Nr. 7
Die Gleichheit
die Unternehmer haben sicherlich keinen Schaden davon. Den Arbeiterinnen kommt der freie Sonnabendnachmittag ganz besonders zugute; sie sollten daher auf diese Regelung der Arbeitszeit drängen. Freilich können sie für ihre Forderung nur auf Erfolg rechnen, wenn sie gewerkschaftlich stark organisiert sind. Das ist aber bei den meisten Arbeiterinnenarten leider nicht der Fall. So muß die Mehrzahl der erwerbstätigen Proletarierinnen auch am Sonnabend bis 5 Uhr nachmittags in Fabriken und Werkstätten schuften, ja viele noch länger, wie die Zuwiderhandlungen" zeigen. Daß die Lage mancher Arbeiterinnen im Berichtsjahr auch sonst nicht rosig war, dafür spricht eine Feststellung. Verschiedentlich sind trotz der höheren Kosten des Lebensunterhalts Lohnkürzungen vorgekommen. Die Herren Unternehmer kümmert es natürlich nichts, wie die Arbeiterinnen nun zurechtkommen. Mögen sie den Schmachtriemen fester ziehen!
Rücksicht auf das Wohl der proletarischen Kinder fennen die Unternehmer ebensowenig. Daher mißachten sie auch das Kinderschutzgesetz. Es hatten deswegen Verurteilungen zu erfolgen. Der Bericht betont, daß die Zahl der Zuwiderhandlungen gegen das Kinderschutzgesetz nicht abgenommen hat. Die„ Urteile vieler Klassenlehrer über den Einfluß der gewerblichen Arbeit auf die Kinder lassen eine Einschränkung wünschenswert erscheinen". Das ist gewiß sehr milde gesprochen angesichts der start verbreiteten gewerblichen Ausbeutung proletarischer Kleinen in Thüringen . Nach den Schullisten wurden in dem kleinen Aufsichtsbezirk nicht weniger als 1779 Kinder ge= werblich beschäftigt. Man beachte dabei, daß fast nur Kinder erfaßt wurden, die für fremde Leute arbeiteten, nicht aber die Kleinen, die im Elternhaus oder bei Angehörigen einem färglichen Verdienst nachgehen, der nur zu oft die Gesundheit des Leibes und der Seele zerstört. In einigen Betrieben mußte die Kinderarbeit verboten werden; mehrfach waren auch Arbeitskarten zu beanstanden. Die Gewerbeaufsicht ermittelte in 47 Betrieben 96 Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften für die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter. Dabei bemerkt sie, die Feststellung bei kleinen Betrieben sei immer recht schwierig. Wie viele Gesezesübertretungen mögen wohl nicht erfaßt worden sein! Es gibt noch recht viel Arbeit für die Gewerbeinspektion. Vor allen Dingen müssen aber die Arbeiter und Arbeiterinnen selbst darauf bedacht sein, allezeit für die Durchführung und Erweiterung des Arbeiterschutzes zu sorgen.
B. K.
leber Lohnsteigerung und Arbeitszeitverkürzung in der amerikanischen Textilindustrie hat nach dem„ Journal of the United Textile Workers of America" das Bureau of Labor Statistics in Washington folgende Angaben gemacht:
Von 1890 bis 1912 stiegen die Löhne in der Baumwollindustrie um 61,5 Prozent, in der Wollindustrie um 49,7 Prozent, in der Seidenindustrie um 18,8 Prozent. Von dieser Erhöhung des Verdienstes entfielen auf die Periode von 1910 bis 1912 in der Baumwollindustrie 11,1 Prozent, in der Wollindustrie 12,5 Prozent, in der Seidenindustrie 4,1 Prozent. Am wenigsten sind die Löhne im allgemeinen, wie auch in den Jahren 1910/12 im besonderen in der Seidenindustrie gestiegen. Das größte Steigen der Löhne weist für die ganze Periode 1890/1912 die Baumwollindustrie auf, während von 1910/12 die Löhne in der Wollindustrie die stärkste Erhöhung erfahren haben.
Die Verkürzung der Arbeitszeit betrug im Zeitraum 1890/1912 in der Baumwollindustrie 8,1 Prozent, in der Wollindustrie 6,3 Prozent, in der Seidenindustrie 5,8 Prozent. Was zeigen diese Feststellungen? Daß auch in Amerita die geringste Lohnsteigerung mit der geringsten Verkürzung der Arbeitszeit Hand in Hand geht. Textilarbeiter und-arbeiterinnen, beherzigt diese Lehre. Verfürzung der Arbeitszeit bringt euch höhere Löhne. Verlängerung der Fron schafft euch nicht besseren Lohn.
Frauenstimmrecht.
SS.
Ortskrankenkaffenwahlen und Frauenstimmrechtsvereine in München . In München fanden fürzlich die Wahlen zu dem Ausschuß der Ortskrankenkasse statt. In der Hauptstadt des kleritalen Königreichs Bayern , wo trotz moderner Kultur ein Ministerium Hertling möglich ist. Man kann sich denken, wie da der Wahlkampf geführt wurde. Alle bürgerlichen Parteien, Parteichen, Gruppen, Organisationen, die einander sonst wütend bekämpfen, sanken einander brüderlich geeint in die Arme, um zusammen den einen großen Feind niederzuzwingen: die Kandidaten der freien Gewerkschaften. Da gab es liberale Blätter, gegen die die oberste tatholische Kirchenbehörde soeben öffentliche Erklärungen losließ, weil die Sünder in einem geschichtlichen Auffaß die katholische Moral dafür verantwortlich gemacht hatten, daß ganze Staaten dem Untergang entgegengeführt worden seien. Die nämlichen liberalen Blätter unterstützten aber in
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der gleichen Zeit die klerikalen Gewerkschaften und ihre reaktionären Verbündeten. Es ist immer noch das alte Gespenst des Kommunismus, gegen das die modernen Metterniche kämpfen! In jeder Lebensäußerung der Ausgebeuteten fürchten und hassen sie die Befreiungssehnsucht der Klasse. Nur so erklärt sich der leidenschaftliche Kampf gegen die Kandidatenliste, die die freien Gewerkschaften für die Ortskrankenkassenwahl aufgestellt hatten. Denn das muß hervorgehoben werden: die Münchener Ortskrankenkasse hatte bisher eine musterhafte Verwaltung, und das dank der Vertretung der freien Gewerkschaften. Nichtsdestoweniger kämpfte mit den Zentrumschriften gegen die verhaßte„ rote Internationale" jeder, der bürgerlich empfand und dachte.
