Nr. 10
Die Gleichheit
mit in das Gotteshaus treten und vor dem Altar nicht verschwinden.
Aber die Geseze der sozialen Ordnung sind für die unaufgeflärte Frau unsichtbar, während das in Lichterglanz schimmernde Gotteshaus ihren äußeren Sinn beeinflußt und die nagende Sorge einschlummern läßt. So wird die naive arbeitende Mutter durch die Stimmung betrogen und bleibt die zähe Anhängerin des äußeren Scheins. Je leidenschaft licher sie um Erlösung vom übel betet, desto ergebungsvoller nimmt sie die Schicksalsschläge hin, die die kapitalistische Ordnung auf sie niederfallen läßt, und die sie zu dem machen, was am meisten bekämpft werden muß: zur stumpf Duldenden, die an eine Bestimmung glaubt und daher die Hände in den Schoß legt und ratlos in bitterem Schmerze versinkt. So steht die Mehrzahl der arbeitenden Mütter auf jener Stufe der Entwicklung, die heute bereits die niedersten männ lichen Arbeiterkategorien zu verlassen beginnen, weil sie einsehen, daß die Rettung des Proletariats, sein Emporstieg nur möglich ist durch Wissen, Wollen und Handeln. Viel zu viele Millionen arbeitender Mütter sind dagegen noch gefesselt von alten Lehren und Auffassungen, die ihnen nichts geben als fluchwürdige Entsagung, als Willenlosigkeit gegenüber der Ausbeutung und der gesellschaftlichen Ausbeutungsordnung.
Solche Willenlosigkeit führt aber nicht nur zur Schwäche im Lebenskampf der arbeitenden Mutter selbst, bewirkt nicht nur, daß diese den Mann mangelhaft unterstützt, wenn er gegen den Kapitalismus ringt. Sie wird oft genug auch zum Verderbnis des Mannes. Wo dem Verbitterten, ja Verzweifelnden ein rechtes Wort neuen Mut und fröhliches Hoffen gegeben hätte, treibt ihn ein Weib, das sich an die Hilfe von oben flammert, in eine Ratastrophe. Das Hoffen auf die Hilfe von oben macht unselbständig, kleinlich, verzagt, es läßt Anschauungen erstehen, die wie äßendes Gift auf die proletarische Kampfkraft wirken. Mancher Streifbruch geschieht unter dem frömmelnden Lispeln einer Frau, die den Mut, den festen Willen zum Kampf nicht kennt, die in ihrem engen religiösen Gesichtskreis das Gefühl der Solidarität aller Berufsgenossen, aller Ausgebeuteten verloren hat. Die frömmelnde Mutter ist nur die Mutter ihrer Kinder, von ihnen will sie das Elend abwehren; für die hungernden Kinder anderer Mütter mag Gottes Hilfe sorgen. Ohne daß sie es wollte, wird die arbeitende Mutter zur Stüße der Gewalten, die bessere Lebensbedingungen der Arbeiterklasse bekämpfen, die die Ausgebeuteten in ewiger Sklaverei halten sollen.
Man darf sich nicht darüber täuschen, wie wichtig die Loslösung der arbeitenden Mutter von dem Einfluß der Kirchen ist. Ihre geistige Befreiung von dem Druck religiöser Kulte ist der Anfang ihres Willens, die Gesellschaft umzuwälzen, so daß der tote Besitz nicht länger den lebendigen Menschen knechtet und aufzehrt. Solange arbeitende Mütter beten, opfern, fasten und sich kasteien, um das einst zu erreichen, was wir bezweifeln das strahlende Jenseits-, so lange werden auch arbeitende Mütter ein großes Hindernis für den Aufstieg des Proletariats bleiben. Und sie werden damit ihr eigenes Elend verlängern und verschärfen helfen. Hungernd und schmachtend werden sie über die Erde wandern, um ein Paradies über den Wolken zu suchen, derweilen sie darauf verzichten, die Erde zu einer wohnlichen Heimstätte für sich und ihre Kinder umzuschaffen.
