Nr.Z Die Gleichheit 39 nicht gewählt, sondern von den Behörden ernannt werden. Für die Wahlen bei den Ortskrankenkassen blieben deshalb hauptsächlich die Dienstboten und die Hausgewerbetreibenden übrig. Es war zum ersten Male, daß zum Beispiel die Dienst­boten in ihrer Gesamtheit ein öffentliches Wahlrecht aus­üben konnten. Die Wahlagitation ließ das auch deutlich erkennen. ES er­schien wohl kein Flugblatt, da» sich nicht auch besonders an die Frauen wendete und ihnen eindringlichst die Bedeutung der Wahl vor Augen führte. Die bürgerlichen Gegner der Arbeiterbewegung betrieben ganz besonders diese Art der Werbung. Sie taten so, als käme e» überhaupt nur darauf an, daß Frauen gewählt würden. Die Frage schien für sie keine Nolle zu spielen, welcher sozialen Schicht die Frauen angehörten, und ob sie geeignet und gewillt seien, die Inter­essen der Versicherten zu vertreten. Die weiblichen Versicher­ten waren so die umworbensten Wähler, und das von Leuten, die sich sonst mit Händen und Füßen gegen das Frauenwahl­recht sträuben. Die Dienstherrschaften gingen soweit, die Dienstboten zur Erzielungnationaler" Stimmen zu miß­brauchen. Wer das Wahltreiben beobachtete, dem boten sich gerade nach dieser Richtung hin beachtenswerte Bilder. Schüch­tern traten gleich nach Eröffnung der Wahl viele Dienstmäd­chen an die Urne, in den meisten Fällen offensichtlich auf Ver­anlassung dergnädigen Frau" oder des gestrengenHerrn". So kam in Zittau ein älteres Dienstmädchen zur Wahl, den unvermeidlichen Handkorb am Arme. Pflichtgetreu wird es belehrt, daß der Stimmzettel in der Zelle ins Kuvert zu legen und dann beim Wahlbureau abzugeben ist. Ratlos tritt das Mädchen zum Vorsitzenden:Der Herr Doktor hat ge­sagt, ich soll national wählen, welchen Zettel muß ich da nehmen?" Da keine Auskunft folgt, lenkt die Gehorsame ihre Schritte heimwärts, um sich weitere Anweisung beim Herrn Doktor zu holen. Kurz darauf will ein anderes Mädchen seinen Teil zum nationalen Wahlsieg beitragen. Der Name steht nicht in der Wahlliste, und so wurden ihre Personalien festgestellt. Ergebnis: 16 Jahre alt und noch nicht wahl­berechtigt. Das Mädchen gibt an, von der Herrschaft zur Wahl geschickt zu sein. Wie genau war die Herrschaft mit den Krankenkassenangelegenheiten bekannt I In Halle a. S. kam es vielfach vor, daß diegnädigen Frauen" gleich selbst mit dem Mädchen kamen und es sogar bis ins Wahlklosett be­gleiteten. Der Zettel des Gewerkschaftskartells wurde weg­genommen, weil eS nicht derrichtige" sei. Aus Leipzig wird berichtet, daßgnädige Frauen"ihre" Mädchen wie Stimm­vieh zum Wahllokal schickten. Auf dem Wahlausweis hatten viele Herrschaften schriftlich vermerkt:Liste 1 ist zu wählen". Wahlbeisitzer haben diese unzulässige Wahlbeeinflussung proto­kollieren lassen. ES ist zu beachten, daß Liste 1 diejenige des bürgerlichen Frauenwahlkomitees war. Die Frauenrechtle­rinnen beginnen also dieErziehung" der Dienenden zum Ge­brauch des Stimmzettels mit deni Kommando, einen be­stimmten Wahlvorschlag abzugeben, was sich dannFreiheit der Wahl" nennt. Aber dieser Kniff hat den Damen nicht viel genützt. Trotz seiner und obgleich ihre Liste von den Gegnern der freien Gewerkschaften kräftig unterstützt wurde, erhielt die Liste des Frauenwahlkomitees beziehungsweise der kauf- männischen Gehilfinnen nur 1195 Stimmen von 56 593 gül­tigen Wahlzetteln und ein Mandat im Ausschuß. Die Liste des Gewerkschaftskartells dagegen vereinigte 51 229 Stimmen auf sich und entsendet 55 Vertreter in die Körperschaft. Die bürgerliche Frauenrechtelei hat ihre angeblicheNeutralität" der kämpfenden Arbeiterklasse gegenüber ins rechte Licht ge- stellt. Sie selbst hat gezeigt, wie wenig ernst eS ihr mit den Komplimenten ist, mit denen sie gelegentlich den Gewerk­schaften um die Backen streicht. Auch die Krankenpflegerinnen und Frauen in anderen ganz oder halb bürgerlichen Berufen machten von dem neuen Rechte umfassenden Gebrauch. So s ch e i