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Die Gleichheit

Glück, es stieß auf den ständigen Widerspruch der Versammelten. Der Diener christlicher Nächstenliebe schüttete seinen ganzen Zi­tatensack über sie aus. Er hatte ihn mit Material aus der München­Gladbacher Fabrik und aus dem Archiv des Reichslügenverbandes gefüllt. Anderthalb Stunden lang bemühte er sich im Schweiße seines Angesichts, um die Gerechtigkeit jenes bewährten Wirt­schaftssystems" nachzuweisen, das die Armen durch Zölle und Steuern auswuchert; um die Vorrechte der Junker und Kapita­listen zu beschönigen und andere herrliche Dinge mehr. Er fand auch warme Worte dafür, wie notwendig die hohen Zivillisten der Landesfürsten seien. Sie dienen ja zur Erhaltung der fürst­lichen Familien und sonstiger Einrichtungen". Schließlich fehlten nicht Beschimpfungen der toten Genossen Bebel, Singer und Roll­wagen und des Genossen Frank. Mancher Arbeiter sagte in der weiteren Diskussion dem Herrn Pfarrer unerschrocken die Wahr­heit. Die Referentin rechnete im Schlußwort gebührend mit ihm ab. Die Versammlung hatte sich infolge der langen Kanzelrede" bis nach 1 Uhr nachts hingezogen, und so mußte darauf verzichtet werden, Mitglieder in die Partei aufzunehmen. Hoffentlich ist trotzdem die Agitation nicht vergeblich gewesen. In Mainbern­ heim sprach zum erstenmal eine Frau. Darob große Entrüstung im bürgerlichen Lager. Die Genossen hatten veranlaßt, daß der Ortsdiener die Versammlung durch Ausschellen bekanntgab. Der Bürgermeister bekam von seinen Freunden bittere Vorwürfe, daß er diese Ungeheuerlichkeit" zugelassen hatte. Ein staatstreuer Pa­triot rief zornentbrannt aus: Was brauchen wir eine Frau aus Mannheim , die unsere zufriedenen Frauen aufheben will!" Troy dieser Erregung oder gerade wegen ihr war die Versammlung über­füllt, und die berheßende Sozialistin" fand mit ihren Darlegungen biel Zustimmung. Weit über 100 Genossinnen und Genossen sind im Wahlkreis Würzburg der Parteiorganisation durch die Ver­sammlungen geworben worden, von denen wir berichteten. Der Fränkische Volksfreund" und die Gleichheit" vermehrten ihre Abonnenten. Der errungene Erfolg verpflichtet, für die Schulung der neuen Kämpfer und Kämpferinnen und den Ausbau der Or­ganisation unablässig tätig zu sein. Therese Blase.

überall rühren sich die proletarischen Frauen, nicht allein in den Städten, sondern auch in den entferntesten Winkeln. Das bestätigte wieder einmal die Agitation im Westerwald , Bogelsberg und Spes­fart. In Wirges war die Versammlung schön besucht und brachte der Partei neue Mitglieder. Die Genossinnen beteiligten sich rege an der Diskussion, und es wurde beschlossen, alle vier Wochen einen Leseabend zu veranstalten. Die Referentin gab Fingerzeige für diese notwendige Einrichtung. Auch die Versammlung in Hör erfreute sich guten Besuchs und führte unserer Organisation weib­liche Mitglieder, unserer Presse Leserinnen zu. In den Orten im Vogelsberg geht es ebenfalls vorwärts. Dort haben wir mit Hilfe bon Genofsinnen aus Hanau und Bockenheim gute Erfolge erzielt. Die Versammlungen werden selbst in den kleinen Orten bon immer mehr Frauen besucht. Als die Unterzeichnete in U de n= heim sprach, wurden 5 Frauen für die Sozialdemokratie gewon­nen. In Hellstein waren trotz der schlechten Wege Männer und Frauen aus der Umgegend zur Versammlung gekommen. Die Ver­sammlungen am äußersten Ende des Spessart zeigten das nämliche Bild. In Biebergrund, wo die Firma Krupp ihre Arbeiter aufs höchste ausbeutet, wagten sich die Frauen zum erstenmal in eine Versammlung. Sie gelobten am Schluß, keine ähnliche Ver­anstaltung zu versäumen. Unsere Partei bekam dort Zuwachs durch weibliche Mitglieder. Denselben Erfolg hatte die Versammlung in Groß Kroßenburg. Die Sozialdemokratie schreitet auch in ländlichen Gegenden vorwärts, allen Schwierigkeiten zum Trot! R. Ott.

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Aus den Organisationen. Der Bildungsausschuß der organis fierten Arbeiterschaft in München ließ durch seine Unterrichtskom­mission Anfang Januar eine Frauenversammlung veran­stalten, in der Frau Dr. Wegscheider über das Thema sprach: Die beste Frauenarbeit." Frau Wegscheider vertrat die Auffaf­fung, daß die wertvollste Betätigung der organisierten Frauen die Propaganda für die Abstinenz sei, für die gänzliche Enthaltung von alkoholischen Getränken. Sie wies dabei besonders auch auf die Schäden der in München häufigen Unfitte hin, daß Mütter ihren Kindern Bier geben. Ihren Ausführungen lag ein umfangreiches Material über die verhängnisvollen Folgen des Alkoholgenusses zugrunde. Zum Schluß forderte die Referentin die anwesenden Frauen auf, selbst abstinent zu leben und in ihren Bekanntenkreisen für die Abstinenz einzutreten. In der Diskussion sprachen die Ge­nossinnen Gärtner und Niebler im Sinne der Vortragenden und forderten zum Eintritt in den Arbeiterabstinentenbund auf. Genosse Dürr legte die Gründe dar, die die Unterrichtskommis­

