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Die Gleichheit

durch die Beschränkung der kapitalistischen Ausbeutungs­macht. Die Mutterschaft der erwerbstätigen Frauen muß von Jugend auf durch eine umfassende und durchgreifende Ar­beiterschutzgesetzgebung verteidigt werden. Eine gute und wirksame Gewerbeaufsicht hat für strengste Durchführung der gesetzlichen Vorschriften zu sorgen. Ein gesichertes Koalitions­recht muß es den Gewerkschaften ermöglichen, auch die Ar­beiterinnen immer fester zusammenzuschließen und für sie höhere Löhne zu erringen. Die Versicherungsgesetzgebung hat die Pflicht, in ausreichenderer Weise den Schwangeren und Wöchnerinnen beizustehen. Die gesamte bürgerliche Gesell­schaft, Reich, Staat, Gemeinden müssen sich die Fürsorge für die Mutter und den Säugling mehr angelegen sein lassen. Kurz, die Losung heißt: Schutz der Mutterschaft gegen die fapitalistische Ausbeutung, Hilfe und Fürsorge für Mutter und Kind durch die Allgemeinheit.

Von dieser Losung wollen aber gerade die bürgerlichen Kreise nichts wissen, die Krokodilstränen über den Geburten­rückgang vergießen. Wo war denn die Rücksicht auf den ,, Reich­ium und die Wehrtüchtigkeit des deutschen Vaterlandes", als es sich bei der Reichsversicherungsordnung darum handelte, den Müttern und Säuglingen ein klein wenig mehr Schutz und Unterstützung angedeihen zu lassen? Da stimmten Kon­servative und Zentrümler die sozialdemokratischen Forde­rungen nieder. Die Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen können die bürgerlichen Predigten gegen die Geburtenbeschränkung mit Fug und Recht als eine bodenlose, unverschämte Heuchelei zurückweisen. Je mehr sich aber die besitzenden Klassen und ihre politischen Sachwalter gegen einen wirklichen Mutter schutz sträuben, um so größer ist die Pflicht der Arbeiterklasse, dafür zu kämpfen. Nicht künstliche Geburtenbeschränkung, or­ganisierter Kampf für das Recht der Arbeit, für das Recht von Mutter und Kind gegen die Gewalt und Unbill der kapitali­ stischen Ordnung, das ist es, worauf es ankommt. Wahr bleibt, was Heinrich Heine gesungen hat: Es wächst hie­nieden Brot genug für alle Menschenfinder." Die sozialistisch gesinnten Proletarier und Proletarierinnen müssen es er­zwingen, daß ihr Brot denen zuteil wird, die da pflügen, säen, ernten und die Tische bestellen. Das arbeitende Volk soll sich nicht durch die Peitsche des ausbeutenden Kapitalismus diktieren lassen, wie groß seine Nachkommenschaft sein darf. Wenn es heute ungezählte Müßiggänger in Luxus und Schwelgerei erhalten muß, so kann es auch für sich und sein Fleisch und Blut ein menschenwürdiges Dasein fordern. Heinrich Vogel.

Die Arbeiterschaft

der Bürsten- und Pinselindustrie. Mit der Herstellung von Bürsten- und Pinselwaren werden zu einem großen Teil Arbeiterinnen beschäftigt, in der eigent­lichen Pinselfabrikation überwiegt deren Zahl sogar die männlichen Arbeitskräfte. Ein anderes eigentümliches Merk­mal dieser Industrie ist das Nebeneinander von modernem Großbetrieb, in dem die weitestgehende Arbeitsteilung besteht, und dem kleinen Meister, der seine Bürsten von Anfang bis Ende mit Hilfe seiner Familienangehörigen selbst herstellt. Außerdem findet sich noch Heimarbeit vor, die für den Groß­betrieb liefert. Wie im Großbetrieb die einzelnen Arbeits­verrichtungen auf viele Personen verteilt sind, so hat sich auch in der ganzen Industrie eine gewisse Teilung der Pro­duftion herausgebildet. Der eine Betrieb stellt nur Bürsten, der andere nur Pinsel her. Es gibt ferner Betriebe, die Halbfabrikate liefern, vor allem Bürsten hölzer. Es find dies die Hölzerfabriken. Eine weitere Gattung bilden die Borstenzurichtereien, die das Rohmaterial vor­arbeiten. Schließlich existieren sogenannte gemischte Be­triebe", in denen sowohl die eine wie die andere Spezialität nebeneinander betrieben wird.