Am meisten wurden die weiblichen Wähler umworben, insbesondere die neuen Gruppen von Wählerinnen, darunter die Dienstboten. Man rechnete auf ihre Unerfahrenheit in sozialen Dingen und ihre Abhängigteit. Von den schwarzen Demagogen und ihren Bundesbrüdern und Bundesschwestern ist das Menschenmögliche geleistet worden, um weibliche Stimmen zu er= gattern. Besonderes Interesse muß dabei das Verhalten des Vera eins für Frauenstimmrecht beanspruchen. An seiner Spizze steht Lydia Gustava Heymann. Man sollte meinen, daß es seine Sache gewesen wäre, gelegentlich der Krankenkassenwahlen aufzuzeigen, wer die Schuld daran trägt, daß die Frauen bei der Verwaltung der Krankenversicherung das Wahlrecht nur zu den unteren Instanzen befizen, nicht aber auch zu den oberen Ver= waltungsbehörden. Man sollte meinen, daß die Damen des Vereins mit Nachdruck für das volle Verwaltungsrecht aller Versicherten gekämpft hätten. Das taten sie aber nicht. Vielmehr machten sie dem Gewerkschaftsverein den naiven Vorschlag, ab= wechselnd je einen Mann und je eine Frau auf seine Kandidatenliste zu sehen. Der Vorschlag wurde abgelehnt, weil bei den Gewerkschaften die Aufstellung der Kandidaten Sache der orga= nisierten Männer und Frauen selbst ist, und diese kennen bei der Wahl ihrer Vertreter schon längst keinen Unterschied mehr zwischen den Geschlechtern. Der Verein veranstal= tete nun eine Versammlung, in der ein Arzt referierte, der als ernster Sozialpolitiker bekannt ist, Dr. Epstein, dazu Fräulein Anita Augspurg . Nachdem Dr. Epstein einen vorzüglichen Vortrag über die Aufgaben der Krankenkasse gehalten hatte, sprach Fräulein Augspurg zu den Wahlen. Mit keinem Wort ging sie auf das schwere Unrecht ein, das bei der Schaffung der Versicherungsgesetzgebung den Frauen angetan worden ist, mit keinem Wort zog sie die Konsequenzen daraus. Sie befaßte sich auch nicht damit, wie das von Dr. Epstein bertretene Programm für die Krankenversicherung verwirklicht werden könne. Fräulein Augspurg hielt die Kraft ihres Geistes und ihrer Zunge haushälterisch zusammen, um die Liste der Gewerkschaftsgegner zu empfehlen, die Liste des sogenannten sozialen Ausschusses, in dem Klerikale, Liberale, Deutschnationale und Antisemiten einträchtig vertreten waren. Und sie ging noch weiter. Sie schlug sogar vor, am Wahltag sollten die Damen ihre Dienstboten zum Wahllokal begleiten. Fräulein Augspurg begründete ihre Stellungnahme damit, daß auf der reaktionären Liste ein oder zwei Frauen mehr Aussicht hätten, in den Ausschuß gewählt zu werden, als auf der Liste der freien Gewerkschaften. Die frauenrechtlerische Empfehlung wurde in der Diskussion von dem Syndikus eines Industriellenverbandes und einem christlichen Arbeitersekretär mit schmunzelndem Behagen in Empfang genommen. Der Arbeitersekretär Genosse Thomas stellte den Ausführungen des Fräulein Augspurg entgegen, was die Vorsitzende, Fräulein Heymann, bei der Eröffnung der Versammlung erklärt hatte:„ Gebt den Frauen das Wahlrecht, sie werden schon Gebrauch davon zu machen verstehen." Unter lebhaftem Beifall zeigte er den Widerspruch zwischen den Äuße rungen der beiden Damen. Wem die Stellungnahme der Frauenrechtlerinnen zugute komme, das wies Genosse Maurer an den Worten des Industrievertreters und des christlichen Arbeitersekretärs scharf nach. Herr Dr. Epstein wendete sich in seinem Schlußwort gegen die frauenrechtlerische Losung, weil dadurch die Wahl sozialpolitischer Rückschrittler herbeigeführt werde. Alles war vergeblich. Fräulein Augspurg beharrte auf ihrem Standpunkt. Sie hat damit wieder einmal mehr bekräftigt, daß sie kein Verständnis für die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen besißt und daß in der Praxis die beschränkte bürgerliche Nichts- als- Frauenrechtlerei nur den befizenden Schichten, den Reaktionären zugute kommen.
Die Wahl war an einem Sonntag. Katholische Pfarrer tamen nach dem Gottesdienst mit ganzen Kolonnen Dienstboten zu den Wahllokalen, Dienstherrschaften führten ihre Mädchen zur Urne,