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Die Gleichheit
Eine besonders wichtige Frage ist für die Bürsten- und Pinselarbeiterschaft die des Schubes gegen Milzbrandvergiftung, die immer noch ihre Opfer fordert. Die Vergiftung geschieht durch übertragung tierischer Krankheitskeime auf die Arbeitenden und führt meist zum Tode. Als Sicherungsmittel dagegen gibt es nur die Desinfektion der Tierhaare vor der Verarbeitung. Eine Bundesratsverordnung schreibt diese für ausländisches Material vor und gewährt Kleinbetrieben Erleichterungen in der Art der Desinfektion. Da diese Schutzmaßregeln nicht genügen, forderte die Konferenz in einer Resolution, daß auch das inländische Rohmaterial der Desinfektion unterworfen werde und diese nur durch strömenden Wasserdampf mit dem nötigen atmosphärischen überdruck erfolgen dürfe. Ferner hielt die Konferenz für dringend erforderlich, die besonderen Vorschriften für größere Betriebe auch auf die kleinen Betriebe auszudehnen, da diese in hygienischer Beziehung recht oft noch sehr viel zu wünschen übrig lassen. Des weiteren verlangte die Konferenz, daß die Bundesratsvorschriften in sinngemäßer Weise auf die Haus- und Heimarbeit Anwendung finden. Ein solches Verbot soll aussprechen, daß Arbeitsräume weder zum Kochen, noch zum Wohnen oder Schlafen benützt werden dürfen.
Die Beratungen ließen erkennen, daß die Errichtung eines 3entralarbeitsnachweises noch verfrüht sei. Soweit heute örtliche Nachweise vorhanden sind, werden sie nur wenig benügt. In der Folge fehlt es an dieser unerläßlichen Voraussetzung für eine zentrale Regelung des Arbeitsnachweises. Zum anderen ist in dem Beruf die Arbeitslosigkeit ausnahmsweise gering. Lebhaft kritisiert wurde die Beschränfung der Freizügigkeit, wie sie die Fabrikanten im Schönheider Bezirk durchzuführen verstehen. Diese Herren stellen Arbeiter aus örtlichen Betrieben erst nach einer mehrwöchigen Pause ein. Die Haushaltungsbürsten sind ein Konsumartikel der breiten Masse und werden vielfach durch die Konsumbereine vertrieben. Daher sind die Konsumvereine als Käufer in der Lage, einen entscheidenden Einfluß auf die Produk tionsbedingungen für Haushaltungsbürsten auszuüben. Ein früherer Genossenschaftstag hat die Konsumvereine verpflichtet, Bürstenwaren nur aus Betrieben mit gewerkschaftlich geregelten Arbeitsbedingungen zu beziehen. Der Beschluß soll jedoch nicht inimer streng eingehalten werden. Die Konferenz beauftragte deshalb die Zentralfommission, Erhebungen zu veranstalten, von welchen Firmen die örtlichen Konsumvereine ihren Bedarf an Bürstenwaren decken, und dahin zu wirken, daß sie nur solche Firmen berücksichtigen, die tarifliche Vereinbarungen mit dem Deutschen Holzarbeiterverband abgeschlossen haben. Vorbildlich haben die Arbeitsbedingungen in der Bürstenfabrik des Konsumvereins Schönheide gewirkt. Sie entstand, um den Opfern des Streiks von 1906 eine Eristenzmöglich feit zu schaffen, und beschäftigt jetzt bereits 40 Arbeiter.
Die Ergebnisse der umfangreichen Verhandlungen der Konferenz wurden schließlich in der Schlußerörterung über die Frage zusammengefaßt, wie die weitere Werbearbeit unter der Arbeiterschaft der Bürsten- und Pinselindustrie zu gestalten sei. Daß die Stärke der Organisation das A und O sei, um im Sinne der erhobenen Forderungen Erfolge zu erzielen, hatte jeder Verhandlungspunkt klar hervortreten lassen. Darin waren sich auch alle Teilnehmer der Konferenz einig. Mit freudiger Genugtuung konnten sie auf die seitherige gewerkschaftliche Arbeit und ihre Früchte für die Bürsten- und Pinselarbeiterschaft zurückblicken. Mit froher Zuversicht auf den Erfolg der weiteren Arbeit gingen sie auseinander.
Aus der Bewegung.
fk.