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sion veranlaßten, diesen Vortrag halten zu laffen. Den Ausfüh­rungen der Referentin vermochte Genossin Zahnweh, die Ge­schäftsführerin der Hausangestelltenorganisation, nicht in allen Punkten beizupflichten. Sie vermißte etwas in dem Vortrag, und das mit gutem Recht. Genossin Zahnweh anerkannte wohl die Schä­den des Alkohols und die Notwendigkeit, den übermäßigen und mißbräuchlichen Alkoholgenuß nachdrücklichst zu bekämpfen. Doch konnte sie in dem Alkohol nicht den Feind der Arbeiterklasse er= blicken, auf dessen Bekämpfung sich in erster Linie alle Kräfte der Frauen konzentrieren müßten. Ohne die Wichtigkeit der Auf­flärung über die übel des Alkohols irgendwie zu leugnen, wollte fie die Notwendigkeit stark betonen, die Frauen des arbeitenden Volkes vor allem über die wirtschaftlichen und sozialen Verhält= nisse unserer bürgerlichen Ordnung zu belehren. Leider wurden ihre Darlegungen nicht richtig verstanden. Es ist dies um so bedauerlicher, als Genoffin Zahnweh den konsequenten sozialisti­ schen Standpunkt vertrat, wie er seinerzeit in dem Referat des Genossen Wurm und in Beschlüssen sozialdemokratischer Partei­tage zum Ausdruck gekommen ist. Der Vortrag von Frau Weg­scheider war dagegen nicht frei von jener engen bürgerlichen Auf­fassung, die erklärt: der Alkohol ist der Feind. Die sozialistisch ge= schulten Frauen werden schädlichen Alkoholgenuß um so entschie­dener bekämpfen, je flarer sie über die sozialen Zusammenhänge unterrichtet sind, und je mehr innere Lebenswerte ihnen der So­zialismus gibt. Wir würden empfehlen, in solchen Versammlungen für die Gleichheit" zu agitieren, die den Frauen praktisches Wissen und theoretische Erkenntnis vermittelt und ihr Interesse auf den großen Befreiungskampf des Proletariats lenkt.

Die Parteileitung München veranstaltet sogenannte Frauen­abende, in denen Handarbeiten gemacht werden, zu denen sich die Genossinnen das Material mitbringen. Während die fleißigen Finger sich regen, werden Vorträge gehalten. Welche Erfahrungen mit diesen Veranstaltungen gemacht werden, bleibt abzuwarten, jedenfalls wurde bis jetzt nicht über mangelnden Besuch geklagt.-as.

Eine Frauenkonferenz für Anhalt fand Ende des vorigen Jahres in Dessa u statt. 51 Vertreterinnen der organisierten Ge= nofsinnen waren aus allen Orten des Ländchens erschienen. Die Referate erstattete Genossin 8ieß. Zuerst behandelte sie die Förderung der proletarischen Jugendbewegung durch die Genosfinnen. In eingehender Weise schilderte sie den Kampf, der um die heranwachsende Jugend geführt wird. Sie zeigte all die Bemühungen bürgerlicher Organisationen und Arbeiter­freunde", sie gedachte der reichen Geldmittel und anderer Unter­stützungen, die der Staat denen gewährt, die sich die Jugend sichern wollen, um sie auszubeuten und später für ihre politischen Inter­essen zu mißbrauchen. Sie stellte allen diesen Bestrebungen die idealen Ziele der proletarischen Jugendbewegung gegenüber. In der sehr regen Diskussion tam zum Ausdruck, daß die Genossinnen sich der Pflicht bewußt sind, tatkräftig mitzuwirken, um das heran­wachsende Geschlecht mit sozialistischem Geiste zu erfüllen und ins­besondere auch dafür Sorge zu tragen, daß die jungen Mädchen mehr als bisher von unserer Bewegung erfaßt werden. In einem trefflichen Vortrag über Kinderschutz und Kinderschuh­tommissionen legte es Genossin Zieb uns dringend ans Herz, durch die Arbeit in der Kinderschutzkommission dem gewissen= losen fapitalistischen Raubbau entgegenzuwirken, der die Leiber und Geister der schulpflichtigen Kinder zermürbt. An der Hand/ von Erfahrungen führte sie den Genossinnen die Art dieser Be­tätigung vor Augen. Daß gerade auch in den agrarischen Gefilden Anhalts in puncto Kinderausbeutung viel gesündigt wird, dafür erbrachten die Ausführungen einer Delegierten aus einem Land­orte den Beweis. Genossin Bieb gab noch viele gute Ratschläge über die zu betreibende Agitation, über die Ausgestaltung der Lese­abende und die Errichtung von Kursen für die fortgeschritte= neren Genoffinnen. Sie zeigte, wie nötig die sozialistische Schu­lung der Frauen und die Heranbildung tüchtiger Agitatorinnen ist. Die Vorsitzende der Hausangestelltenorganisation, Genossin Ehnert, richtete die Bitte an die Delegierten, überall dafür zu wirken, daß sich die dienenden Töchter des Proletariats ihrem Ver­band anschließen. Die Hausangestellten bedürfen dringend besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen. Auch dürfen wir nicht vergessen, daß die meisten von ihnen später Arbeiterfrauen werden. Die Konferenz wurde in der freudigen Hoffnung geschlossen, daß ihre Arbeit Früchte tragen, die Zahl unferer Kämpferinnen und Mit­arbeiterinnen vermehren wird. Magdalene Korfey. Ferienveranstaltungen in Frankfurt a. M. Ferienfreude und Feriensorge gehen für die werktätige Bevölkerung nebeneinander her. Freudig klopft das Herz des Kindes beim Gedanken an die bevorstehenden Ferien. Es winkt die Freiheit von der Fessel