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Die Gleichheit

1998 030 Personen. Der Stand beider Genossenschaften am 1. Januar 1911 zeigt also ein völlig verändertes Bild zugunsten der Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht. Es waren, wenn man den Gegenstand des Unternehmens in Betracht zieht, die Kreditgenossenschaften, darunter auch die Darlehenskassenvereine, die den größten Mitgliederbestand im Jahre 1911 wie auch im Jahre 1907 aufweisen. Besonders starter Zunahme erfreuen sich die landwirtschaftlichen Rohstoffgenossenschaften, Werkgenossen­schaften und Magazingenossenschaften.

Notizenteil. Dienstbotenfrage.

H. F.

Eine Petition gegen die neue Krankenversicherung der Dienst­boten bereiten unter tätiger Mitwirkung der Hausfrauen­vereine die Damen des guten Mittelstandes" in Berlin  vor. Diese Gnädigen" find weder von dem Zoll- und Steuer­wucher noch von der politischen Rechtlosigkeit des weiblichen Ge­schlechts bewegt worden, sich zusammenzuschließen und Forde= rungen zu erheben. Sie haben es seelenruhig hingenommen, daß Agrarier und Großkapitalisten die Kosten der Lebenshaltung un­geheuerlich verteuert haben, nur um die eigenen Taschen zu füllen. Kein Löckchen des wohlfrisierten Turmbaus zu Babel auf ihren Häuptern hat vor Entrüstung darüber gezittert, daß den deutschen Frauen wie Kindern, Geistesschwachen und bürgerlich Ehrlosen das politische Wahlrecht vorenthalten wird. Das dürftige Recht aber, das die Reichsversicherungsordnung im Falle von Krankheit den Dienenden und häuslichen Arbeiterinnen reicht, hat es den Damen angetan. In einer Petition wollen sie den Reichstag   dazu veranlassen, die Reichsregierung zu ersuchen, das Inkrafttreten der Versicherungspflicht für Dienstboten am 1. Januar aufzu= heben". In Versammlungen wie beim Einkaufen, in den Straßen­bahnen, beim Kaffeeklatsch, in jeder Familie soll eifrigst für die Eingabe agitiert werden. Biele Berliner   Blätter schüren diese Agitation auf das gehässigste, und auch außerhalb der Reichs­hauptstadt findet sie ein starkes Echo. Das beweisen unter an­derem Auslassungen der Kölnischen Zeitung  ". In Breslau  hat bereits eine ähnliche Bewegung wie in Berlin   eingesetzt, in anderen Städten dürfte sie nicht ausbleiben. Zeitungsspalten und Kaffeekränzchen sind erfüllt von dem Gejammer darüber, daß in­folge der Reichsversicherungsordnung bei Krankheit mehr für ..ganz gewöhnliche" Dienstmädchen gesorgt ist als für manche bessere Frau und höhere Tochter, die ihnen standesgemäß" müßiggehend kommandiert. Schauderhaft, höchst schauderhaft! Steht das Weltende nicht vor der Tür? Oder wenigstens der Kladderadatsch der gottgewollten, polizeilich besiegelten bürger­lichen Ordnung?

Das verlogene Um und Auf des Petitionssturmes macht uns gewiß nicht blind dafür, daß in dem Widerstand gegen die Kran= tenversicherungspflicht der Dienenden auch wahre Not zum Aus­druck kommt. Viele Familien des alten und neuen Mittelstandes -die bürgerliche Intelligenz inbegriffen befinden sich durch­befinden sich durch­aus nicht in rosiger Lage. Auch hier ist Schmalhans Küchen­meister. Das Gehalt der Lehrer, der unteren und mittleren Be­amten und Angestellten in öffentlichen und privaten Diensten ist knapp bemessen, die übermächtige Konkurrenz der großen Unter­nehmungen reißt den kleinen Geschäftstreibenden das Brot vom Munde weg. Und der Schein bürgerlich wohlhabender Lebens­haltung soll um jeden Preis gewahrt werden. Allein trotz alledem sind wir außerstande, Zähren in die Bäche der Krokodilstränen tröpfeln zu lassen, die bürgerliche Blätter über die erdrückende Belastung" notleidender Herrschaften vergießen. Der liebe Mittel­stand fällt in verbohrt reaktionärer Gesinnung der Arbeiterklasse in den Arm, wenn sie durch den gewerkschaftlichen und politischen Kampf die Macht des ausbeutenden und herrschenden Kapitals zügeln will. Er macht sich kurzsichtig zur Stüße der bewährten Wirtschaftspolitik", die den Lebensbedarf verteuert; zum Hand­langer des Militarismus, der Milliarden dem Rüstungswahnsinn opfert und nichts für die auskömmliche Besoldung von Beamten, Lehrern usw. übrig läßt; zum Lakaien des Gottesgnadentums, deffen Glanz die bürgerlichen Damen in den Ausstattungsunter­röcken einer preußischen Prinzessin ehrfürchtig bestaunen und den auch sie in Gestalt erhöhter Zivillisten und Apanagen zahlen müssen. Wenn das Elend der guten bürgerlichen Hausfrauen so schwarz ist, wie es die Damen herzbrechend erzählen, so mögen sie den Kampf dagegen am rechten Ende aufnehmen. Nicht durch einen Sturmlauf wider das bescheidene soziale Recht, das die Reichsversicherungsordnung den Dienenden sichert. Nein, durch die

