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Die Gleichheit
gebung, die 1909 die Trades Boards zur Lohnfestsetzung auch für Werkstättenarbeit berechtigt, und hinter dem Minimallohngesetz für die Bergarbeiter vom 29. März 1912.
Als Grundgedante des französischen Gefeßes kann die Absicht bezeichnet werden, daß jede Heimarbeiterin der Be= kleidungsindustrie bei einer normalen zehnstü 11= digen Arbeit das Lohnminimum erlangen foll. Dieses Lohnminimum ist aber nicht als gistenzminimum gedacht, sondern es wird mit Rücksicht auf den Lohn bestimmt, der für die gleiche oder ähnliche Werkstätten arbeit zu zahlen ist. Und zwar ist folgendes festgesetzt: Die Arbeitsräte beziehungsweise wo diese noch nicht bestehen die Gewerbegerichte der verschiedenen Gegenden haben zu erheben, welches der Lohn ist, der Werkstättenarbeiterinnen von durchschnittlicher Geschicklichkeit in den üblichen Arbeiten des Berufs gezahlt wird. Danach wird ein Minimallohn für die Heimarbeiterinnen festgesetzt, der mindestens zwei Drittel des Wertstättenlohns betragen muß. Und diesem Betrag entsprechend sind die Stück= löhne so zu bemessen, daß sie einer Arbeiterin von mittlerer Geschicklichkeit gestatten, ihn in zehnstündiger Arbeit zu verdienen. Wird gegen das Minimum beziehungsweise gegen die von den Arbeitsräten ausgearbeiteten Lohntabellen Einspruch erhoben, so entscheidet in letter Instanz eine Zentralkommission des Arbeitsministeriums, der Arbeiter und Unternehmer in gleicher Anzahl angehören.
Die Unternehmer sind verpflichtet, ein Register der beschäftigten Arbeiterinnen anzulegen, die Stücklohntabelle anzuschlagen und Arbeitsbücher mit genauen Eintragungen auszugeben. Zahlt der Unternehmer nicht die angeschlagenen Löhne, entsprechen diese nicht dem obligatorischen Minimum oder übertritt er auf andere Weise das Gesetz, so ist die Klage vor dem Gewerbegericht an= hängig zu machen. Zur Klage aber sind nicht nur die geschädigten Arbeiterinnen selbst berechtigt, sondern auch die Berufssyn= dikate( Gewerkschaften) der Bekleidungsindustrie sowie durch das Arbeitsministerium speziell dazu autorisierte Vereinigungen. Dieses Klagerecht kommt auch Gewerkschaften zu, die ganz oder zum Teil aus Werkstättenarbeitern bestehen. Damit ist den Gewerkschaften die Befugnis gesetzlich zuerkannt, als Schüßer der verletzten Arbeiterinteressen aufzutreten. Daß auch anderen Vereinigungen dasselbe Recht gewährt werden kann, ist bei den gegebenen Verhältnissen zu begreifen. In vielen Gegenden sind die Gewerkschaften der Bekleidungsindustrie schwach entwickelt, und es wird auch leider nicht wenig Fälle geben, wo die Arbeiterinnen aus Furcht oder Vorurteil ihre Rechte lieber von neutralen jozialpolitischen Vereinigungen geltend machen lassen als von Gewerkschaften. Es wird ohnehin nicht leicht sein, bei diesen gedrücktesten Arbeiterinnen, denen das Selbstbewußtsein und das Klassenbewußtsein vielfach noch mangelt, den Mut zum Kampf für ihr Recht zu erwecken. Aufgabe der Gewerkschaften wird es sein, die Heimarbeiterinnen soweit aufzuklären, daß sie ihren natürlichen Sachwalter in ihrer Berufsorganisation und nicht in Vereini gungen bürgerlicher Arbeiterfreunde" erblicken. Hervorzuheben ist, daß die genannten Vereine die Klage aus eigenem Recht einzubringen befugt sind und dabei nicht den Nachweis eines Schadens zu erbringen haben.
Das Gesetz sieht in zwei Punkten auch eine Erweiterung seiner Geltung über den Kreis der Arbeiterinnen in der Bekleidungsindustrie vor. Erstens sollen auch männliche Heimarbeiter dieser Industrie den Minimallohn beanspruchen dürfen. Wichtiger ist, daß die Gesetzesbestimmungen nach einem eingeholten Gutachten des obersten Arbeitsrats durch ein bloßes Dekret auch auf Heimarbeiterinnen anderer Gewerbe ausgedehnt werden können.
Jaurès hat den Kammerbeschluß etwas überschwenglich als ein Datum in der sozialen Geschichte Frankreichs gefeiert. Auch wenn man diese Meinung nicht teilt, verdient das Gesetz Beachtung. Eine seiner wertvollsten Wirkungen ist die Solidarität, die es zwischen den Werkstätten- und den Heimarbeiterinnen anbahnt, da der Minimallohn dieser mit dem Lohn jener steigt. Der praktische Erfolg des Gesetzes hängt von der Aktion der Arbeiterorganisationen ab. Wenn diese versagen, so würde die ärgste Ausbeutung sozusagen eine soziale Sanktion bekommen. Es ist nicht zu verkennen, daß bei manchen Abgeordneten wie bei vielen bürgerlichen Sozialreformlern bei Schaffung des Gesetzes die Absicht im Spiel war, der Arbeiterbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aber dieser Umstand nimmt der Reform ebensowenig von ihrem Wert wie die Erkenntnis, daß bei anderen Gesetzesvätern die Furcht mitgewirkt hat, bei der weiteren Verelendung der fran zösischen Mütter würden die imperialistischen Pläne zum Teufel
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gehen müssen. Die organisierte Arbeiterschaft hat es in ihrer Hand, das Gesetz nußbringend und zu einer neuen Kraftquelle des kämp= fenden Proletariats zu machen. Otto Pohl .