Andreas Schen zum 70. Geburtstag. Am 27. Januar begeht zu Weimar Andreas Scheu seinen siebzigsten Geburtstag. Es ist eine Ehrenpflicht, an diesem Tage des Mannes zu gedenken, der zu den ersten, fähigsten und unermüdlichsten Vorkämpfern des wissenschaftlichen Sozialismus zählt, die dem Proletariat aus
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seinen eigenen Reihen entstanden sind. Andreas Scheu ist ein Sohn des Volkes, Wiener dem Geburtsort nach, aber nicht der Abstam= mung. Sein Vater war ein nach Österreich eingewanderter rheinländischer Möbelschreiner und Zeichner, seine Mutter eine prote= stantische Ungarin. Es muß viel frisches, fraftvolles Leben in dieser Familie gesteckt haben. In Andreas und seinen Brüdern Joseph und Heinrich hat sie der sozialistischen Bewegung drei hervorragende Kämpfer geschenkt, und alle drei haben sich nicht nur durch politische Waffentaten ausgezeichnet, sondern auch durch. künstlerische Gaben auf verschiedenen Gebieten: Andreas als Dichter, Joseph als Musiker und Komponist und Heinrich als Holzschneider. Schon in jungen Jahren war Andreas dank seiner Fähigkeit und Tüchtigkeit im Beruf des Vergolders und Zeichners zu einer sehr guten und angenehmen Stellung gelangt. Jedoch gab er sie bald preis und nahm alle Fährnisse einer ungeschützten Existenz auf sich, um sich ganz der sozialistischen Arbeiterbewegung zu widmen, die in Österreich sich zu entfalten begann. 1867 schloß er sich ihr an, und nachdem er durch das Studium von Lassalle und Mary Klarheit über die geschichtliche Aufgabe des Proletariats gewonnen hatte, stand er in den schwierigsten Zeiten mitten im dichtesten Kampfgedränge. Als Agitator und Organisator, der auch die Arbeiterschaft der Provinz zu erwecken und zu sammeln sich bemühte; als Redakteur des" Boltswillen", der politisches Kampfund sozialistisches Schulungsorgan zugleich war. Das alles unter den Nöten und Gefahren, die die Anfänge einer Partei der Ausgebeuteten und Armen erschweren, und die in Österreich noch durch die rückständigen Verhältnisse, die herrschende Reaktion gesteigert wurden.
Andreas Scheu hatte früh den internationalen Charakter der Arbeiterbewegung erfaßt, und ihm war die innere Verbindung bewußt, die zwischen dem deutschen und österreichischen Proletariat besteht. Als Vertreter der österreichischen Arbeiter nahm er 1869 am Eisenacher Kongreß teil. Er gehörte zu den treibenden Kräften der großen Demonstration der Arbeiter für ein freies Vereinsrecht, die vor dem Reichsratsgebäude zu Wien am 3. Dezember des nämlichen Jahres stattfand. Die österreichische Regierung ehrte sein hingebungsvolles Wirken, als sie ihn mit Oberwinder, Most und anderen zusammen am 2. März 1870 verhaftete und in dem berühmten Hochverratsprozeß zu fünf Jahren Kerker verurteilen ließ. Der Sturz des Ministeriums und eine politische Amnestie gab ihm und seinen Schicksalsgenossen im Februar 1871 die Freiheit zurüd. Mit verdoppelter Leidenschaft stürzte sich Scheu sofort wieder in den Kampf. Unter bitteren Sorgen ums tägliche Brot rang er mit dem Unverstand der Massen und der brutalen Gewalt, der Niedertracht der Behörden.
1874 hatte er sich überzeugt, daß das„ Vaterland" ihm nicht länger eine Stätte des Wirkens sein konnte. Er siedelte nach England über, auch hier jahrelang von der Sorge um die Existenz verfolgt und von Stadt zu Stadt getrieben, denn diese Sorge war eben nicht seine wichtigste Sache. Andreas Scheu schuf sich als internationaler Sozialist eine neue Heimat. Er hielt es nicht mit dem gut bürgerlichen Grundsay:" Wo mir's gut geht, da ist mein Vaterland." Er fühlte sich nur dort wohl und heimisch, wo er für die sozialistischen Ideale wirken konnte. Großbritannien ward ein neuer Arbeits- und Kampfplatz für ihn. In London schloß er sich der deutschen Sektion der Internationale an und ließ sich angelegen sein, ihre Vereinigung mit den dortigen Lassalleanern herbeizuführen. Er trat in Beziehungen zu einer Reihe bedeutender englischer Persönlichkeiten, die den wissenschaftlichen Sozialismus zu studieren begannen oder sich zu ihm bekannten, darunter Belfort Bar, Hyndman und William Morris , mit dem ihn herzliche Freundschaft verband. Mit den Genannten zusammen gehörte er der kleinen Gruppe an, die sich 1881 zur " Demokratischen Föderation" zusammenschloß. Einige Jahre später taufte sie sich in Sozialdemokratische Föderation" um, und nach mancherlei Jrrungen und Wirrungen hat sie sich zur Sozialdemokratischen Partei" entwickelt, einer wichtigen Fraktion der Sozialisten in England. Mit zähem Eifer hat Andreas Scheu für die Gestaltung einer großen sozialdemokratischen Arbeiterpartei gewirkt, die die Führerin des englischen Proletariats im Klassen= kampf und seine Erzieherin zum Sozialismus sein könnte. Er hat ihr auch in Echottland vorgearbeitet. 1884 rief er in Edinburgh eine sozialistische Bewegung ins Leben, und die Gründung der " Scottish Land and Labour League" war sein Werk.
Die sozialdemokratische Bewegung in Deutschland und Österreich hat Scheu aus der Ferne als Schriftsteller, Dichter und Übersetzer englischer Dichtungen gefördert. Seine Lieder voll flammender Begeisterung und troßigen Kampfesmuts sind vielen proletarischen Männern und Frauen Trost im Leiden und schmetternde Schlacht