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Die Gleichheit

nicht wenige tätige Genoffinnen haben, die trot großer Dürf tigkeit viele Kinder großziehen und zu tüchtigen Menschen machen. Ebenso stimmt es, daß wir uns oft darüber beflagen, wie wenig fich Frauen mit geringer Kinderzahl um den Emanzipationskampf der Arbeiterklasse fümmern. Aber wir dürfen nicht verkennen, daß die ersteren an Begabung, Cha­rafterstärke und Opferwilligkeit über dem Durchschnitt stehen. Viele dieser Frauen konnten auch erst mit uns Schulter an Schulter fämpfen, nachdem die Kinder aus dem Gröbsten heraus waren, und Zehntausende sind vorhanden, die wegen des großen Elends den Weg zu uns nicht finden. Kinder­reiche Familien sind es, die ihre Kleinen zur Erwerbsarbeit schicken müssen, Eltern, die so arm sind, daß sich einem das Herz im Leibe umdreht, wenn man ihnen sagen soll, ihr müßt auf die paar Pfennige verzichten, die euch eure Kinder heimbringen. Solche Familien sind es auch, die häufig den bürgerlichen Wohltätigkeitsvereinen ins Garn laufen und Bücklinge, Kniefälle für jeden haben, der etwas zu spenden bermag, alles nur, um sich gegen das größte Elend zu schützen. Es kann nicht bezweifelt werden, daß der überreichliche Kindersegen uns manche Rämpfer entzieht. Aus den ange­führten Gründen ziehe ich den Schluß, daß die Einschränkung der Kinderzahl für den einzelnen wohl eine gewisse Bedeu­tung haben kann.

Freilich macht das für die Verbesserung der Lebenslage des gesamten werftätigen Volkes absolut nichts aus. Wie oft zi­tieren wir die Worte des Dichters: Es gibt hienieden Brot genug, für alle Menschenkinder." Und sie sind richtig, der So­zialismus wird sie zur Wahrheit für alle machen. Wenn wir aber dieser Auffassung sind, so haben wir nicht in die Agita­tion für die Beschränkung der Kinderzahl einzutreten. Wir müssen vielmehr den Kampf dafür führen, daß allen Menschen das vorhandene Brot auch zuteil wird. Von diesem und jenem wird allerdings gesagt: Wir dürfen nicht durch viele Kinder dazu beitragen, daß der Staat mehr Ka­nonenfutter bekommt und die Rapitalisten billige Arbeits­fräfte." Wer so redet, kennt die Tatsachen nicht. Wir wissen doch, daß in Deutschland die Zahl der Soldaten ständig ge­wachsen ist, und daß das Militärmaß mehrmals herunterge­sezt wurde, damit genügend Leute in die Kasernen kamen. Noch drastischer wird die angezogene Ansicht durch die Ent­wicklung der Dinge in Frankreich widerlegt. Um ein großes Militäraufgebot zu haben, hat man sich dadurch zu helfen ge­wußt, daß man die zweijährige Dienstzeit wieder abgeschafft hat und die jungen Leute auf drei Jahre in den Soldatenrod steckt. Und die Kapitalistensippe ist um billige Arbeitskräfte nicht in Verlegenheit. Trotzdem heute schon viel billige Ar­beitskräfte im Reiche vorhanden sind, holt sie sich die noch billigeren aus dem Ausland.

Bleiben wir also auf dem richtigen Wege, auf dem des Klassenkampfes. Lenken wir nicht durch falsche Ziele die Ar­beiterklasse davon ab, denn dieser Weg allein führt zur Be­freiung. Verdammen wir jedoch nicht diejenigen, die durch Einschränkung der Kinderzahl ihre augenblicklichen Verhält­nisse etwas erträglicher gestalten wollen.

III.

Frida Wulff, Breslau .

Genosse Compère- Morel, ein vorzüglicher Kenner der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse Frankreichs , dem klassischen Lande des Zweikindersystems, schreibt uns zur umstrittenen Frage:

" Ich glaube in sozialer Beziehung in nichts an die Wirk­famkeit des Neu- Malthusianismus. übrigens macht die Agi­tation der Neu- Malthufianer bei uns kaum noch Fortschritte, und es ist sehr schwer zu beurteilen, ob sie einen tatsächlichen Einfluß auf die wirtschaftliche und kulturelle Lage des Prole­tariats ausgeübt hat. In Frankreich ist es hauptsächlich die bürgerliche Welt, in der die Geburten weniger zahlreich sind. Die Geburten nehmen zu oder ab, je nach dem Grade der Armut oder des Reichtums der Betreffenden. Nicht die Zu­nahme oder Abnahme der Geburten beeinflußt den Wohl­

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stand der Bevölkerung, umgekehrt ist es der Wohlstand der Bevölkerung, der von Einfluß auf die Geburtenzahl tft: großer Wohlstand geht mit niedriger Geburtenzahl Hand in Hand, geringer Wohlstand mit einer hohen Geburtenziffer. Das wird auch dadurch bestätigt, daß die Geburten nament­lich in den wohlhabenden Kreisen abgenommen haben, wäh­rend ihre Zahl in den ärmeren Volksschichten hoch geblieben ist.

