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Die Gleichheit

stützt und getragen von den proletarischen Kampfesorganisa­tionen, sollten die Genossinnen den Kindern der Arbeitslosen und diesen selbst zum Bewußtsein bringen, daß eine größere Gemeinschaft spendet, was das vom Rapitalismus geleerte und verelendete elterliche Heim zu gewähren außerstande ist. Es wäre das ein überzeugender Anschauungsunterricht von dem Geist, der im Zeichen des Sozialismus erblüht, von der Tat, die er reift. Es ist eine Liebestätigkeit weitestfassender und tiefster Art, zu der die Arbeitslosennot die sozialistischen  Frauen ruft. Stoßen wir uns nicht daran, daß das Wort und der Begriff entwertet worden ist durch die Almosen, die in einer Gesellschaft der Klassenscheidung der Reiche und Herr schende dem Armen und Unterdrückten gnädig zuwirft; durch die Heuchelei, mit der der schwelgende Müßiggang in unserer Zeit zum Besten Notleidender tanzt und flirtet; durch den spürenden Geschäftssinn, mit dem Pastoren dem Wohlzutun und Mitzuteilen" für ihre Kirche, bessere" Herren und Damen für den kapitalistischen   Profit Bins und Binsfeszins tragen lassen. Die Liebestätigkeit der Sozialdemokratie ist nichts als tatkräftige proletarische Solidarität, ist ein seliges Geben ohne überhebung und ein aufrechtes Nehmen ohne Demut zwischen Gleichen, zwischen Gliedern einer millionen­föpfigen Familie. Sie wird auch den Geist der Empfangen­den nicht verwirren und ihren Willen in Knechtschaft binden, sondern umgekehrt diesen Willen scharfäugig, kühn und kraft­voll auf die befreiende Tat richten.

Die proletarische Frauenbewegung ist wurzelfest und groß genug, damit ihre Trägerinnen auch solches Wirken ins Auge faffen. Wir zählen jezt mehr als 150 000 organisierte Ge­nossinnen und 200000 Gewerkschafterinnen. Nur der Minder­zahl von ihnen ist es gegeben, in der stahlharten Rüstung einer Jungfrau von Orleans   mitten im dichtesten Gewühl des politischen und wirtschaftlichen Kampfgetümmels zu fechten. Viele Tausende von ihnen aber bewegen die frohe Botschaft des Sozialismus im stillen Herzen und sehnen sich danach, sie wirkend lebendig werden zu lassen. Die Arbeitslosennot eröffnet ein Wirkungsgebiet für sie alle, ein Wirkungsgebiet, das soziale Einsicht und Bekennermut verlangt, dazu auch tiefste, selbstlose Herzensgüte und feines Taktgefühl. Trotz ihrer schweren und vielgestaltigen Pflichten und Arbeiten, trotz ihres schmalen Beutels werden Tatkraft und Opfermut der sozialistischen   Frauen nicht versagen. Das wundervolle Gleichnis vom Scherflein der armen Witwe ist für sie noch jederzeit Wirklichkeit geworden. Zeigen wir, daß der Sozia­lismus und befähigt, mit den reisigen Kampfestugenden des Mannes den milden Samariterfinn des Weibes zu verbin­den, wenn es gilt, für die Arbeitslosen zu handeln.

Die Tätigkeit der Frau in der Gemeinde.

Von Anna Blos  . VIII.

Die Frau in der Schulbehörde.  - Fortbildungs­schule. Koch- und Haushaltungsunterricht. Der Besuch der Volksschule erstreckt sich auf sieben, in manchen Staaten auf acht Jahre. Mit dem dreizehnten re­spektive vierzehnten Lebensjahr müssen die Kinder des Vol­kes die Schule verlassen. Die Familie konnte häufig ihren Hunger nach Brot nicht stillen; noch weniger aber konnte die Schule ihren Hunger nach Wissen, nach Bildung- befriedigen. Fast bei allen stellt sich die Notwendigkeit ein, einen Beruf zu ergreifen, und zwar sehr häufig einen Beruf, in dem sie so bald wie möglich von den Eltern unabhängig werden, der sie in die Lage versezt, selbständig ihr Brot zu verdienen und womöglich zum Unterhalt ihrer Familie beizutragen. Das Wissen, das ihnen die Volksschule mitgegeben hat, ist äußerst gering. Für die Anforderungen des Lebens sind deren Zög­linge in feiner Weise vorbereitet. Viele von ihnen haben den Wunsch, weiterzukommen. Viele möchten einen Beruf er­greifen, in dem sich ihre Geistesgaben entfalten können. Aber

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danach frägt niemand. Die schwachbegabten Kinder wohl­habender Eltern lernen weiter, sie erhalten Nachhilfestunden, sie werden durch die Klassen mitgeschleppt. Die Söhne müssen das Einjährigeneɣamen, womöglich auch die Abi­turientenprüfung bestehen, um studieren zu können. Die Töchter werden in den fremden Sprachen, in der Musik, in der Malerei ausgebildet, nicht weil sie eine besondere Be­gabung dafür haben, sondern weil ihre Eltern das hohe Schulgeld bezahlen können.

