Nr. 4

24. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mart.

Inhaltsverzeichnis.

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Stuttgart

12. November 1913

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Monarchenfabritation von Gottes Gnaden. Eine Ursache des Ge­burtenrückgangs. IV. Von Heinrich Vogel . Die Arbeiterschaft der Bürsten- und Pinselindustrie. Von fk. Fünfte Generalversamm lung des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht zu Eisenach . Aus der Bewegung: Eine sozialdemokratische Frauenkonferenz für die Provinz Schleswig- Holstein und das Fürstentum Lübeck . Von der Agitation. Politische Rundschau. Von a. th.- Gewerkschaft­liche Rundschau.-Internationale Seidenfärberkonferenz in Zürich . Von ss. Genossenschaftliche Rundschau. Von H. F. Notizenteil: Dienstbotenfrage. Frauenarbeit auf dem Gebiet der Industrie, des Handels- und Verkehrswesens. Soziale Gesez­Soziale Gesez gebung. Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Frauen bewegung Frauenstimmrecht. Die Frau in öffentlichen Ümtern.

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Sittlichkeitsfrage.

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Monarchenfabrikation von Gottes Gnaden. Dem deutschen Volk ist Heil widerfahren. Haben die herr­schenden Gewalten etwa für Brot und Obdach der Arbeits­losen, ihrer Frauen und Kinder gesorgt, haben sie durch ein gesichertes Koalitionsrecht das Ringen der Lohnsklaven um eine menschenmürdige Existenz erleichtert, in Preußen und anderwärts den Hunger des Proletariats nach politischen Rechten gestillt? Oder sollten sie sich dazu entschlossen haben, der kapitalistischen Ausbeutung des Menschen durch den Men­schen enge gesetzliche Schranken zu ziehen, ohne Rücksicht auf die Tränen der gefränften Kruppclique und ihresgleichen dem Wahnsinn des Wettrüstens Einhalt zu tun, durch Ab­fehr vom Zoll- und Steuerwucher Brot und Fleisch zu ver­billigen? Schäme dich, deutscher Michel, deine Gedanken und dein Wünschen auf so grob materielle Dinge zu richten! Die Herrschenden und Regierenden wissen besser, was dir frommt. Ideale Güter sind es, und vor allem das heiligste Gut, das der beschränkte Untertanenverstand kennt und das ihn reichlich dafür entschädigt, wenn er Steine statt Brot und Fußtritte dazu erhält: Monarchen von Gottes Gnaden. Das deutsche Volk hatte noch nicht genug an 21 dieser Erlauchten, die laut urkundlicher Bescheinigung in einem ganz besonderen Ver­hältnis zum Herrn der himmlischen Heerscharen stehen. Um seinem dringendsten Bedürfnis abzuhelfen, mußten zwei wei­tere Monarchen von Gottes Gnaden fabriziert werden, aller­dings auf höchst unmystische irdische Weise, ja sogar unter der plebejischen Mitwirkung konstitutioneller, parlamentarischer Kräfte. Doch was tut's! Paris vaut bien une messe! Paris ist eine Messe wert, und der Zwed hat von jeher nicht bloß für die Jesuiten das Mittel geheiligt, sondern auch für fatho­lische wie gut protestantische Fürstengeschlechter.

So ist nun für Bayern und Braunschweig die monarchen­lose, die schreckliche Zeit endlich vorüber. Allerdings schien es für Braunschweig und das ganze Deutsche Reich schon seit langem keine Frage mehr, ob und unter welchen Bedingungen der Herzogsthron von einem Sprößling jenes Welfen­geschlechts bestiegen werden konnte, das seit 1714 Exportgut von Gottes Gnaden aus Deutschland nach England und später wieder aus England nach Deutschland lieferte. Diese Bedingungen waren forafältig umschrieben festgelegt, und felt

Zufchriften an die Redaktion der Gleichbeit find zu richien an Frau Klara Zetkin ( Zundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.

1885 hat eine fürstliche Regentschaft ohne Gottes Gnade, aber mit des Himmels Segen darüber gewacht, daß die Vorrechte der Besitzenden nicht angetastet würden, die gut bürgerlichen Geschäfte vom Ministeramt bis zum Bordell ihren Mann nährten und die wahlrechtslose Canaille tuschen mußte. Das Blättchen hat sich jedoch von dem Augenblick gewendet, wo der welfische Prinz von Cumberland die Tochter des näm­lichen Königs von Preußen freite, dessen allerhöchstseliger Großvater 1866 die Krone von Hannover einsteckte, die der Vorfahre des Hochzeiters trug. Da beide Monarchen von der Gnade des christlichen Gottes waren, dessen Walten nicht wie jenes der altheidnischen Stammesgötter an der Landesgrenze haltmacht, fönnte dieses Geschehen ungläubige Gemüter an das Wort Friedrichs II. von Hohenzollern erinnern, daß der Herrgott immer bei den stärksten Schwadronen sei. Doch zurück zu der Verbindung zwischen dem welfischen Löwen und dem Hohenzollernaar.

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Die Familiensache der beiden Fürstenhäuser wurde für Braunschweig , Preußen, für das ganze Deutsche Reich zu einer hochwichtigen" politischen Angelegenheit, ja zu der Angelegenheit schlechthin, die monatelang die patentierten Staatsweisen in Atem hielt. Sie trug die Frage in ihrem Schoß, ob nun ungeachtet der, umstürzlerischen" Agitation der unversöhnlichen Welfenpartei die Zeit erfüllet sei, daß ein angestammter welfischer Monarch von Gottes Gnaden Braunschweig regiere. Sigung über Sizung hat der hohe Bundesrat geschwitzt, um aus alten Scharteken und kunstvoll gedrechselten Erwägungen das sinnig- minnige Ja zusammen­zuleimen, das die Situation heischte. Wie vorteilhaft sticht die Raschheit seines Entscheids und sein frischer Wagemut von der schwerfälligen Langsamkeit ab, mit der die verehrliche Körperschaft arbeitet, wenn es um proletarische Forde­rungen geht! Der Bundesrat kann also, wenn er will, wenn er wollen muß. Des mögen die Habenichtse eingedenk sein, die eines anderen Obdachs als eines verstaubten, frisch polier­ten Thronhimmels bedürfen und anderer Speise als der Schmeicheleien friechender Höflinge. Nun hat der Cumber­länder seine" Landeskinder und das braunschweigische Volk seinen" Landesvater. Alles eigens von Gottes Gnade. Er­füllt von hoher Freude und tief bewegt" haben das die Mi­nister zu deutsch Diener dem braunschweigischen Land­tag bescheinigt, einem der abscheulichsten Geldsacksparlamente, durch das Deutschland geschändet wird. Der feierliche Einzug des neugebackenen Herzogspaars hat unter Glockengebimmel, Handwerker- und Kriegervereinsaufmärschen und anderem Klimbim den Schlußpunkt hinter diese Episode gesetzt, die mit ihrem Um und Auf in den Beiten des weltumspannenden kapitalistischen Imperialismus wie ein Puppenspiel aus Krähwinkel anmutet.

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Und in Bayern ? 27 Jahre lang ist hier ein Bedauerns­werter Rönig gewesen, dem Gottes Gnade zwar die Krone gegeben hat, aber nicht den gesunden Verstand, das Zepter auch nur nach den Bindfäden zu führen, die die Hände der befizenden und berrschenden Klaffen aiehen. 27 Jabre Iana