Das Gewerbe der Bürstenmacher ist zwar über ganz Deutschland verbreitet, doch haben sich schon von alters

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her gewisse Zentren dafür herausgebildet, die nicht nur den heimischen Markt, sondern auch den ganzen deutschen Ex­port beherrschen. Nach der Betriebszählung vom Juni 1907 waren in dieser Industrie in Deutschland 5555 Betriebe vor­handen, von denen aber nur 558 je 6 bis 50 Arbeiter und nur 89 Unternehmer je über 50 Arbeiter beschäftigten. Ins­gesamt zählte man 18 750 Arbeiter in Betrieben und 4556 Heimarbeiter. Unter der Arbeiterschaft der Betriebe befanden sich 6155 Proletarierinnen, unter der Heimarbeiterschaft allein jedoch 4070. Die ganze Industrie verwendete danach rund 13 000 männliche und 10 200 weibliche Arbeiter. Hier­von entfielen auf das Königreich Sachsen 2734 Betriebs­und 1418 Heimarbeiter, auf Nordbayern 3383 Betriebs­und 389 Heimarbeiter, auf Baden 1795 Betriebs- und 1229 Heimarbeiter und auf Schlesien 1535 Betriebs­und 176 Heimarbeiter. Innerhalb dieser Landesteile ist die Bürsten- und Pinselindustrie in bestimmte Zentren zu­fammengedrängt. So im Gebiet von Schönheide im sächsischen Erzgebirge und in der Gegend von Todtnauimbadischen Schwarzwald, wo Bürsten hergestellt werden. In Schlesien hat Striegau eine Bür­stenfabrik mit 700 Beschäftigten. Die Pinselfabrikation da­gegen hat ihre Zentrale in Nürnberg , wo in diesem Sommer ein langwieriger Kampf zwischen Arbeitern und Unternehmern tobte. Vierzehn größere Fabriken der Bürsten­und Pinselindustrie beschäftigen zusammen rund 4000 Per­sonen. Diese Fabriken befinden sich in Striegau ( 700 Ar­beiter), Nürnberg ( 618 und 156), München ( 437), Schönheide ( 360, 195 und 174), Halle( 246), Lauf( nur Bürstenhölzer, 213), Erlangen ( 189), Quakenbrück ( 188), Ravensburg ( 175), Herford ( 170) und Schmölln ( 157 Arbeiter).

Für die Arbeiter und Arbeiterinnen der Pinsel- und Bürstenindustrie hat die zuständige Berufsorganisation, der Deutsche Holzarbeiterverband, im November­Dezember 1912 Erhebungen veranstaltet, deren Ergebnisse jetzt in einer 70 Seiten starken Broschüre vorliegen. Die Statistik hat allerdings nicht alle Arbeiter dieses Gewerbe­gebiets erfaßt. Viele von ihnen sind in Kleinbetrieben zer­streut, und einzelne Bezirke sind der Organisation noch nicht angeschlossen, so vor allem der stark mit Heimarbeitern durch­setzte Todtnauer Bezirk. Immerhin ist der erfaßte Personen­freis von rund 10 000 groß genug, um ein zutreffendes Ur­teil über die Lage dieser Arbeiterschaft zu ermöglichen. Die Verbandsstatistik erstreckte fich auf 418 Betriebe mit 9872 Beschäftigten( ausschließlich der Heimarbeiter, von denen nähere Angaben nicht vorliegen), nämlich:

223 Bürstenmachereien mit 1322 44 Pinselmachereien

Männliche Weibliche Jugendl . Arb. Arbeiter Arbeiter u. Lehrlinge 735

Helm­arbeiter

190

1034

#

910

1034

209

209

21 Hölzerfabriken

F

489

66

51

25

17 Zurichtereien 113 gemischte Betriebe

W

110

161

24

45

2600

1582

889

1358

5431

3578

863

2671

Die Arbeitszeit schwankte in diesen Betrieben zwischen 52 und 66 Stunden wöchentlich. Allerdings wurden auch 6 Be­triebe mit 44 Arbeitern gefunden, deren Arbeitszeit noch unter 52 Stunden herabgeht, während 1 Betrieb mit 10 Ar­beitern über 66 Stunden hatte. Am häufigsten waren die Arbeitszeiten von 58 bis 61 Stunden. Immerhin ist be­achtenswert, daß dank dem Einfluß der Organisation die Arbeitszeit für 2150 Beschäftigte nur noch 9 Stunden und weniger täglich beträgt, allerdings befanden sich darunter 1600 Arbeiter und Arbeiterinnen aus Nürnberg , die eine Arbeitswoche von 52, Stunden erreicht haben. Die reinen Pinselmachereien haben die kürzeste Arbeitszeit, was zum großen Teil auf die Rechnung der Verhältnisse in der Groß­stadt Nürnberg gesetzt werden muß. Die mehr in entlegenen Gegenden oder Gebirgsdörfern fizenden gemischten Betriebe und Hölzerfabriken weisen die längste Arbeitswoche auf. Ge­rade in der Frage der Arbeitszeit wirkt die Umgebung erheb­