Nr. 2

Notizenteil.

Die Gleichheit

Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Vom Textilarbeiterelend in Augsburg erzählen uns diese An­gaben. Nach dem Bericht der Gewerbeinspektion 1911 wurden in den Betrieben der Augsburger Textilindustrie 16 278 Personen beschäftigt. Nur 5948 davon waren erwachsene Männer, neben ihnen frondeten 9040 erwachsene Arbeiterinnen und 1290 Jugend­liche, junge Burschen und Mädchen unter 16 Jahren. Diese Zahlen dürften sich seither nur wenig verändert haben. Die Ge­werbeaufsicht hatte die Kinder unter 14 Jahren nicht besonders gerechnet, die Augsburger Filiale des Deutschen Textilarbeiter­verbandes schätzt ihre Zahl auf 300. Darf man sich wundern, daß immer mehr Frauen und halbwüchsige Proletarierjugend, ja Min­der an die Textilbetriebe gefesselt werden, wenn man die Höhe des durchschnittlichen Verdienstes erfährt oder richtiger: seine Niedrigkeit! In der Augsburger Textilindustrie sind zweiwöchige Lohnperioden üblich, und darin verdienen erwachsene Männer durchschnittlich 32 bis 37 Mt., also 16 bis 181/2 Mt. pro Woche. Kann ein Familienvater mit diesem Verdienst die Seinen nähren, fleiden, behausen? Vermag auch nur ein erwachsener lediger Ar­beiter dabei menschenwürdig zu existieren? Die Herren Textil­barone sollten den Proletariern dieses Kunststück einmal gefälligst vormachen! Für die würde ein solches Einkommen wahrscheinlich nicht ausreichen, die Handschuhe für vierzehn Tage zu bezahlen. Wenn die Arbeiter mit Bettelgroschen abgespeist werden, ist die Erwerbsarbeit der Frau bittere Notwendigkeit, auch wenn sie als Hausfrau und Mutter gerade mehr als genug zu tun hätte, da ihr keine" perfekte Köchin" und kein Kindermädchen zur Seite steht. Auch der Verdienst der Metallarbeiter ist in Augsburg häufig so gering, daß die Frau Geld ins Heim bringen muß und meist ihr Brot in den Textilfabriken sucht. Und der Lohn der Arbeiterinnen? 25 bis 33 Mr. im Durchschnitt für vier­zehn Tage, mithin 12 bis 16% Mt. die Woche. Man braucht fein Rechengenie zu sein, um nachzuweisen, daß dies zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben ist, namentlich in diesen Zeiten, wo Teuerungspreise des wichtigsten Lebensbedarfs die Taschen der großen Getreidebauer und Viehzüchter, der schwerreichen In­dustrieherren füllen. Ja, wenn man diese Teuerungspreise nicht vergißt, so begreift man, daß die Textilarbeiterfamilie bedacht sein muß, die Kinder so früh als möglich aus Brotessern in Brot­verdiener zu verwandeln. Auch wenn sich die angegebenen Löhne von Mann und Frau zusammenfügen, wird Schmalhans Küchen­meister sein. Da müssen denn die Kinder bei halben Arbeits­tagen 4 bis 5 Mt. die Woche hinzuerwerben und die Jugendlichen den Verdienst von 6 bis 9 Mf. pünktlich abliefern. Derweilen bei der Textilarbeiterschaft Gesundheit, Elternglüd, Jugendfreude, Bildungstrieb, die Lebenskraft selbst gemordet wird, gedeihen die Profite der Textilgewaltigen ganz herrlich. Wie lange noch Not als der Mühe Preis, und überfluß als Lohn von Müßiggang ? Arbeiter und Arbeiterinnen, erwachet! Stellt euch organisiert zum Kampfe gegen das ausbeutende Unternehmertum, gegen die Ge­sellschaftsordnung der Ausbeutungswirtschaft.

Frauenbewegung.

Bürgerliche Frauenrechtlerinnen und Handlungsgehilfinnen. Die Arbeiterinnen von den katholischen abgesehen haben sich schon längst von dem Einfluß bürgerlicher Sozialreformer und Frauenrechtlerinnen frei gemacht. Soweit sie bewußt für eine Verbesserung ihrer Lage kämpfen, gehören sie überwiegend den zentralisierten freien Gewerkschaften an. Anders die Handlungs­gehilfinnen. Sie laufen noch in großer Zahl am Gängelband der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen. Eine Organisation, auf die das zutrifft, der Verband der verbündeten kaufmän­nischen Vereine für weibliche Angestellte, hielt jüngst in Breslau eine Tagung ab. Wir nehmen von ihr Kenntnis, nicht weil auf ihr neue Ideen oder beachtenswerte Tat­sachen ausgesprochen wurden, sondern weil die Beratungen lehr­reiche Einblicke in die Auffassung, das Leben einer Organisation geben, die von Frauen der bürgerlichen Gesellschaftsschichten ge­leitet wird.

