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Die Gleichheit
das allgemeine Wahlrecht, der den„ Verband" zerreißt, oder richtiger eine Folge der Zuspigung der Klaffengegensäße und sozialen Kämpfe, die auch in der bürgerlichen Frauenbewegung zu einer reinlichen Scheidung der Geister treibt. Die Gründung wurde durch einen Vortrag von Frau Dehmel eingeleitet, der Vorsitzenden der Ortsgruppe Hamburg . Sie sprach über die Aufgaben der Frau im Staat" und stellte dabei fest, daß die Proletarierinnen ein größeres Interesse am öffentlichen Leben bekundeten als die bürgerlichen Frauen. Den 140 000 organisierten Sozialdemokratinnen stehen nur 5000 weibliche Mitglieder bei Konservativen, Nationalliberalen und Fortschrittlern gegenüber und 15.000 meib= liche Mitglieder von Frauenstimmrechtsorganisationen. Frau Dehmel zauberte als Ziel der Vereinigung" die Fata Morgana einer einzigen großen Partei herauf, auf deren Banner das Wort„ Humanität" steht. Wie dieses Jdeal sich mit dem Verzicht auf das Wahlrecht aller Frauen vertragen soll, blieb ein Geheimnis inmitten der Nebel schöngefärbter, nichtssagender Redensarten. Um so mehr Beachtung verdient es, daß zwei Vorfämpfer des„ unentwegt" sein sollenden„ Verbandes" über die neue Gründung Segenssprüche murmelten. Frau Schreiber erklärte das Nebeneinander der beiden Konkurrenzorganisationen für gut möglich, wenn die Ortsgruppe der Vereinigung" ihre Mitglieder politisch für den ,, Verband" reif mache. Herr v. Gerlach meinte, daß sie Gutes leisten könne, wenn sie als Kadettenanstalt für den„ Verband" wirke. Wenn, ja menn, da liegt der Hase im Pfeffer! Die mit Wenn und Aber aufgeblasenen Hoffnungen fünden nur, daß auch im„ Verband" reaktionäre Winterwinde durch die Bäume der Demokratie brausen. Es paßte zu dem Wesen dieser Versammlung, daß ihr Fräulein Lischnewsfa von Reichsrüstungen vorschwärmte und ihr liberales Herz in Dantesbezeugungen für das Zentrum ausströmen ließ, weil es die Wehrvorlage bewilligt hat. Ein Beispiel der„ Humanität", für die fich die eine große Frauenpartei begeistert. Die Humanität der Krupp und Kruppgesellen!
Die Frau in öffentlichen Aemtern.
Der erste weibliche Profeffor in Bayern ist von der Universi tät München ernannt worden. Es ist Fräulein Marianne Blehn, eine frühere Lehrerin, die in der Schweiz studiert hat. Ihre Lehrtätigkeit an Hochschulen begann sie als Assistentin am Zoologischen Laboratorium zu Zürich . Seit vielen Jahren war Fräulein Blehn als Assistentin am Biologischen Institut der Universität München tätig.
Die erste finnische Theologin hat ihr Schlußẞeramen an der Fakultät zu Helsingfors bestanden. Da die Geseze Fräulein Voaska das Amt eines Pastors versagen, wird sie in den höheren Schuldienst eintreten.
Die erste Frau im Kabinett des Bürgermeisters von New York . In Amerika gehört es zu den schwersten Aufgaben eines neuen Mannes in leitender Stellung- sei er Präsident der Vereinigten Staaten , Gouverneur oder Bürgermeister, sein Kabinett zusammenzustellen. Es bedeutet das, die Männer auszuwählen, die die verschiedenen Departements seiner Verwaltung selbständig zu führen haben. Der neue Bürgermeister von Groß- New Yort, Herr Mitchel, in dessen Händen für die nächsten vier Jahre die Fäden der wichtigsten städtischen Verwaltung in den Vereinigten Staaten zusammenlaufen, hatte es in dieser Beziehung ganz besonders schwierig. Nicht genug, daß er sich den Geboten der beutehungrigen Parteien und Parteichen fügen mußte, die sich um seine Erwählung„ verdient" gemacht haben. Er besaß auch den Ehrgeiz, für die verschiedenen Ämter besonders hervorragende Leute finden zu wollen. Jm allgemeinen ist ihm das nicht gelungen, da die Ernannten mit wenigen Ausnahmen das Durchschnittsmaß amerikanischer Beamter nicht überragen. Ausnahmen sind der Stadtkämmerer und der Vorsitzende der Zivildienstprüfungskommission, die beide Proben ihrer Tüchtigkeit und Ehrlichkeit gegeben haben. Die weitaus bedeutungsvollste Ernennung ist jedoch die von Fräulein Kathe rine Bement Davis zur Leiterin der Besserungs- und Strafanstalten von Groß- New York . Damit ist zum erstenmal in einer amerikanischen Großstadt eine Frau zur selbständigen Leitung eines wichtigen Verwaltungszweigs berufen worden. Das alte Vorurteil, nur Männer wären für verantwortungsvolle Posten geeignet, hat damit einen Stoß erlitten, der ihm gefährlich zu werden verspricht. Fräulein Davis hat nämlich eine öffentliche Tätigkeit hinter sich, die zu der bestimmten Hoffnung berechtigt, daß sie nicht der schlechteste„ Mann" der neuen Stadtverwaltung sein wird. Und ist erst vor aller Offentlichkeit der Beweis erbracht, daß eine Frau nicht notwendigerweise unfähiger, korrupter, kleinlicher und un
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gerechter zu sein braucht wie die Krone der Schöpfung- S. M. der Mann, so werden wir wieder ein Stückchen vorwärts gekommen sein auf dem Wege zur Gleichberechtigung von Mann und Weib. h. Die erste Leiterin einer höheren Mädchenschule in Phila delphia ist ernannt worden. Es ist Miß Puncheon, die schon längere Zeit als Hauptlehrerin an dieser Anstalt ihre pädagogischen und organisatorischen Fähigkeiten bewiesen und auch die Schule seit Juli vorigen Jahres geleitet hatte. Trotzdem erfolgte ihre Ernennung erst nach langen und ziemlich hißigen Debatten im Schul- und Erziehungsrat. Bemerkenswert ist noch, daß die neu ernannte Direktorin nur 2500 Dollar Jahresgehalt erhält, während ihr Vorgänger im Amt 4500 Dollar bezog.
