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Die Gleichheit

bezirkes steht ein Armenkommissar, der zwei Stellvertreter hat. Ein Stellvertreter soll tunlichst eine Frau sein." Der besoldete Beigeordnete der Gemeinde betonte bei der Begründung der Vor­lage, daß jetzt auch die Behörden von der Annahme abgekommen seien, die Frauen gingen in diesen Stellungen nicht haushälterisch genug mit den öffentlichen Geldern um. Angesichts dieser Erkennt nis ist es eigentlich verwunderlich, daß man nicht gleich einen Schritt weiter gegangen ist und auch Frauen in die erste Kom­miffarstelle berufen hat. Immerhin liegt in der gegenwärtigen Maßnahme schon ein Fortschritt, zumal die drei Armenkommis­sare des Bezirkes annähernd gleiche Rechte haben und die Frauen in den vorgesehenen monatlichen Sizungen des Armenausschusses zum Wort kommen fönnen. Dieser Ausschuß wird aus den je drei Armenkommissaren der vierzehn Armenbezirke gebildet, be­steht also aus 42 Personen. Da für jeden Bezirk eine Frau mit als Armenkommissar gewählt ist, sißen im Ausschuß 14 Frauen, darunter auch einige Genossinnen. Die Tatsache dieser Heran­ziehung von Frauen zu den Gemeindearbeiten illustriert das Un­finnige der preußischen Landgemeindeordnung für die sieben öst­lichen Provinzen. Im§ 109 schließt diese nämlich die Frauen sogar als bloße Zuhörerinnen von den öffentlichen Sigungen der Gemeindevertretungen aus. So durften auch in Treptow die Frauen nicht einmal der Sizung beiwohnen, in der sie gewählt wurden. Männer konnten dagegen anwesend sein, auch wenn sie fk. gar fein Interesse an der Sache hatten.

Keine Frau als Bürgerdeputierte für die Armendirektion in Berlin , so hat die Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung entschieden. Sie gab ihre Stimme dem männlichen Kandidaten für das Amt, obgleich die Kandidatin Genossin Gerndt als Vor­sitzende einer Armenkommission bereits seit mehreren Jahren tüch­tige und anerkannte Arbeit geleistet hat. Im Privatgespräch hieß es, der Gegenkandidat sei früher vorgeschlagen gewesen. Ein Bor­wand von verblüffender Armseligkeit. Die sozialdemokratische Fraktion der Berliner Stadtverordnetenversammlung will nun auf einem anderen Wege die Mitarbeit von Frauen in der Armen­direktion herbeiführen. Sie hat folgenden Antrag gestellt: Die Stadtverordnetenversammlung wolle beschließen: a. Den Magi­strat zu ersuchen, einer Vermehrung der Armendirektion um drei durch Bürgerdeputierte zu beseßende Stellen zuzustimmen; b. für diese drei neuen Stellen Frauen zu wählen." Ein rechtlicher Grund gegen die Wahl von Frauen in die Armendirektion besteht nicht. Ein Gutachten des Stadtsyndikus hat vor etwa einem Jahre bestätigt, daß Frauen Siz und Stimme in den Deputationen haben dürfen. Und die Arbeit von Frauen hat sich in den Armen­direktionen vieler Städte schon bewährt. So in Charlottenburg , Danzig , Frankfurt a. M., Bremen , Kassel , Biebrich , Bonn , Lennep , Ratibor und Stolp .

Verschiedenes.

Der Militarismus als Erzieher ist durch die kriegsgericht­lichen Nachspiele der Zaberner Vorgänge in mehr als einer Be­ziehung scharf beleuchtet worden. Es sind da Feststellungen und Außerungen erfolgt, die die Verhandlungen vor dem Gericht in Straßburg zu einer wahren Fundgrube von Lehren über das Wesen des Militarismus machen. Eine solche Bekundung aus dem Prozeß erster Instanz gegen den Leutnant v. Forstner sei hier unter dem Scheffel hervorgeholt. Sie hat für die proletarischen Frauen und Mütter besondere Bedeutung. Der Lehrer Ziege­meier in Dettmeiler sagte aus, die Soldaten seien unter Ab­singung eines unschönen Liedes" durch den Ort gezogen. Darüber befragt, was das für ein Lied gewesen sei, erklärte der Zeuge Schlossermeister Claß zögernd: Es hieß..." Jm Bericht des " Vorwärts" wird konstatiert: Der Zeuge gibt ein nicht wiederzugebendes zotiges und zynisches Lied an." Wir haben nirgends gelesen, daß die vernommenen Militär­personen den behaupteten Vorgang mit Entrüstung als eine Un­möglichkeit zurüdgewiesen hätten, weil Botereien sich nicht mit der Ehre des bunten Rockes vertrügen, den das Volk bezahlt. Die Aus­sage scheint also zu stimmen.

