Nr. 3 Die Gleichheit ZZ Die Tätigkeit der Frau in der Gemeinde. Von Anna Blos  . IX. Die Frau in der Schulbehörde.   Hilfsschule. Vorschule. Bisher mußten alle Kinder, die die Volksschule besuchten. die vorgeschriebenen sieben oder acht Schuljahre absolvieren, einerlei, ob sie mit der beendigten Schulzeit die vorgesteckten Ziele erreicht hatten oder nicht. Natürlich sind die Kinder von sehr verschiedenartiger Begabung:Ob klug oder beschränkt. schnell oder langsam, phantasievoll oder nüchtern, intellektuell oder praktisch, jeder Schüler muß mit den übrigen in der­selben Zeit dasselbe Quantum Wissen aufnehmen, dasselbe Pensum abhaspeln, dieselben Aufgaben lösen und dasselbe Ziel erreichen." so schreibt Rühle treffend in seinem Buche Das proletarische Kind". Die überfüllten Klassen, in denen in manchen Orten hundert und mehr Kinder unterrichtet wer­den, machen es dem Lehrer ganz unmöglich, sich des einzelnen anzunehmen. Er muß die begabten Schüler zurückhalten und die schwachbegabten mit fortschleppen. Es bleibt ihlln keine Zeit, sich mit den einen oder anderen besonders zu beschäf­tigen. Die schwachbegabten Schüler bilden einen Hemmschuh für die ganze Klasse. Sie sind infolge ihrer schwachen Fas­sungsgabe ein Gegenstand des Spottes. Ihr Geisteszustand ist nicht so anormal, daß sie als blöd bezeichnet werden können, darum müssen sie die Volksschule besuchen, und sie werden entlassen, wenn sie über das schillpflichtige Alter hin­aus sind, ohne Rücksicht darauf, ob es dem Lehrer gelungen ist, ihnen die allereinfachsten Begriffe der Schulweisheit bei­zubringen. Gerade solche Kinder werden oft boshaft und rach­süchtig durch das Gefühl, von der Natur vernachlässigt zu sein, durch den Spott der Mitschüler,' durch vieles Schelten, oft auch durch Prügel von feiten des Lehrers. Sie ver­säumen den Schulunterricht immer wieder, weil sie sich fürch­ten, oder sie spielen dem Lehrer und den Mitschiilern aller­hand Possen. Wußte man sich gar nicht mehr mit solchen Schülern zu helfen, so blieb nur ein Ausweg, nämlich die Fürsorgeerziehung. Damit ein Kind in die Fürsorgeerziehung kommt, ist ja durchaus nicht immer Voraussetzung, daß es eine strafbare Handlung begangen hat. Die Statistik über die geistige Beschaffenheit der Fürsorgezöglinge in Preußen 13l)9 stellt fest, daß 11,9 Prozent davon geistig nicht normal waren. <l1 Prozent im Durchschnitt der Jahre 1991 bis 1909 sogar 48 Prozent hatten die Schule nur sehr unregelmäßig be­sucht, 12,3 Prozent konnten trotz Schulbesuchs weder lesen noch schreiben. Es ist hier nicht der Ort, näher auf die Gründe dieser geistigen Anormalität einzugehen, die in erblicher Be- lastung oder auch in schlechten häuslichen Verhältnissen liegen. Fast alle Eltern von Fürsorgezöglingen haben ein Einkom­men. das weniger als 900 Mk. beträgt. Ein hoher Prozentsatz dieser Kinder ist unehelich geboren. Auch die großen Schä­den fast aller Fürsorgeerziehung kann ich hier nicht erörtern. Ich will nu» feststellen, daß die meisten Fürsorgezöglinge die Volksschule ganz oder teilweise besuchten, bis sich die voll­ständige Unmöglichkeit erwies, sie bei den übrigen Kindern zu belassen. Eine Reihe von Pädagogen und Kinderfreunden hat jetzt erkannt, daß es andere und bessere Mittel gibt, um auf schwachbegabte Kinder einzuwirken, als sie der Fürsorge­erziehung zu überweisen. Aus dieser Erkenntnis werden die Hilfsschulen ins Leben gerufen, wie wir sie jetzt in einzelnen Städten haben. Ihre Wirkung hat sich als so erfolgreich ge­zeigt, daß sie hoffentlich bald überall eingeführt werden. Stellt sich dort, wo eine Hilfsschule besteht, die Unmöglichkeit sür den Lehrer heraus, ein schwachbegabtes Kind zu fördern und es mit den übrigen Schülern auf eine Stufe zu bringen, so kommt es zu dem Schularzt. Unterernährung, Verwahr­losung, traurige häusliche Verhältnisse sind nicht nur der Grund, daß ein Kind körperlich zurückbleibt. Auch der Geist leidet darunter. Aufgabe der Hilfsschule ist e» vo» allem, dem entgegenzuwirken. WaS wir von der VolkSschull