Verschiedenes.
Heimarbeiterinnen vor der Kaiserin, das ist die Gnadenbots schaft, die bürgerliche Zeitungen in der üblichen Aufmachung den ausgeschundenen darbenden Frauen verkünden, die sich in der ärmlichen Wohnung für den Moloch Kapital quälen. Einer Abordnung des Gewerkvereins der Heimarbeiterinnen" wurde allerhuldvollst gestattet, der Fürstin die Listen der Kaiserin- Jubiläumssammlung überreichen zu dürfen, die zum Besten der Errichtung eines Altersheims für Heimarbeiterinnen stattgefunden hat. Wir haben seinerzeit tiefer gehängt, mit welch byzantinischem Wortgebimmel bürgerliche Damen den Bettelsack schwangen und ein billiges Wohltun mit Knierutschen vor dem Thron verbanden. Der Ertrag der Sammlung ist trotz allem mager genug: 25 505,91 Mt. Dazu kommen noch 6000 Mt., die schon früher für ein Altersheim im Gewerkverein zusammengebracht worden sind, und ein Grundstück in Wald- Sieversdorf, das ein Freiherr v. Flemming fürzlich geschenkt hat. Die Zeitungen melden, daß die Kaiserin sich mit den drei erschienenen Heimarbeiterinnen unterhielt und sich nach den Fortschritten des Gewerkvereins erkundigte. Sie wissen auch, daß sie durch ihren Kabinettsrat der Abordnung eine Spende für das Altersheim überreichen ließ. Natürlich sind die bürgerlichen Blätter nicht so„ taftlos", das Wieviel der allerhöchsten Spende zu verraten. Sie berichten auch nicht davon, daß die Kaiserin, die Prinzessinnen ihres Hauses und die Damen des Hofstaates künftighin ihre koſtbaren Kleider, ihre feine Wäsche nur noch von Heimarbeiterinnen anfertigen lassen werden, von deren hohem Verdienst kein Unternehmer oder gar Zwischenmeister etwas abzmaden fann. Ebenso wenig hören wir etwas von dem Gelöbnis der einflußreichen Frauen, den Umständen entsprechend das Beispiel der Königin Isabella von Kastilien nachzuahmen. Diese Fürstin soll sich verschworen haben, nicht eher das Hemd zu wechseln, bis die Macht der maurischen Könige in Granada gebrochen sei. Wie wär's, wenn all die besseren, hohen und höchsten Freundinnen der Heimarbeiterinnen das Gelöbnis ablegten, ihr neuestes Pariser Kostüm nicht eher zum Trödel zu werfen, bis ein wirksamer gesetzlicher Heimarbeiterschutz erzwungen sein würde? Vielleicht erlebten dann viele Heimarbeiterinnen die Wohltat des Altersheims.
Zu dem am 8. März stattfindenden diesjährigen Frauentag erscheint wie im verflossenen Jahre ein Agitations: blatt für das
Frauenwahlrecht
Herausgegeben von Klara Zetkin .
16 Seiten im Format der Gleichheit. Das Blatt wird einen reichen Inhalt und eine Reihe guter Illustrationen bringen. Es soll der Agitation unter den breitesten Massen dienen.
Preis der Einzelnummer für den Wiederverkauf 10 Pfennig. Die Organisationen erhalten das Blatt zu den für die Gleichheit üblichen Bedingungen.
Bestellungen sind sofort an die Expedition der Gleichheit, Stuttgart , Furtbachstraße 12, einzusenden.
Genossinnen! Sorgt für die Massenverbreitung eures Wahlrechtsblattes!