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Die Gleichheit
Nr. 3
für, davon abgesehen, daß sie die Mitarbeit der Familie ermöglicht. Der Spielwarenmacher als Hausindustrieller ist „selbständig". Er kauft das Holz selbst ein, ebenso die verschiedenen anderen Rohmaterialien, deren er bedarf, wie Nägel, Leim, Farbe, Samt, Goldborte, Glas, Spiegel usw., je nach dem Auftrag, den er gerade hat. Spezialisten sind die T i e r- macher, sie stellen tagaus, tagein irgendein Tier her. Ihr Rohmaterial ist Holz, Farbe und Leim. Der Baumstamm wird gespalten, zersägt, und die Klötze kommen dann in die Dreherei, wo der Spielwarenmacher selbst gegen eine jährlich zu entrichtende Pachtsumme das Holz ausdrehen kann oder es dem Dreher in Auftrag gibt, der die Arbeit im Akkord übernimmt. Trotz der herrschenden einfachen Arbeitsformen haben sich die Dreher zu einer Zunft zusammengeschlossen. Bei ihnen ist es anders als bei den Heimarbeitern. Sie arbeiten zusammen in der Fabrik und konnten bestimmend auf ihre Lohnverhältnisse einwirken. Die Dreher bilden aber nur eine kleine Gruppe der Spielwarenmacher. Vierfüßler werden in der Regel nicht einzeln gedreht, sondern aus Reifen gespalten. Zu diesem Zweck werden von etwa 80 Zentimeter starken Stämmen je nach Bedarf gegen !> bis 12 Zentimeter starke Scheiben mit der Säge abgeschnitten, und zwar quer zur Holzfaser. Diese Scheiben zeigen also oben und unten Hirnholz mit den sämtlichen Jahresringen des Stammes. Sie werden vom Reifendreher auf der Drehbank so ausgearbeitet, daß sie einen Reifen bilden und daß dieser Reifen wiederum im Querschnitt der Form des herzustellenden Tieres entspricht. Das ist eine Kunst für sich, denn gemessen und probiert wird dabei nicht. Der Reifendrechsler muß es im Griff haben, daß der Reifen außen wie die Rückenlinie des Tieres gewölbt, innen wie die Bauchlinie ausgehöhlt ist, die um die Füße herumgeht. Der Heimarbeiter spaltet dann diese Reifen in kleine Scheiben, und die Rohform der Tiere ist fertig. Die fertigen Reifen haben ungefähr die Forin eines runden Napfkuchens oder Gugelhopfs, der in der Mitte ein recht großes Loch hat. Nur muß man sich die Kuchenform so denken, daß die daraus geschnittenen Scheiben, flach auf den Tisch gelegt, den Umriß eines Pferdes, Schafes oder dergleichen aufweisen. Ter Laie kann sich nur schwer ein Bild von der Arbeit eines Reifeu- drehers machen. Sie wird ihm vielleicht verständlicher, wenn er einmal ein Dutzend gleich großer hölzerner Pferdchen oder Rinder auf den Schwanz stellt und mit den Seiten aneinanderlegt: er hat dann ein Stück des Holzreifens vor sich, aus dem die Tiere angefertigt worden sind. Qhren, Hörner, Schwänze muß man sich natürlich dabei fortdenken. Diese Teile sind nicht angedreht, sondern werden erst später eingeleimt. AuS einem solchen Reifen lassen sich mehrere Dutzend Tiere herstellen. Die erzielten Ztohformen der Tiere werden feucht gemacht, ins Wasser gelegt, weil sie sich dadurch besser verarbeiten lassen. Die Frau hilft nun mit, sie schneidet die Glieder des Tieres aus. Das geschieht niit fabelhafter Geschwindigkeit in Massen. Aber trotz der langjährigen und einseitigen Übung gehört ein großes Maß von Geschicklichkeit dazu, wenn bei der Arbeit am Liefertag etwas verdient werden soll. Die Ware muß getrocknet werden. Das geschieht in der Behausung des Heimarbeiters, auf dem Ofen, der zu diesem Zweck eine besonders große Röhre besitzt und genügend Raum oben hat, wo die Tiere aufgelegt werden können. Nachdem die Schwänze und Hörner angeleimt worden sind, wird die geschnitzte Ware in eine Farblösung getaucht oder bemalt, und das Spielzeug ist fertig. Die Herstellung von Holzsoldaten ist wieder anders. Die Form wird gedreht. Der Arbeiter oder die Arbeiterin hat nur zu leimen und zu färben. Für die Herstellung der Soldaten— bayerischer, preußischer, sächsischer usw. mit den ver- schiedensten Uniformen— bedarf es vieler Farben. Und der Verdienst dafür? Für das Schock 60 Pf., also 1 Pf. pro Stück, für die Arbeit, fix und fertig. Holz, Farbe. Leim, Feuerung, Licht, alles zusammen. Bei 60 Pf. Verdienst gehen ungefähr 30 Pf. für Materialunkosten ab. Ich habe Spielmacherfann-