verlangen, daß st« für die Ernährung, für die Reinlichkeit» für helle sonnige Räume, für Gelegenheit zum Aufenthalt i« Freien sorgt: daS ist zum größten Teil in den Hilfsschule» verwirklicht. Sie werden soviel al» tunlich an die Grenze» der Städte gelegt, in Gärten oder nahe einem Walde und i» gesunden Räumlichkeiten untergebracht. Hauptbedingung sind ganz kleine Klassen, so daß die Lehrkräfte sich ausgiebig mit jedem einzelnen Kinde beschäftigen können. Die Kinder, die in den Hilfsschulen Frühstück, Mittagessen und Vesper er­halten können, wo es not tut, haben reichlich Badegelegenheit und stehen ständig unter der Aufsicht des Schularztes, dessen Anordnungen die Schulschwestern ausführen. Die Lehrkräfte für die Hilfsschulen werden in besonderen Kursen ausgebildet. Hier macht man sie mit dem Seelen­leben der Kinder vertraut wie auch mit besonderen Unter­richtsmethoden für schwachbegabte Zöglinge. Ein Haupt­augenmerk wird auf die Ausbildung der Handfertigkeit ge­legt. Der Spieltrieb des Kindes, den der Schulunterricht niethodisch unterdrückt, wird hier dem Unterricht zugrunde gelegt. Da alle geistige Entwicklung von den Trieben aus­geht und alle Triebe mit Bewegung verbunden sind, so ent­spricht der Handarbeitsunterricht am besten dem BewegungS- und Tätigkeitstrieb der Kinder. Schon der englische   National­ökonom Adam Smith   sagte, daß des Menschen Geist sich an seiner Arbeit bildet. Er sprach damit eine Wahrheit aus, die durch die ganze Kulturgeschichte erhärtet wird. Es entspricht nun dieser Erkenntnis, daß man durch den Handarbeitsunter­richt auf den schwachen unentwickelten Geist der Hilfsschul­kinder einwirken will. Die Kinder werden vor jeder Über­bürdung behütet. Sie dürfen nicht lange stillsitzen. Der Auf­enthalt im Klassenzimmer wird häufig unterbrochen durch turnerische Übungen, durch Spiele im Freien, durch Spazier­gänge. Die Kinder sind in der Hilfsschule vor der Strenge der Lehrer wie vor dem Spotte überlegener Mitschüler ge­schützt. Und ganz allmählich bringt man ihnen die Grund­begriffe von dem bei, was in der Volksschule gelehrt wird. Es ist aber erstaunlich, zu beobachten, wie die Kinder bei dieser Art Erziehung allmählich Vertrauen zu sich selbst ge­winnen, wie ihr Geist aufwacht, je mehr sich ihr Körper stählt, und wie stolz sie auf die kleinen Kunstwerke sind, die von ihren Händen hergestellt werden. Es kommt häufig vor, daß die Kinder aus der Hilfsschule in die allgemeine Volksschule übertreten und deren Gang folgen können. Wer die ganze Hilfsschule durchmacht, steht im allgemeinen nicht hinter den Leistungen zurück, die in der Volksschule erreicht werden. Die Hilfsschule kommt dem Ideal der Arbeitsschule, wie es uns vorschwebt, und auf das ich später zurückkomme, am nächsten. Freilich erfordert sie große Mittel, die die Gemein­den nicht immer bewilligen. Häufig ist auch das Vorurteil der Eltern zu bekämpfen, die es als eine Schande enipfinden, daß ihr Kind als geistig minderwertig nicht die allgemeine Volksschule besuchen soll. Dem muß man entgegentreten und die Eltern über die Vorteile der Hilfsschule aufklären, die ja durchaus keine Anstalt für blöde, geisteskranke Kinder ist. In einzelnen Bundesstaaten, zum Beispiel Preuße« und Württemberg, beabsichtigt man. die Vorschule« aufzuheben, die den Unterricht für eine höhere Schule vor­bereiten, und an ihrer Stelle die gemeinsame Elementar­schule für die Zöglinge aller Schulanstalten einzuführen. Bayern   besitzt heute schon diese gemeinsame Elementar­schule, und gewisse Kreise tun sich dort viel zugute, daß der Sohn des Ministers neben dem Sohne des Arbeiters auf der Schulbank sitzt. Die Einwendungen sind charakteristisch, die gegen die Aufhebung der Vorschule vorgebracht werden. Die Anhänger dieser Schulen weisen auf diedrohenden sittlicl>en Gefahren" hin. die den Kindern aus bessersituierten Kreisen angeblich durch die gemeinsame Beschulung mit Kindern auS ärmeren Volksklassen erwachsen, ferner auf die verschieden­artigen Anschauungen in den verschiedenen gesellschaftlichen