Nr. 11

Die Gleichheit

falls deine Eltern. Aber ich?--- Ich will hier nicht ver­sauern! Bruno gibt mir das Geld, daß ich mich als Direttrice ausbilden kann. Und wenn ich zuerst auch nur Stellung in kleinen Städten bekomme, was tut's? Bruno muß auch bald fort, wenn er Amtsrichter wird und sich... reich verheiraten muß...."

Das klang so müde gebrochen. Auf dem Nachhauseweg verfolgte mich etwas, kichernd glozend, sich zentnerschwer auf mich legend. Das Ungeheuer Heimarbeit. Ich sehe die, kleinen Mädchen". Die Not im Elternhaus hat sie zwar früh reif ge­macht, aber doch sind sie voll jugendlichen übermuts und voll jugendlichen Vertrauens. Selbstsicher fühlen sie die Anwart­schaft auf Besseres" in sich. Die Schule hat sie mit falschen Begriffen vollgestopft. Mit glücklich- unglücklicher Unkenntnis stehen sie dem wirklichen Leben gegenüber. Wo hinaus mit den dummseligen, sentimentalen Träumen, mit dem so natür­lichen Drange, emporzuſteigen, sich ein schöneres, höheres Leben zu schaffen? Nur zu oft erliegen sie dem Wahne, durch ein ,, besseres Verhältnis" ihr Ideal zu erreichen. Sie opfern diesem Wahne und fallen ihm zum Opfer. Und die älteren Mädchen? Die Frauen? Drei Worte zeichnen ihr Los: unterernährt, noterstarrt, demütig. Das Gefühl, als einzelne von der Ge­wogenheit des Arbeitgebers abhängig zu sein- die Folge der Heimarbeit, läßt gar nicht wagen, mehr Arbeitslohn zu fordern. Es bieten sich ja so viele billige und willige Frauen­hände an, die nicht für den Lebensunterhalt nähen, sondern nur etwas mitverdienen wollen. Der Arbeitgeber hat die Macht, die Heimarbeiterin brutal, grausam mit der Hunger­peitsche zu schlagen. Das Elend, das endlose Elend begräbt unter seiner Asche das lebendige Fühlen mit der Gegenwart, mit dem Ringen und Kämpfen der Ausgebeuteten. Aber unter der Asche glimmt unbewußt, tief der Haß gegen die be­stehenden Zustände. Und aus diesem Haß der Zertretenen wird einst die Flamme des erlösenden gemeinsamen Kampfes um Menschenrecht und Menschenwürde schlagen.

Eine Heimarbeiterin.

Ein Jahr der Reaktion und des Imperialismus.

III.

Gleich mit Beginn des Jahres setzten die Hundertjahr feiern des sogenannten Befreiungskrieges ein. Bald an diesem, bald an jenem Orte waren ein Gedenktag zu feiern, ein Denkstein zu setzen, ein Denkmal zu enthüllen, dem je­weiligen Festausschuß Orden zu verleihen, bis im Oktober die Feier der Völkerschlacht bei Leipzig   dem patriotischen Rummel die Krone auffezte. Es war eine Geschichtsfälschung im großen, eine Volksbewegung wurde in eine Tat der Fürsten   umgelogen, und der preußische Gamaschenknopf Friedrich Wilhelm   III., der sich von den Ereignissen in den Krieg schleifen ließ und der in der Erhebung der Preußen eine unheimliche Störung der Ordnung sah, als deutscher Nationalheld drapiert: Der Byzantinismus des deutschen Bürgertums überwand selbst die stärksten Hindernisse fest­stehender geschichtlicher Tatsachen und machte aus dieser Ge­denkfeier einer Bewegung, die sich gegen den Willen der ,, deutschen" Fürsten   hatte durchseßen müssen, eine Feier zu Ehren der Nachkommen dieser Fürsten. Der schmähliche Aus­gang des großen Opferjahres, der Betrug, der von den Dy­nastien am deutschen   Volke verübt wurde, das auf Freiheit und Einheit hoffte, die Vergeltung seiner Gut- und Blut­opfer mit Polizeidruck und Demagogenverfolgung, das alles wurde in den patriotischen Erinnerungsartikeln und-reden verschwiegen, als wäre es nie gewesen. Und als die Sozial­demokratie den Schleier zu heben wagte, als sie sich weigerte, sich zu beteiligen, wo das Andenken der Freiheitskämpfer bon 1813 durch Fürstenverhimmelung beleidigt wurde, als sie den patriotischen Fälschungen die historische Wahrheit ent­gegenstellte, da sette eine wüste Heze gegen sie ein. Weil sie

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fich dagegen wehrte, daß man das Volk von 1813 zur Stat fage einer Fürstentat herabdrücke, wurde sie der Beschimpfung der Helden jener Zeit beschuldigt. Diese Heze hat indes nicht verhindern können, daß die Sozialdemokratie die frechen Fälscher mit den Zeugnissen der besten Männer jener Kämpfe, der Stein, Gneisenau, Scharnhorst und anderen aufs Haupt schlug.

