Nr. 10

Die Gleichheit

der Schule. Mit banger Sorge denkt jedoch so manche Arbeiterfrau an den Schulschluß. Durch die notwendige Aufsicht über die Kinder wird sie in ihrer unentbehrlichen Erwerbstätigkeit oder bei der vielen häuslichen Beschäftigung gestört. Ganz reale Tatsachen be= wirken verschiedene Wertungen. Sie ins Auge zu fassen und den vorhandenen Bedürfnissen zu begegnen, ist eine der wichtigsten Aufgaben, die die Kinderschußkommissionen zu lösen haben. Die Kinderfürsorge in den Ferien verdient heute die ernsteste Beachtung. In der werftätigen Bevölkerung ist das größte Interesse für die einschlägigen Maßregeln und Einrich­tungen zu wecken, damit die kommunalen Behörden gezwungen werden, sich mehr als seither der vorliegenden Aufgabe zuzuwen­den. Es ist Pflicht der Kommunen, aus sozialhygienischen und fozialpädagogischen Gründen die Fürsorge der Kinder in der schul­freien Zeit zu übernehmen. Die Kinderschutzkommissionen haben dabei die sehr dankbare Aufgabe, anregend, bahnweisend und aus­führend zu wirken.

Die Frankfurter   Kinderschußkommission hat seit Jahren auf dem Gebiet der Ferienfürsorge mit Erfolg ge= arbeitet. Sie hat schon allein durch ihr Wirken den Nachweis er­bracht, daß eine solche Fürsorge ein Bedürfnis ist, und daß dieses Bedürfnis bei einigermaßen gutem Willen befriedigt werden kann. Sie hat des weiteren dank der tatkräftigen Unterstützung durch die sozialdemokratische Stadtverordnetenfraf­tion die Stadtverwaltung zu entsprechenden Maßnahmen ge­drängt. Es soll nicht verkannt werden, daß in Frankfurt   a. M. verschiedene bürgerliche Korporationen seit Jahren bemüht ge= wesen sind, die Kinderfürsorge in der schulfreien Zeit zu fördern. Es war ihnen aber nicht möglich, größere Kreise der Bevölkerung für diese Sache zu interessieren. Die Gründe dafür sind bereits in dem vorjährigen Bericht dargelegt worden. Daß die private Betätigung schließlich unter städtischer Regie zusammengefaßt wurde, ist lediglich dem unermüdlichen Eifer der Kinderschutzkom­mission zu verdanken. Die Ferienspaziergänge der Frankfurter  Kinderschutzkommission hatten 1911 mit einer Beteiligung von zirka 6000 Kindern einen bescheidenen Anfang. Schon 1912 über­traf die Zahl der Teilnehmer mit 25 000 alle Erwartungen. Die Ferienspaziergänge hatten ihre Notwendigkeit, aber auch ihren Wert erwiesen. Was sie geboten hatten, mußte als trefflich an­erkannt werden.

Diese guten praktischen Erfahrungen veranlaßten die sozial­demokratische Stadtverordnetenfraktion zu einem erneuten Vor­stoß, der die Gemeinde veranlassen sollte, ihre Pflicht zu tun. Sie ersuchte den Magistrat, größere Mittel für die Ferienfürsorge zur Verfügung zu stellen und eine Organisation zur planmäßigen Durchführung der betreffenden Veranstaltungen zu schaffen. Das Vorgehen der sozialdemokratischen Stadtverordnetenfraktion hatte insoweit Erfolg, als in den Etat 1912/13 2000 Mt. für die Zwecke der Ferienfürsorge eingestellt wurden und als der Magistrat unter Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung weitere 10 000 mt. für sie zur Verfügung stellte. Es wurden ferner die einschlägigen Körperschaften zu einer Aussprache zusammenbe­rufen. Im Anschluß daran entstand eine Organisation zur Durch führung der Ferienveranstaltungen. Sie konnte sich dabei auf die Erfahrungen der Kinderhorte und der Kinderschutzkommission stützen, und besaß auch in diesen beiden Korporationen erprobte Arbeitsorgane. Mit gespannter Erwartung sah man der neuen Pragis entgegen. Lehrer, Lehrerinnen und proletarische Frauen sollten gemeinschaftlich und vollständig gleichberechtigt die Ferien­spaziergänge im Sommer 1913 leiten. Sie alle sind von dem Ge­fühl getragen worden, im Dienste der Kulturentwicklung zu wirken; die Gegensätze der Anschauungen traten hinter dem Streben zurück, das heranwachsende Geschlecht gesund an Körper und Geist zu erhalten. Die Fürsorge für die Kinder während der Ferien umfaßte fol­gende drei Maßnahmen: Ferienspaziergänge, Spiele am Vormittag auf den Schulhöfen, Aufnahme bon nicht schulpflichtigen Kindern in Kinder­gärten. Die Propaganda für diese Veranstaltungen war feines­wegs allgemein. Die sozialdemokratische Volksstimme" war die einzige Frankfurter   Tageszeitung, die für sie warb und wirkte. Trotzdem hat sich die Teilnehmerzahl gegen 1912 verdoppelt. Die bom Stadtbund" veranstalteten Vormittagsspiele erfreuten sich im allgemeinen eines guten Besuchs. Die Kindergärten, die in den früheren Jahren während der Ferien geschlossen hatten, waren beranlaßt worden, wenigstens teilweise weiterzuwirken. Die mit dieser Neuerung gemachten Erfahrungen sind gute, und es werden im nächsten Jahre noch mehr Kindergärten geöffnet bleiben müssen. Die Nachmittagsspiele fanden zum Teil in Verbindung mit Spazier­gängen statt. Die Kinder sammelten sich in den Schulhöfen. Bei

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schlechtem Wetter spielten sie in den Turnhallen, bei günstigem Wetter wurden sie auf die großen Spielplätze geführt. Der große Ostpark nahm die Kinder aus dem Nord- und Ostende   wie aus Bornheim   auf; auf der Seehofwiese tummelten sich die Kleinen der Altstadt, von Sachsenhausen  - Ost und Oberrad  . Die Kinder aus dem Westen tamen zum Teil auf der Fröbelwiese zusammen, um nach dem nahen Rebstöckerwald zu gehen; die Bockenheimer   Kinder wurden dem Biegwald zugeführt; die von Niederrad  , vom west­lichen Teil Sachsenhausens und von Westend- Süd benußten die schöne Sandhofwiese.