lien angetroffen, die auf ein Jahreseinkommen von 800 Mk. zu rechnen haben, wenn Mann, Frau und zwei erwachsene Kinder ihre Arbeitskraft aufs äußerste anstrengen. Ein altes Ehepaar macht Pferdegeschirre. Beide müssen fleißig arbeiten, um in der Woche 9 bis 10 Mk. reinen Arbeitsverdienst zu haben, und da hilft noch die Tochter mit das Geschirr nähen. Vergleicht man mit dem Verdienst die Preise, die in den Spielwarengeschäften und Warenhäusern für Pferdegeschirre gefordert werden, so sieht man daß der Heimarbeiter der Ausgebeutete ist, er erzeugt den Wert, den Profit stecken Verleger, Zwischenhändler, Grossisten oder die Ladeninhaber ein. Kann den Heimarbeitenden in der Spielwarenindustrie geholfen werden? Ein älterer Arbeiter erzählte, daß er sich schon seit Jahren mit dem Gedanken einer Verbesserung seiner Lage beschäftige. Er habe sein Holz in Auktionen und bei Händlern gekauft, er habe seine Arbeit verschieden eingeteilt, nie sei es ihm gelungen, dadurch seinen Arbeitsverdienst zu erhöhen. Ein Zusammenschluß aller Heimarbeitenden seiner Branche sei heute noch nicht möglich, weil sich die einzelnen untereinander Konkurrenz machen. Eine Besserung sei nur möglich, wenn alle Spielwaren nur durch eine Person am Ort bestellt und geliefert würden, so daß diese Konkurrenz untereinander mit dem Unterbieten ausgeschlossen werde. „Es müßte ein Kartell oder Syndikat gebildet werden, wie es die Großen draußen im Lande machen." So unklar spiegelt sich in den Köpfen vieler Armen im Gebirge, die fern vom Gebiet des modernen Wirtschaftslebens dahinvegetieren und ihm doch angegliedert sind, das Bild der kapitalistischen Produktion wider mit ihrer gewaltigen Konzentration. Die sozialdemokratische und gewerkschaftliche Agitation dringt allmählich Licht verbreitend auch in diese abgelegene Welt. Der Deutsche Holzarbeiterverband insbesondere hat schon vielen Arten von Heimarbeitern Aufklärung gebracht und in der gewerkschaftlichen Organisation einen Weg gezeigt, der besseren Arbeits, und Existenzbedingungen entgegenführt. Sein Wirken wird auch in steigendem Maße die erzgebirgischen Spielwarenmacher erfassen. Sie sind um so schwerer für die Organisation zu gewinnen, je elender es ihnen geht. Am zugänglichsten erwiesen sich seither die Reifendreher, die zwar selbständig, aber doch gemeinsam arbeiten. In einigen Branchen, so bei den P u p p e n m ö b e l m a ch e r n in Eppendorf, wird die Heimarbeit alten Stils durch die teil- weise fabrikmäßige Herstellung abgelöst. Die jungen Leute gehen zur Fabrik, während die alten und die verheirateten Frauen daheim die vorgearbeiteten Teile zusammenbauen oder sonst weiter bearbeiten. Hier kann der gewerkschaftliche Einfluß kräftiger und erfolgreicher einsetzen. Bei diesem Verhältnis ist der einzelne nicht mehr in dem Maße„selbständig" wie der Pferdchen- oder Schafmacher. Sein Interesse ist auch für ihn erkenntlich als gleich mit dem des Nachbars . Wie unklar und rückständig bei den Spielwarenmachcrn noch die Auffassung der wirtschaftlichen Verhältnisse und damit ihrer eigenen Lage ist, das kommt auch zum Ausdruck in ihrer Stellung zur Kinderarbeit. Di« bürgerlichen Gesetzgeber haben sich viel darauf eingebildet, daß sie die gewerbliche Kinderarbeit beschränkt und geregelt haben. Was ist aber damit für die Heimarbeiter selbst erreicht? Regierung und bürgerliche Parteien haben sich gehütet, an den Kernpunkt der Heiniarbeitsfrage zu rühren, an die Lohnfrage. Der Spielwarenmacher hat seine Kinder aus Not als Hilfskräfte eingespannt, weil sein eigener Verdienst zu gering war, die ganze Familie zu erhalten, weil auch die Mitarbeit der Frau und Mutter das Einkoinmen nicht um soviel zu steigern vermochte, daß alle hungrigen Mäuler satt geworden wären. Die Not zwingt ihn auch heute noch, seine Kinder rücksichtslos zur Arbeit heranzuziehen. Ter Spielwaren macher kann sich Leben und Arbeit ohne die mithelfenden Kinder gar nicht vorstellen. Er ist ein überzeugter Anhänger der Kinderarbeit überhaupt. Ich hatte Gelegen- hett, die Verhältnisse in mindestens einem halben Hun-