n t es, daß das Wahl­recht der Frauen bei dieser ersten Wahl seit der Einführung der Reichsversicherungsordnung der aufgeklärten Arbeiter­schaft nicht sonderlich zugute gekommen ist. DaS ist natürlich kein Grund, gegen da» Wahlrecht der Frauen zu wettern. Im Gegenteil I Die Erscheinung muß anspornen, die Aufklärung der Frauen über soziale Fragen noch energischer als bisher zu betreiben. Insbesondere müssen die Erfahrungen betreffs der Dienstboten dazu führen, noch kräftiger für den Zentral­verband der Hausangestellten als der freigewerkschaftlichen Organisation der Dienenden zu arbeiten. Wie die Wahl­beteiligung der weiblichen Mitglieder überhcucht ziffern­mäßig war, ist nur selten statistisch festgestellt worden, und zwar weil eS kein« oder nur unvollkommene Wählerlisten gab. Zweifellos war aber die Wahlbeteiligung der Frauen bedeutend größer als bei früheren Wahlen. Auch di« Zahl der zu Ausschußmitgliedern und de» weiteren zu Vorstands­mitgliedern gewählten Frauen ist gewachsen. Hoffentlich gibt die ebenfalls neugestaltete amtliche Statistik der Kranken­ versicherung Aufschluß hierüber. Mögen dis in Ehrenämter hineingewählten Frauen zeigen, daß sie die Interessen der weiblichen Versicherten zu wahren verstehen. ES wird dies ein Anstoß sein, daß die Erweiterung sozialer Frauenrechte voll genutzt und so ausgedehnt wird, daß dem kleinen Fort­schritt größer« Reformen folgen. h'.. Bei den Spielwarenmachern im sächsischen Erzgebirge . Die sächsischen Unternehmer hatten von ihrem Standpunkt aus ganz recht, als sie anläßlich der Hygieneausstellung in Dresden die von der Generalkommission der Gewerkschaften geplante Heiniarbeitsausstellung vereitelten. Diese Ausstel­lung hätte Elendsbilder gezeigt, denn man kann die Heim­arbeit nicht anders schildern, als sie in Wirklichkeit ist. Sach­ sen ist eine Domäne der Heimarbeit. Hier findet man sie nicht nur in den Städten, hier hat sie in den entlegensten Dörfern festen Fuß gefaßt. Da ist die Lausitz mit ihren Handwebern, die sächsische Schweiz mit ihrer Blumenindustrie, da ist das Erzgebirge , wo Spitzenklöppelei. Posamentenuäherei, die Herstellung von Korb- und Blechwaren, von Strümpfen und Handschuhen, Perlsachen, Wäsche und Spielzeug usw. als Heimarbeit betrieben wird, das Vogtland mit der heimindu­striellen Weberei und Stickerei. Wer das Elend der Heimarbeitenden mit eigenen Augen sehen will, wandere durch da» sächsische Erzgebirge . In Olbernhau , Marienberg , Grünhainichen sitzen hauptsächlich die Verleger der Spielwaren. Sie beschicken die Messen und Märkte und versorgen nicht nur Deutschland , sondern auch das Ausland niit den Erzeugnissen der Heimarbeit. Trotz der hohen Zölle hat der Export der erzgebirgischen Spielwaren nach den verschiedensten Ländern zugenommen. Die Dörfer, wo die meisten Spielwaren angefertigt werden, liegen weiter ab, auf den Bergen. Fast in jeder Hütte dort trifft man Spiel­warenmacher an, weil es andere Erwerbszweige nicht gibt. Die Spitzenklöpplerin mit ihrem Sack ist hier nicht zu fin­den, denn ohne Frauen- und Kinderarbeit könnte der Spiel­warenmacher gar nicht existieren. Was wird in den Dörfern nicht alles angefertigt! Sol­daten, Kegelspiele, Holzgriffe für Werkzeuge, Rahmen für Bilder, Wiegen, Puppenstuben, ganze Möbelausstattungen dafür, Windmühlen, Sparbüchsen, Knöpfe, Nadelbüchsen, Thermometergehäuse, Kinderklaviere, Baukasten, Schach­bretter, Federkasten, Kinderschaufeln, die ganze Tierwelt und noch vieles mehr. Die Heimarbeit ist sehr alt und sollte als rückständige Pro­duktionsform überwunden sein. Aber der Kapitalismus hat sich ihrer bemächtigt und sie seinem Profitbedllrfnis dienstbar gemacht. Und der ganzen Sachlage entspricht eS, daß wir bei der heimindustriellen Spielwarenfabrikation eine weitver­zweigte Arbeitsteilung finden. Der Heimarbeiter muß ja die Maschine ersetzen, di« flinken Hände müssen noch billiger ar­beiten als sie. Die Arbeitsteilung ist eine Voraussetzung da-