Es ist eine solchen Organisationsgebilden innewohnende Schwäche, daß sie nie zum richtigen Verständnis dafür kommen, wie denn eigentlich die Lage der weiblichen Erwerbstätigen ist, die sie vertreten. Diese Schwäche erklärt sich daraus, daß diese Lage den Leiterinnen fremd bleibt, weil sie die Dinge mit bürger­lichen Augen betrachten und nichts von der Grundtatsache wissen wollen, daß Angestellte und Chefs fich als Ausgebeutete und Aus­beutende gegenüberstehen. Die schiefen Gedanken der Leiterinnen

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drücken aber auf das Empfinden und Denken der Mitglieder. Diese empfangen Meinungen und Kleine Konzessiönchen, ste ringen nicht um neue Erkenntnisse und stellen ihre Interessen und Forde­rungen nicht schroff, fest dem Profitbegehren der Firmenträger entgegen. Das ist der wunde Punkt der bürgerlichen Organisa­tionen für weibliche Angestellte im Handelsgewerbe. Die Leite­rinnen stehen dem Elend des Berufs fern, und es geht ihnen meist der Blick für die Zusammenhänge des Wirtschaftslebens ab. Gewiß können sie die mannigfachen Mißstände nicht übersehen, unter denen die Handlungsgehilfen leiden. Aber sie finden nicht ihre lette Ursache: die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Das trat deutlich auf der Breslauer Tagung hervor. Dort referierte Fräulein Dr. Meyer über Die Lage der Verkäuferinnen. Sie übte eine sehr milde Kritik an den Arbeitsbedingungen der Verkäuferinnen und sprach sich für den Koft- und Logiszwang aus. Warum? Weil er geeignet sein soll, die den jungen Mädchen drohenden sittlichen Gefahren abzu­wehren. Nun wird kein Mensch, der die Verhältnisse kennt, leugnen, daß den Verkäuferinnen sittliche Gefahren drohen. Es ist jedoch ein Irrtum, anzunehmen, daß der Kost- und Logiszwang diese Gefahren beseitigt, eher vermehrt er sie noch. Denn der Kost- und Logiszwang ist stets begleitet von den erbärmlichsten Gehaltsver­hältnissen, überlanger Arbeitszeit usw. Das aber sind Umstände, die den Nährboden für sittliche Gefährdungen bilden. Es wird außerdem eine Abhängigkeit von dem Prinzipal geschaffen, der nicht allzu selten der Meinung ist, er habe nicht nur die Ber­fügung über die Arbeitskraft, sondern auch über den Leib der An­gestellten. Die Freizeit ist bei Koft- und Logiszwang besonders gering, und damit verliert die gebundene und abhängige Ver­käuferin Gelegenheit zur Fortbildung zur Entwicklung von Selbst­bewußtsein, Kraft und innerer Festigung. Gewaltsam schienen die tagenden Damen ihre Augen dagegen zu verschließen, daß der Kapitalismus deutlich auch im Handlungsgewerbe herrscht. Das A und ihrer Hoffnungen auf Beseitigung von Übelständen, die die Handlungsgehilfinnen schwer empfinden, war die Hebung der Qualität der Verkäuferinnen. Nur Mädchen sollen als Lehrlinge eingestellt werden, die mindestens die oberste Klasse einer Volks­schule besucht haben. Die Lehrzeit müsse zwei Jahre betragen und mit Fortbildungsschulzwang verbunden sein. Ferner erklärten die Damen, es sei darauf hinzuwirken, daß sich auch Mädchen aus bürgerlichen Kreisen dem Verkäuferinnenberuf zuwenden, denn dadurch werde das allgemeine Ansehen des Standes gehoben. Diese Forderungen gehen nicht von Tatsachen aus, sondern von der Illusion, daß nur schlecht vorgebildete, aus der Arbeiterklasse stammende Verkäuferinnen elend bezahlt, lange am Tage ausge­mußt, fittlich gefährdet werden usw. Das ist grundfalsch. In Wirt­lichkeit erhalten die aus bürgerlichen Familien stammenden Ver fäuferinnen nicht mehr als die Töchter von Proletarierinnen. Der Handelsherr fragt nicht nach der Herkunft, sondern nach der Niedrigkeit des Gehaltes. Bahlreich sind die Klagen, daß gerade bürgerliche Mädchen besonders schlecht falariert sind. Bei ihnen wird die Bezahlung zum Teil als ein Taschengeld angesehen, und so stellen sie nur zu oft gefährliche Lohnbrüderinnen. Ebenso irrig ist es, von einer besseren Ausbildung der Verkäuferinnen eine Hebung der Lage im Beruf überhaupt zu erwarten. Eine gute Berufsbildung kann unter Umständen wohl die Lage der einzelnen günstiger gestalten, niemals aber die der Allgemeinheit. Der ungehemmten Ausbeutung der Verkäuferinnen fann nur durch eine zielbewußte, entschlossene Organisation entgegengetreten werden. Die Vereine der weiblichen Handelsangestellten, die von bürgerlichen Damen und Sozialpolitikern geführt werden, find feine solche Organisation. Sie bieten den Handlungsgehilfinnen tein fulturgemäßes Brot, höchstens hin und wieder etwas Zucker­werk. Was sie nicht wollen und tun, das will und tut der Bentral­verband der Handlungsgehilfen und Handlungsgehilfinnen. H. G.

Frauenstimmrecht.

Die ,, Politik" des Vereins für Frauenstimmrecht in Mainz . Als vor einigen Jahren Fräulein Lisch new sta im Verein für Frauenstimmrecht" zu Mainz einen Vortrag hielt über Politik, Finanzreform und Frauenstimmrecht" forderte sie zum Schluß die anwesenden Damen begeistert auf, sich politisch zu organisieren, einerlei in welcher Partei. Ihrem Enthusiasmus wurde ein emp­findlicher Dämpfer aufgesetzt. Ein Anhänger des Zentrums, Herr Dr. Mechanit, stellte die Behauptung auf, daß das männliche Geschlecht genialer veranlagt sei als das weibliche; daß ferner die Entwicklung neuer Kräfte einerseits ein Manto des Wesens an­bererseits bedinge. Dies sein Grund, die Frauen von der Politik fernzuhalten! Auf die ironische Frage, wo denn das Manko bei