Die gesungenen Schweinereien gehören offenbar ins Programm der Erziehung", die der Militarismus den Lümmeln" zuteil werden läßt, die das Volk ihm stellen muß. Denn er hält auf strenge Zucht und steigert fie bis zum würdelosesten, unmensch­lichen Kadavergehorsam. Wehe dem Truppenteil, der sich einfallen ließe, auf dem Wege etwa den Sozialistenmarsch zu singen. Oder wie würde der jugendliche Leutnant v. Forstner den verfluchten Wackes" Mores gelehrt haben, wenn sie sich erfühnt hätten, noch so leise die stürmende Revolutionsweise der Marseillaise anzu­

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stimmen! Doch sie durften mit seiner schweigenden Erlaubnis ein so jotiges, zynisches Lied brüllen, daß seine Wiedergabe fich ber bietet. Diesem Erzieher" seiner Mannschaft sproßt kaum der erste Flaum auf der Lippe, aber sein sittliches Empfinden erscheint be­reits so abgeſtumpft oder verroht, daß es sich nicht gegen Schmutze­reien auflehnt. Mögen diese Gefühle von Muttersöhnchen" und " Pfarrerstöchtern" verlegen, mögen sie dem Zivilpad von Dett­weiler ein ärgernis geben, was verschlägt's? In Deutschland ist nach dem Ausspruch eines Zentrümlers schon der Unteroffizier der Stellvertreter Gottes auf Erden. Was da erst rangmäßig der jüngste Leutnant ist, das haben die verschiedenen Kriegsgerichts­urteile in Straßburg klar gemacht. Und der Herr Leutnant findet nichts Anstößiges, wenn sein Zug Zoten singend durch ein Städt­chen marschiert.

Gewiß: es wäre geschmacklos, jedes derbe alte Volks- und Sol­datenlied an der kurzen Elle zu messen, wie sie den muffigen Un­fittlichkeitsschnüfflern eigentümlich ist. Das Natürliche ist nicht gemein", und gesunde Sinnenfreude und Sinnlichkeit haben mo­ralisch und ästhetisch ihr Äußerungsrecht. Allein auf all das fönnen sich Zoten und Zynismen nicht berufen. Gewiß: leider bringt ein großer Teil der Mannschaften als Folge von Armut und mangeln­der Erziehung eine rohe Auffassung der geschlechtlichen Dinge mit in die Kaserne und mag seine Freude an gebrüllten Gemeinheiten haben. Aber wird uns nicht versichert, daß diese die hohe Schule der Manneszucht und Mannestugenden sei? Und erschallen nicht überschwengliche Lobpreisungen auf die Offiziere als die Erzieher der Volkssöhne! Offiziere, die die Botereien ihrer Mannschaften dulden, stehen nach unserem Dafürhalten sittlich unendlich tiefer als die Gemeinen", die sich ihrer schuldig machen. Die Verächt­lichkeit ihres Verhaltens wird nicht dadurch gefühnt, daß die Herren Epaulettenträger in standesgemäßen" Familien den Damen nach Goethes Weisung 3art entgegenkommen" und von der heiligen" Stellung der Frau deklamieren. Der Schmuß wird mit Heuchelei übertüncht.

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Die Zoterei, die für viele die Kaserne zum Vorhof des Bordells macht, gehört zum Militarismus wie der Kadavergehorsam. Sie ist die Kehrseite der Medaille jener Art Manneszucht", die die Leiber und Geister zertritt. Je absichtlicher und erbarmungsloser die militärische Disziplin das wahrhaft Menschliche im Soldaten vernichtet, um nur die mordbereite menschliche Bestie zu dressieren, um so mehr drückt sie beide Augen zu, wenn der Mannesmut sich in Botenreißereien austobt. Sie sind gleichsam die Schadloshal­tung dafür, daß der Gemeine" von einem vorgesezten Gemeinsten zum Auflecken von Speichel oder anderen Scheußlichkeiten kom­mandiert werden kann. Dieser Zusammenhang der Dinge erklärt es, weshalb die Herren Offiziere und ihre Gesinnungsgenossen für die gesungenen und anderen Zoten von Soldaten höchstens ein verständnisinniges Achselzucken haben. Und deshalb darf es uns nicht wundern, wenn auch Patrone à la Forstner, die ihre Unter­gebenen die schmutzigsten Lieder gröhlen lassen, für würdig be­funden werden, eines Tages als Erzieher in der patriotischen Jugendbewegung mitzuwirken. Die Zoterei gehört zum Milita­rismus, und der Militarismus gehört zur Staatserhaltung, ist heute Staatserhaltung.

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Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe , Post Degerloch bet Stuttgart .

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.§. tn Stuttgart.