen die Kniffe und Pfiffe der kapitalistischen Ausbeuter, den Verdienst von lebendigen Menschen zu schmälern! Der tapitalistische Profit der Unternehmer in der Stuttgarter Trikotindustrie wird des weiteren durch die übliche Lohnzahlung gesteigert. Natürlich auch das auf Kosten der ausgebeuteten Arbeite rinnen. Von 17 Firmen hat nur eine einzige die wöchentliche Lohnzahlung, bei allen übrigen erfolgt diese vierzehntäglich. Und die Herren sind nicht damit zufrieden, die Lohnfumme ihrer Arbeiterinnen vierzehn Tage zinslos verwenden zu können. In vier Betrieben erfolgt die Auszahlung des Lohnes erst sechs Tage nach der Abrechnung, bei den übrigen zwei bis drei Tage danach. Außerdem wird in sieben von sechzehn Betrieben eine Raution erhoben, die bei den Arbeiterinnen zwischen 3 bis 11 Mt. schwankt und für die Arbeiter bis auf 15 Mt. steigt. Den Rekord schlägt die Firma Mayer& Sohn in Stuttgart - Wangen . Bei ihr besteht vierzehntägliche Lohnzahlung, Einbehaltung eines Wochenloknes und eine Raution von 11 Mt. Die Firma Müller& Schweizer fordert von den Arbeiterinnen eine Buße von 10 Mr., wenn fie innerhalb eines Jahres den Betrieb verlassen, ihr jedoch steht es frei, die Arbeiterinnen jederzeit mit vierzehntägiger Kündigung zu entlassen. Im Betrieb Schmidt& Co. finden wir vierzehntägliche Lohnzahlung und sechs Tage Lohneinbehaltung; Neueintretende müssen außerdem 5 Mt. Kaution hinterlegen, die verfallen, wenn die Betreffenden vor Ablauf eines halben Jahres den Platz verlassen. Im vorstehenden nur eine kleine Lese vom Ader der tapitalistischen Ausbeutung, der für die Unternehmer reiche goldene Frucht trägt und für die Arbeiterinnen spärliche ähren, Disteln und Dornen. Es drängt sich die Frage auf: foll dem immer so bleiben und können sich die Arbeiterinnen der Stutt garter Trikotindustrie nicht heute schon gegen das Übermaß der Auswucherung ihrer Arbeitskraft schüßen? Gewiß, das fönnen sie nicht bloß tun, das müssen sie tun, dafern es fein leeres Wort bleiben soll, daß auch sie menschenwürdig zu leben wünschen und ihren Anteil vom Reichtum der Gesellschaft begehren. Das Mittel dazu ist die gewerkschaftliche Organisation, ist der Anschluß an den Teutschen Textilarbeiterverband. Kein Seufzen und Klagen in der ärmlichen Wohnung, kein polterndes Schimpfen im Betrieb vermag die Arbeitsbedingungen der Stuttgarter Trifotarbeiterinnen zu verbessern. Notwendig ist die Tat, die aus der Erkenntnis geboren wird, daß die Vereinigung die Schwachen start macht. h. r.
Fürsorge für Mutter und Kind.
Ueber die Wöchnerinnenpflege durch katholische Ordens: schwestern ist auf dem vierten Diözesan - Caritastag in Mann heim verhandelt worden. Früher war die Wöchnerinnenpflege den Ordensschwestern nicht allgemein gestattet. Sie muß jedoch in steigendem Umfang geübt werden. Dazu zwingt die große Not, die in den ärmeren Familien mit der Niederkunft der Mutter einzuziehen pflegt. Auf dem Caritastag( das lateinische Wort caritas heißt Wohltätigkeit, die katholischen Caritasvereine sind Wohltätigkeitsorganisationen) sprach der Karlsruher Stadtpfarrer Stumpf über die caritative Familienpflege durch den Hausbesuch von Mitgliedern der Elisabethen- und Vinzenz