Es scheint mir ein rückschrittliches, reaktionäres Beginnen, feine Zeit zu verwenden, seine Energie zu vergeuden, um den Proletariern zu sagen: zeugt wenig Kinder! Beit und Energie muß man bis zum äußersten ausnüßen, um die Proletarier dem Sozialismus zuzuführen, der allein allen Gliedern der Gesellschaft das höchste Maß materieller und kultureller Güter zu sichern vermag. In diesem Sinne zu handeln, ist revo­lutionär."

Die Ergebnisse

der Krankenkassenvertreterwahlen.

Die Wahlen der Ausschußmitglieder der neugestalteten Krankenkassen sind nun an den meisten Orten vorüber. Sie vollzogen sich so, wie vorauszusehen war: infolge der Ein­führung des Verhältniswahlverfahrens war bei den größeren Kassen die Wahlbewegung eine außerordentlich lebhafte und die Wahlbeteiligung eine sehr starke, bei den kleinen Rassen dagegen war meist von der Wahl nichts zu merken. Bei den größeren Kassen in den Städten hatten die kleinen Gruppen und Parteien innerhalb der Arbeiterschaft viel Mut bekom­men, die Sonderbestrebungen verfolgen. Hatten sie sich seither an den Krankenkassenwahlen nicht beteiligt, um sich nicht zu blamieren, so wagten sie sich diesmal ans Licht und stürzten sich mit viel Geschrei in die Wahlagitation. Ihre Kampfes­mittel waren die verwerflichsten und unlautersten. Sie redeten von dem Mißbrauch der Krankenkassen zu sozialdemokratischen Zwecken und ähnlichem Unsinn mehr. Im allgemeinen konn ten sie nichts anderes zur Empfehlung ihrer Kandidaten sagen, als daß mit ihnen die Sozialdemokratie bekämpft werde. Darin erschöpften sich ihre Vorzüge". Durch dieses Tun und Treiben der Hirsch- Dunckerschen, Christlichsozialen , ,, Nationalen" und wie sich die Leute noch nennen, ist die Politik in die Krankenkassenverwaltungen hineingetragen wor den. Dort, wo seither noch Arbeitervertreter aller Partei­anschauungen harmonisch in den Kassenorganen oder in neu­tralen Körperschaften wie Arbeitervertretervereinen zusam menwirkten, hat nun alle Freundschaft ein Ende gefunden. Die Parteigegenfäße kommen im Verkehr weit mehr zum Ausdruck.

Bei der Wahl der Versichertenvertreter fämpften bei den größeren Kassen meist drei Listen un die höchstmögliche Stimmenzahl. Soweit sich übersehen läßt, machte durch­schnittlich ein Viertel oder ein Drittel der wahlberechtigten Rassenmitglieder Gebrauch vom Wahlrecht. Von seltenen Ausnahmen abgesehen, erhielt in den größeren Kassen die freigewerkschaftliche Liste minde stens drei Viertel der Stimmen und Mandate, auf die Gegner zusammen entfiel höchstens ein Viertel. In vielen Fällen er litten diese eine noch größere Niederlage. Bei den kleinen Kassen, namentlich den Betriebskrankenkassen, wurde meist nur eine Vorschlagsliste eingereicht, die sich in der Regel bunt zusammensetzte. Entsprechend den Bestimmungen der Wahl­ordnungen fand eine Wahl überhaupt nicht statt, wenn nur eine einzige Liste vorlag; die Vorgeschlagenen galten dann ohne weiteres als gewählt.

Wie haben sich die weiblichen Kassenmitglieder bei der Wahl verhalten? Die Frage ist deshalb wichtig, weil die neu hinzugekommenen Wählermassen sich zum weitaus größten Teil aus Frauen und Mädchen zusammenseßen. Die der Ver­sicherungspflicht neu unterstellten Personenkreise sind ja in der Hauptsache die landwirtschaftlichen Arbeiter, Dienstboten und Hausgewerbetreibenden. Die Landarbeiter gehören meist den Landkrankenkassen an, bei denen die Ausschußmitglieder