Der Staat, der, wie ich gezeigt habe, wesentlich größere Zuschüsse zu den höheren Bildungsanstalten als zu den Volksschulen zahlt, erachtet seine Pflichten gegen die Kinder der werktätigen Massen sehr bald für erfüllt. Sie lernen den Ernst des Lebens in einem Alter kennen, in dem die Kinder der Besitzenden noch wenig von Pflichten wissen. In den Jahren, in denen die Freude am Lernen, in denen das tiefere Verständnis für die Wissenschaften erst erwacht, schließt die Volksschule ihre Tore für die Kinder des Volkes. In neuerer Zeit hat man für sie in den verschiedenen deutschen Bundes­staaten den Fortbildungsunterricht eingeführt. Aber so un­einheitlich wie das ganze Volksschulsystem in Deutschland   ist, so uneinheitlich ist auch das System der Fortbildungsschulen. In Preußen zum Beispiel ist der Besuch der Fortbil­dungsschulen für Mädchen erst seit Ostern 1913 eingeführt und auch nicht obligatorisch für alle Mädchen, sondern nur für die jugendlichen gewerblichen Arbeiterinnen, für die Ver­käuferinnen und für die Handlungsgehilfinnen. Für alle übrigen aus der Volksschule entlassenen Mädchen besteht in Preußen der Pflichtfortbildungsunterricht nicht. Viele von ihnen gehen in die Fabriken oder in einen häuslichen Dienst, andere müssen Heimarbeit verrichten oder die Stelle der Mutter im Haushalt versehen. Um ihre Weiterbildung füm­mert sich weder der preußische Staat noch die Gemeinde. In Braunschweig   gibt es für die Mädchen überhaupt keinen obligatorischen Fortbildungsunterricht. Zum Teil hat man noch das Vorurteil, daß es sich nur" um Mädchen handelt, zum Teil will man den Unternehmern die jugend­lichen weiblichen Arbeitskräfte nicht entziehen. Der Fort. bildungsunterricht selbst kann außerdem nur ein schwaches Surrogat sein für die gründliche Weiterbildung der schul­entlassenen Jugend.

Damit ja keine Verkürzung der Arbeitszeit erfolgt, wird der Fortbildungsunterricht in der Regel abends erteilt. Die jungen Proletarier, die aus der Schule unvermittelt in einen Beruf eintreten müssen, der ihre schwachen Kräfte über Ge­bühr in Anspruch nimmt, sind abends häufig viel zu müde, um geistig noch aufnahmefähig zu sein. Sie können dem Unterricht nicht mit der erforderlichen Aufmerksamkeit fol­gen, das aber um so weniger, da er ja nur eine Fortsetzung der Armenleutebildung in der Volksschule ist. Den jungen Leuten wird wenig oder nichts von dem gegeben, wonach ihr Geist dürstet. Auch der Fortbildungsunterricht wird von der ist totes Formelwerk, Drill und Zwang. Die Kinder, die ohne Religion und dem Hurrapatriotismus beherrscht. Auch er übergang aus der Schule in das Leben treten mußten, er­halten in der Fortbildungsschule selten die Anregung und die Kraft, den Anforderungen und den Stürmen des Lebens sich gewachsen zu zeigen, sie werden hier nicht an Geist und Charakter zum Selbstschutz und zur Selbstverteidigung er­zogen. Eine größere Bereicherung des Wissens ist nur sehr bedingt möglich. Wie könnte es anders sein bei den wenigen Stunden, gewöhnlich vier in der Woche während zwei, neuer­dings auch zuweilen während drei Jahren.

Sehr häufig laufen bei dem Ortsschulrat Klagen der Lehrer ein über die Unbotmäßigkeit der Fortbildungsschüler. Diese Unbotmäßigkeit erklärt sich leicht aus dem System der Fortbildungsschulen. Es bedeutet eine Rückkehr in den alten Schulzwang, in das Zuchthaus der Gegenwart", in die Ge­walt des Lehrers, der es nicht immer versteht, sich das Herz der Kinder zu gewinnen und ihren Geist zu fesseln. Es han­delt sich nun aber nicht mehr um Kinder, sondern um junge