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Die sozialistische Frauenbewegung der Schweiz steht vor einer bedeutsamen Entscheidung. Sie betrifft den Fortbestand des Ar= beiterinnenverbands, der lange Jahre unter ungünstigen Umständen tapfer Pionierarbeit für die Aufklärung und Organisierung der proletarischen Frauen geleistet hat. Am 25. Januar 1914 findet in Zürich der Delegiertentag des Verbands statt. Die Verhandlungen über die Auflösung oder die weitere Eristenz des Verbands bilden den wichtigsten Teil der Tagesordnung. Der Verband ist 1890 gegründet worden und gab einer Reihe von lokalen Arbeiterinnenvereinen eine einheitliche Zentralleitung. Im letzten Jahre waren ihm 13 solcher Sektionen angegliedert, von denen sich 11 gleichzeitig der sozialdemokratischen Partei angeschlossen hatten, während 9 Arbeiterinnenvereine weder dem Verband noch der Partei angehörten. Die Auflösung der zentralen Arbeiterinnenorganisation sell dazu mithelfen, daß alle einzelnen Arbeiterinnenseftionen der sozialdemokratischen Partei beitreten und daß dadurch einer späteren vollständig gemeinsamen Organisation der Genossinnen und Genossen vorgearbeitet wird. Ein Antrag auf Auflösung des Verbandes und Einseßung einer Frauenagitationsfommission war von den 5 Arbeiterinnenvereinen Orlikon- Seebach, Basel , Winter thur , Chur und Bern bereits der Geschäftsleitung der sozialdemokratischen Partei und dann dem legten sozialdemokratischen Parteitag zu Aarau vorgelegt worden. Die Mehrheit der Geschäftsleitung fonnte sich nicht dazu entschließen, diesen Antrag dem Parteitag zur Annahme zu empfehlen. Diese Tagung selbst nahm ihn weder an, noch lehnte sie ihn ab, sie entschied, daß die Angelegenheit noch weiterer klärender Erörterung bedürfe. Sie soll nun durch den Delegiertentag geschaffen werden. Die Auflösung des Verbandes als Borstufe größerer Einheit der sozialdemokratischen Organisation wird besonders nachdrücklich von der Arbeiterinnensekretärin Genoffin üni in der„ Vorfämpferin" verfochten. Für den weiteren Bestand des Verbandes tritt namentlich der Arbeiterinnenverein Zürich ein. Von beiden Seiten werden beachtenswerte fachliche Gründe ins Feld geführt. Der sozialistische Frauentag in der Schweiz ist vom Zentralvorstand des Arbeiterinnenverbands auf Sonntag, den 8. März angesetzt worden. Der Zentralverband fordert die einzelnen Sektionen des Verbands auf, für eine möglichst einheitliche Durchführung des Frauentags zu sorgen
Ueber das mutige, opferfreudige Verhalten der organisierten Arbeiterinnen in Holland schrieb Genosse W. van de Vall, Vertreter des Landarbeiterverbandes, der„ Proletarischen Frau":„ Es war im Sommer. Zur Erntezeit. Es sollte gemäht werden. Da brach in Warfum in Groningen unter den männlichen und weiblichen Landarbeitern ein Streit aus. Es kam darauf an, daß alle Männer und Frauen das Feld verließen. Morgens glückte das, aber mittags zog ein großer Teil der Arbeiter wieder aufs Feld. Da boten die Garbenbinderinnen der Streifleitung an, die Arbeitswilligen vom Feld zu holen. Das gelang. Als sich aber doch noch einzelne Arbeiter sträubten, das Feld zu verlassen, stellten sich die Frauen vor die Sensen der Mäher hin und sprachen: Wenn ihr denn absolut mähen wollt, so mäht nur durch uns! Und zu den Bindern, die noch auf dem Feld waren, gingen die Frauen, setzten sich auf die Garben und riefen:, Wenn ihr denn absolut binden wollt, so sollt ihr aber dicke Garben machen, ihr müßt uns mit hineinbinden!'
Bald darauf brach ein Streit bei den Kartoffelauflefern in Ommelanderwijk aus, das auch in Groningen liegt. Zur Zeit der Kartoffelernte befindet sich dort alles auf dem Feld: Männer und Frauen, Kinder und Greise. Sie müssen sich dort den größten Teil des Unterhalts für den Winter verdienen. Statt höheren Lohn wollten die Bauern in einem Fall sogar niedrigeren Lohn geben. Mit der Zustimmung aller organisierten Landarbeiter brach daraufhin der Streik aus. Sieben Wochen dauerte er. Während dieser Zeit gelang es den Männern, in Fabriken Beschäftigung zu finden. Die mehr als fiebzig ausständigen Frauen gaben nicht nach, obgleich der Streit als aufgehoben erklärt wurde. Mit Maschinen und Bauern, die zur Hilfe verpflichtet waren, wurde das, Land schwarz gemacht', aber für Hunderte von Gulden blieben Kartoffeln im Boden. Die Frauen sahen den kommenden Winter vor sich, teine Spur von Schwäche. Am letzten Streittag wurde angeregt, die Kinder aufs Feld zu schicken, damit doch etwas