Doch die arbeitenden Mütter schleppen nicht bloß die Rette des kirchlichen Einflusses. Die ganze bürgerliche Gedankenwelt hält sie zum großen Teil noch in ihrem Bann. Die Schule nährt den Geist der Mädchen mit falschen Begriffen und Vorstellungen über Natur und Gesellschaft. Die bürgerliche Presse setzt das unheilvolle Werk fort. Sie umnebelt das Denken der arbeitenden Mütter und entfremdet es der Wirklichkeit. Die Ärmsten sehen die Dinge und Menschen nicht oder sehen sie nicht richtig, die in den Kreis ihres Lebens treten und von denen das Wohl und Wehe der Arbeiterfamilie abhängt. Die bürgerliche Presse vergiftet den Willen
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der arbeitenden Mütter, daß er schwach und untauglich werde zum Kampf. Wer liest am eifrigsten die illustrierten Blätter mit ihrer Fürstenvergötterung, ihrem Tanz ums goldene Stalb, mit ihrer berlumpten belletristischen Gefühlsfälschung? Wer verschlingt die Kolportageromane und spricht ehrfurchtsvoll über Einrichtungen, deren geistig knechtendem Einfluß der denkende Arbeiter sich längst entzogen hat? Sind es nicht auch die arbeitenden Mütter, ja leider nur zu oft gerade sie? Wohl klagen sie über die Teuerung, die dem Kinde das Stück Brot vom Munde reißt. Wohl entrüsten sie sich über den Massenmord des Krieges, der morgen vielleicht schon dem Gatten, dem Sohne droht. Aber lesen die arbeitenden Mütter nicht zu vielen Zehntausenden die bürgerlichen Blätter und andere Publikationen, die die Kriegsheze betreiben, die die Teuerung vorbereiten helfen und rechtfertigen? Wegen solcher vielartigen Beeinflussung prallen so oft alle Vernunftgründe an dem Geist der arbeitenden Mütter ab. Ihre geistige Trägheit ist wie eine Mauer, durch die fein aufrüttelndes Wort, keine hoffnungbelebende Idee, kein verheißungsvoller Kampfruf dringt. Die Begriffe Klassenbewußtsein, Klassenpolitik, Klassenkampf bleiben vielen arbeitenden Müttern in ihrem tiefsten Innern fremde Dinge. Der Kapitalismus erdrückt sie und die Ihrigen durch unendliche Leiden. Troß allem aber verharren noch arbeitende Mütter verständnislos oder befreuzigen sich, wenn ihnen verkündet wird, daß der hungerreiche Sklavendienst und der übersatte Herrengenuß ein Ende nehmen muß.
Aus der Bewegung.
Von der Agitation.„ Die Stellung der Frau im wirtschaftlichen und politischen Kampf," so lautete das Thema, das die Unterzeichnete in sechs öffentlichen Frauenversammlungen im Wahlkreis Mainz - Oppenheim behandelte. Die sorgfältige Vorbereitung dieser Agitation hatte einen guten Versammlungsbefuch gesichert. Auch nicht wenig Männer waren anwesend, und mancher von ihnen wird wohl die Erkenntnis gewonnen haben, daß die moderne Arbeiterbewegung nur fräftig vorwärtsschreitet, wenn auch die Frauen zu ihrer Förderung beitragen. In Mainz ist die Frauenbewegung dank der fleißigen Tätigkeit einiger Genossinnen prächtig entwickelt. Die Ferienspaziergänge bekunden das. Auch bei der letzten Bürgerausschußwahl haben die Genossinnen tatkräftiges Interesse bewiesen, und sie durften sich des schönen Sieges freuen, wenn auch nicht als Wählerinnen, so doch als Mitarbeiterinnen. Die Gründung einer Dienstbotenorganisation wird von ihnen in die Wege geleitet. In der überfüllten Versammlung zu Nierstein bemühte sich ein Zentrumsanhänger, durch Zwischenrufe die Diskussion zu stören, fand aber nicht den Mut, seine Überzeugung zu vertreten. Genosse Seel und die Referentin beleuchteten unter lebhaftem Beifall diese Heldentat". Offensichtlich stand die Versammlung auf ihrer Seite. Die Agitation brachte unserer Partei neue Mitglieder und erweiterte den Leserkreis der„ Bolkszeitung". Sie dürfte des meiteren bereits in Reih und Glied stehende Frauen und Männer mit frischer Begeisterung erfüllt haben.
Eine Agitation im Wahlkreis Würzburg hatte ebenfalls guten Erfolg. Die Unterzeichnete behandelte das Thema:„ Der Kampf um Brot und Recht." Versammlungen fanden statt in Randersader, Würzburg , Schweinfurt , Oberndorf, it= zingen, Heidingsfeld , Versbach , Höchberg und Mainbernheim . Alle waren gut besucht, die meisten überfüllt, und zwar von Frauen. In Randersader bereitete die Bersammlung eine bevorstehende Hausagitation vor. Der geräumige Saal in Würzburg war dicht besetzt, 26 weibliche Mitglieder wurden der Partei zugeführt. Die ersten weiblichen Mitglieder wurden in Risingen gewonnen. Die Versammlung in Wersbach war überfüllt. Hier hatte sich der katholische Pfarrer, Herr Heckelmann, eingefunden und am Vorstandstisch neben der Referentin als„ unberufener Korreferent" Platz genommen. Mit lebhaftem Interesse folgten die Anwesenden dem Vortrag. In der Diskussion sprach zunächst Herr Heckelmann. Wie die Kaze um den heißen Brei ging er um die Ausführungen der Referentin herum. Manchen Satz davon mußte er wohl oder übel als richtig anerkennen, versuchte dann aber sofort wieder eine Abschwächung der Worte. Mit diesem Wackeln und Fackeln hatte er jedoch kein