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ernste Auflehnung gegen die kapitalistische Politik des Jmperia­lismus, die den Kleinen den letzten Heller abpreßt und den Großen mit Scheffeln gibt. Die Dienenden müssen an ihrem Teil zu dem politischen Erziehungswert an ihren Herrschaften bei­tragen, das Voraussetzung eines solchen vernünftigen Kampfes gegen hart empfundene Zustände ist. Sie dürfen sich auch nicht ein Tüpfelchen ihrer Rechte von den Gnädigen" abhandeln und abschmeicheln lassen; sie dürfen die öffentlichen Gewalten nicht im Zweifel darüber lassen, daß sie sich nicht mit weniger Reform begnügen, sondern mehr fordern; sie müssen durch ihre steigende Organisierung bekunden, daß sie erkämpfen werden, was ihnen gebührt.

Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.

Der freie Sonnabendnachmittag in Holland  . De Textiel. arbeider", das Drgan des holländischen Textilarbeiterverbandes De Eendraacht" berichtet, daß auch in Holland   der Gedanke des freien Sonnabendnachmittag marschiert. Nach langer und mühevoller Agitation ist es gelungen, ihn in zwei weiteren Orten zu erringen: in Neede   und Haarlem  . In dem ersteren Orte bestand er schon für die Sommermonate. Durch das Eingreifen des Verbandes ist er jetzt auch für die Wintermonate eingeführt worden. In Haarlem  , wo die Organisation erst seit kurzer Zeit festen Fuß gefaßt hat, wurde die Neuerung erst probeweise eingeführt. Die Leitung des Verbandes hat das Zutrauen zu den Organisierten in Harlem  , daß sie den Fortschritt erhalten werden. Sie hofft ferner, daß nunmehr die Unternehmer von Enschede   sich nicht länger weigern werden, ebenfalls den freien Sonnabendnachmittag einzuführen. Diese Hoff nung erscheint um so begründeter, als sich der Gemeenteraad" von Enschede   bereits mit der Frage beschäftigt hat, den freien Sonn abendnachmittag für die Gemeindearbeiter zu gewähren. Ein ent sprechender Antrag wurde angenommen, und auch eine Anzahl Textilunternehmer haben dafür gestimmt. De Textielarbeider" knüpft an diese Mitteilung die Bemerkung, daß die Herren Unter nehmer doch im Gemeinderat feine andere überzeugung betätigen könnten als in ihren eigenen Betrieben. Also nicht nur in Deutsch­ land  , auch im Ausland geht es mit der Einführung des freien Sonnabendnachmittag vorwärts.

Soziale Gesetzgebung.

SS.

Die Krankenkassenwahlen in Augsburg   liegen nun hinter uns. Zunächst wurde zur Ortskrankenkasse gewählt. Von 6345 gültigen Stimmen erhielt die Liste der Christlichnationalen 2268, die der freien Gewerkschaften 3235. Recht fläglich nahmen sich die 342 Stimmen aus, die auf die Hirsch- Dunckerschen Kandidaten entfielen und die ihnen 3 Vertreter im Ausschuß brachten. Die Christlichen   zählten deren 21, die freien Gewerkschaften 31. Das kaufmännische Personal sicherte sich mit 500 Stimmen 5 Vertreter. Leider hat ein sehr großer Teil der Ortskrankenkassenwähler seine Wahlpflicht nicht erfüllt. Die Christlichen faseln ohne Grund von ihrem glänzenden Sieg". Sie hatten auf mehr Stimmen und Size gerechnet. Übrigens danken sie mehr als die Hälfte ihrer Stimmen unaufgeklärten Wählerinnen, die mit allen Mitteln zu­fammengetrommelt worden sind. Sogar das strengreligiöse Marienheim wurde in den Dienst der Wahlagitation gestellt. Diese Anstalt gewährt katholischen Mädchen Unterkunft und ver mittelt ihnen auch Stellung. Viele Mädchen bleiben unter ihrem Einfluß. Das ist ausgenutzt worden. Das Marienheim hat durch Übersendung des richtigen" Wahlzettels an die ihm erreichbaren Mädchen dafür gesorgt, daß die Stimmen der Schwarzen sich mehrten. Der Vorgang zeigt, daß wir gar nicht genug tun fön­nen, um die Frauen und Mädchen des arbeitenden Volkes zu be­lehren. Die nächsten Wahlen müssen den Ernst und den Erfolg dieser unserer Arbeit zeigen.

Bei den Wahlen zu den Betriebskrankenkassen schnit ten die freien Gewerkschaften durchweg günstig ab. In der We­berei am Fichtelbach wurde die Liste des Deutschen   Textil­arbeiterverbandes als gewählt betrachtet, weil eine Gegenliste überhaupt nicht eingereicht worden war. Das Gleiche war in der Spinnerei am Sentelbach der Fall. In der großen Me­chanischen Baumwollspinnerei und-weberei be­mühten sich die Christen vergeblich, eine Mehrheit von Vertretern im Ausschuß zu erlangen. Obgleich sie mit Verleumdungen ihrer Gegner nicht sparten, entfielen auf ihre Liste doch nur 416 Stim­men gegen 1813, die für die Gegenliste abgegeben wurden. Ginen zweiten, noch kräftigeren Reinfall erlitten die gutgefinnnten" Helden in der Spinnerei und Weberei am Sparrens