Von Ostpreußen  , wo die Erhebung des Jahres 1813 be­gonnen hatte, zog sich der Jubiläumsrummel nach Breslau  , wo er einen seiner Höhepunkte erreichte. Hier begnügte sich das deutsche Bürgertum nicht mit dem Weihrauch, der dem Gefangenen des Sturmes von 1813, dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm   III., und seinem Nachfahren Wilhelm II.  geopfert wurde, in seiner Knechtseligkeit trieb es die Selbst­befleckung bis zur Mißhandlung eines Dichters, der das Mißfallen der Mordspatrioten erregt hatte. Gerhart Haupt­manns Jahrhundertfestspiel wurde vom fortschrittlichen Bres. lauer Magistrat auf ein Stirnrunzeln des Kronprinzen hin gehorsam von der weiteren Aufführung in der großen Fest­halle ausgeschlossen. Der junge Herr hatte, ermuntert durch den lebhaften Protestspektakel der Hurraschreier und Krieger­vereinler, gedroht, das Protektorat über die Jahrhundert­ausstellung niederzulegen, wenn das unpatriotische Stück noch weiter gegeben werde. Dieser Tragödie liberalen Männer­stolzes vor Königsthronen folgte in Bayern   eine Komödie, bei der die deutschen   Fürsten   allein als die Handelnden auf­traten, während die Bürger hinter einer dichten Rette ab­sperrender Soldaten und Gendarmen den Staub, den die Wagen der Landesväter aufwirbelten, schlucken und außerdem noch für den Festverbrauch der Fürsten   blechen durften. In der Befreiungshalle zu Kelheim   versammelten sich die Nachkommen jener Fürsten  , die 1813 sich bis zum letzten Augenblick gegen den Kampf gesträubt, die bis zuletzt vor dem korsischen Eroberer gekrochen waren, zur Feier dieses Kampfes, und das deutsche Bürgertum wandte sich von einem solchen Schauspiel nicht entrüstet ab, sondern bildete dabei die Staffage und schrie hurra. Es hat es ja auch ganz in der Ord­nung gefunden, daß die deutschen Fürsten   in den Oktober­tagen im Mittelpunkt der Leipziger Völkerschlachtfeier stan­den, daß dabei ein Wettiner, dessen Vorfahr noch in den Tagen der Schlacht auf der Seite Napoleons   gestanden war, unterstützt von Polizei und Kosaken, den Wirt machte. Es ist schwer zu entscheiden, ob der Byzantinismus bei dieser Ge­legenheit den höchsten Gipfel erklomm oder schon im Juni beim fünfundzwanzigsten Regierungsjubiläum Wilhelms II. Immerhin hatten die herrschenden Klassen bei letterer Feier einen legitimen Grund für ihr Schweifwedeln vor dem Mon­archen. Hat sich Wilhelm II.   doch unstreitig als Kaiser des Imperialismus, der Wucherzölle auf Lebensmittel und des Arbeitertruzes sowohl um die Kraut- wie um die Schlot­junker verdient gemacht. Das deutsche Proletariat aber konnte an diesem Festtag der Herrschenden eine umfangreiche Gegen­rechnung aufsetzen, in der nichterfüllte Versprechen sozialer Reformen, haßgetränkte Angriffe auf die Sozialdemokratie, Drohungen mit Umsturz- und Zuchthausvorlagen die ein­zelnen Posten darstellten.

Während die Bourgeoisie im Festtaumel schwelgte, begann die Arbeiterklasse die ersten Anzeichen der herannahenden Krise zu spüren. Schon im Juli schwoll die Zahl der Arbeits­losen an, um sich mit dem Fortschreiten des Jahres immer mehr zu verstärken. Die Gemeinden, die von der Sozial­demokratie sofort auf ihre Pflicht zur Hilfeleistung aufmerk­sam gemacht wurden, verhielten sich zumeist ablehnend oder ergriffen doch nur unzureichende Maßregeln. Der preußische Handelsminister Sydow erklärte auf dem Bergmanns  -, rich­tiger Bergherrentag zu Breslau   gemütsruhig, daß das deutsche Wirtschaftsleben ganz gesund und die Ablösung der Hochkonjunktur durch die Krise ein ganz natürlicher Vorgang sei, den die Industrie ohne großen Schaden überstehen werde. Was aus den Arbeitern werde, die durch diesen ganz natür­lichen Vorgang ihre Eristenz verlieren mußten, das machte