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Gegen hundert Personen Lehrer, Lehrerinnen und prole= tarische Frauen hatten die Führung übernommen. Mit Herz­erfrischender Begeisterung gingen die Leiter und Leiterinnen in den Spielen und dem Verkehr mit der Kinderschar auf. Die fröh= liche Unterhaltung wurde kurze Zeit dadurch unterbrochen, daß jedes Kind ein Viertelliter Milch erhielt, für die beim Eintreffen 5 Pf. abzuliefern waren. Die Kinder, die diesen Obulus nicht ent­richten konnten, erhielten möglichst doch ihren Becher Milch. Es waren auch ganztägige Spaziergänge ins Auge gefaßt, doch konnte wegen der schlechten Witterung an den Vormittagen meist nicht ausgerüdt werden. Soweit doch solche Spaziergänge stattgefunden haben, entsprachen sie nicht unseren Erwartungen. Wir geben zu, daß die ganztägigen Veranstaltungen in organisatorischer wie in finanzieller Beziehung auf Schwierigkeiten stoßen. Wollen wir- aber die Entlastung der Eltern und die Erfrischung der Kinder an Körper und Geist mit Erfolg durchführen, so müssen wir auch ganztägige Ferienfürsorge organisieren. Im nächsten Jahre wird diese Frage wohl ihrer Lösung entgegengeführt werden.

Es beteiligten sich an den verschiedenen Veranstaltungen an 22 Tagen 49 595 Kinder, mithin im täglichen Durchschnitt 2270. Die Gesamtausgaben dafür betrugen 9570 Mt., und zwar sind folgende Hauptposten zu verzeichnen: persönliche Ausgaben 7000 Mt., Milch und Brot 2379,63 Mt., Schlußfeier 796 Mt., an die Kindergärten 780 Mt., Spiele am Vormittag 300 Mt. Vereinnahmt wurden für Milch und die Schlußfeier 1600 Mt., vom Verein für Kinderhorte 1104 Mt., eine Gönnerin spendete 325 Mt. Den Abschluß der zwei­undzwanzigtägigen Ferienveranstaltungen bildete ein Kinderfest auf dem Gelände der Festhalle. 6000 Kinder tummelten sich in bunten Reihen bei Spiel, Gefang und Konzert. Wenn auch kleine Mängel bei der Bewirtung zutage getreten sind, so fand doch mit dem Feste die Ferienfürsorge von Groß- Frankfurt einen würdigen Abschluß. Was den Kindern geboten worden ist, das reicht zwar nicht ganz an die Leistungen der vorjährigen Veranstaltungen heran, doch kann mit Genugtuung fonstatiert werden, daß dank dem tatkräftigen Eingreifen der Kinderschutzkommission die Sache der Ferienfürsorge eine entscheidende Förderung erfahren hat. Mehr und Vollkommeneres zu erreichen, liegt im Interesse der werktätigen Bevölkerung. Deshalb vorwärts für den Schutz und die Fürsorge unserer heranwachsenden Jugend!

Politische Rundschau.

W.

So ist denn die zweite große 8abern- Interpellation im Reichstag ausgegangen, wie das nach allem Vorhergehenden zu erwarten war, als ein großes Friedensfest, das die Parteien der Mitte, Zentrum und Nationalliberale, mit der Reichsregierung feierten. Der Umschwung, der sich besonders bei den National­liberalen schon während der Verhandlungen des Reuterprozesses zu Straßburg   ankündete, ist prompt eingetreten. In der vorigen Rundschau haben wir noch geschrieben, daß das Bürgertum im günstigsten Falle einige wehleidige Redensarten über die An­maßung des Militärs machen und ein paar Resolutionen fassen werde, auf die nichts erfolgen werde. Dieser günstigste Fall ist nur halb eingetreten. Schon die wehleidigen Worte sind so gut wie aus­geblieben, nur die Resolutionen sind gekommen. Die des Zentrums fordert die Regierung auf, die Befugnisse des Militärs in polizei­lichen Angelegenheiten in einer die Selbständigkeit der Zivilver­waltung sichernden Weise zu regeln. Daß das durch ein Gesetz ge­schehen müsse, daß dem Reichstag das Recht der Mitwirkung dabei zustehe, das wagt diese behutsame Resolution nicht einmal anzu­deuten. Die Regierung hat nämlich anscheinend gar keine Lust, die Kommandogewalt des obersten Kriegsherrn, wie sich die Junker­und alldeutschen Blätter ausdrücken, der Kontrolle der Volksver­tretung zu unterstellen. Sie hat es deshalb an der Zeit gehalten, den Parteien zuvorzukommen- gleich nach den Straßburger Frei­sprüchen ließ fie verkünden, daß der Kaiser die Prüfung der Rechtskraft der berüchtigten Kabinettsorder von 1820 befohlen habe, die, wie sich alsbald herausstellte, die Grundlage der Straßburger Freisprüche war. Später wurde bekannt, daß die Prüfung au­