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Die Gleichheit
Nr. 11
krochen, der mit allen jesuitischen Mitteln geführt wird und immer weitere Kreise zieht. Von den Zentrumsdemagogen beeinflußt, treten dabei die christlichen Gewerkschaftsführer sehr selbstbewußt auf. So stark fühlen sie sich in der Oppo­sition gegen den Willen des Papstes, daß sie ihn offensicht­lich zwingen wollen, seinen besten Freund in Deutschland  , eben den Kardinalbischof, preiszugeben. Wie die Geschichte auch auslaufen mag, Roms unbedingte Autorität ist er­schüttert. Beim Erlaß von Enzykliken handelt der Papst nicht als Privatperson in privaten Angelegenheiten, er amtiert viel­mehr als Oberhaupt der Kirche in einer Ange- legenheitderKirche. Diesem Tatbestand entsprechend wird mit der Ablehnung seiner Autorität in gewerkschaft­lichen Dingen auch seine Unfehlbarkeit geleugnet. Das ist ein besonders wichtiges Ergebnis dieser Angelegenheit. Bei den katholischen   Arbeitern gerät nun der Glaube an die Au­torität der Kirche ins Wanken. Der schwerste und folgen­reichste Schritt dazu ist getan. Noch langsam zwar, aber un­aufhaltsam geht es nun vorwärts auf dem Wege zur Los­lösung von der Herrschaft der Kirche, wenigstens soweit es sich um die Wahrnehmung wirtschaftlicher Interessen der Arbeiter handelt. Der katholische Arbeiter hat seine Unabhängigkeit von der Kirche in Fragen seiner wirtschaftlichen Interessenvertretung proklamiert, und das unter Leitung und Führung des maß­gebenden Zentrums und seiner Organe, vor allem der Vor­stände der christlichen Gewerkschaften. Nun sind die Bande frommer Scheu gelockert, die bisher die katholischen   Arbeiter von einer bewußten Mißachtung der päpstlichen Autorität abhielten. Das ist wichtig und für die nioderne Arbeiter­bewegung von großem Vorteil. Mit der Politik des Zentrums, zumal mit seiner Zoll- und Steuerpolitik, ist die Masse der denkenden katholischen   Ar­beiter schon längst nicht mehr einverstanden. Schon oft gingen Stürme der Erregung durch ihre Reihen wegen des Ver­haltens dieser Partei des unablässigen Verrats am proleta­rischen Wohl. Die katholische Arbeiterschaft ließ sich aber iminer wieder beschwichtigen, weil man sie glauben machte, Interessen der Kirche hätten die Stellungnahme des Zen­trums gefordert. Man erinnere sich, daß bei der berüchtigten Finanzreform von 19(13, die auch viele katholische Arbeiter brotlos machte, das Zentrum einschließlich der christlickien Gewerkschaftsführer, die Mitglieder des Reichstags waren, Beschlüsse und Forderungen christlicher Gewerkschaften miß­achtete und sogar scharf bekämpfte. Damals besänftigte Herr Abgeordneter Giesberts die erregten Arbeiter mit dem Hin­weis aufhöhere Interessen", um derentwillen das Zentrum die Arbeiterinteressen bewußt habe opfern müssen. Das Zentrum wird zukünftig mit solchem Mißbrauch der Religion zur Verteidigung seines schändlichen Verhaltens bei den Arbeitern immer weniger Gnade finden. Diese Partei selbst hat nun die Proletarier dahin belehrt, daß sie bei Wahr­nehmung ihrer wirtschaftlichen Interessen die Autorität der Kirche, den deutlich bekundeten Willen des Papstes nicht zu beachten brauchen. Das Zentrum und die christlichen Gewerk­schaftsleiter waren ja die Anführer der Nebellion gegen die Autorität des Papstes. Sind aber die Arbeiter erst von den Iesseln der kirchlichen Autorität befreit, so erstarkt auch das Vermögen zum Erfassen ihrer Klassenlage und ihrer Klassen­bedürfnisse. Und damit fallen Schranken, die bisher den katho­ lischen   Arbeitern die konsequente Vertretung ihrer Klassen­interessen verwehrten. Das Zentrum kann keine Arbeiter­politik treiben, es muß reaktionär handeln, weil es nur als Bedienter agrarischer und kapitalistischer Interessen den er­strebten politischen Einfluß zu erreichen vermag. Darum treibt die Entwicklung der Dinge, die Logik der Tatsachen die katholischen   Arbeiter nun schneller auf den Weg der mo­dernen Arbeiterbewegung. XV. v.
Für das Frauenwahlrecht. Rede des Abgeordneten Genossen l)r. Cohn in der Sitzung des Reichstags vom lZ. Zanuar. Meine Herren, ich habe Ihnen namens meiner Freunde zu empfehlen, im Gegensatz zu dem Antrag des Herrn Be­richterstatters die Petition des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht dem Reichskanzler zur Berücksichtigung zu überweisen. Die Petition will den Frauen das passive und das aktive Reichstagswahlrecht unter denselben Bedingungen zuerkennen, wie es den Männern jetzt schon zusteht. Sie be­gründet in aller Kürze dieses Verlangen mit dem Hinweis auf die allgemeinen Umwälzungen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, die sich in den letzten Jahrzehnten unter reicher Anteilnahme der Frauen ereignet hätten. Sie führt weiter zur Begründung aus, daß die Arbeit der erwerbs­tätigen Frauen eine außerordentliche Zunahme erfahren habe, und weist darauf hin, daß viele Tausende von Frauen sich schon jetzt an der sozialen Arbeit für das Volkswohl be­teiligen. Die Petition stellt ferner fest, daß diese Frauen und ihre zahllosen Mitschwestern an allen Fragen der Gesetz­gebung in gleichem Maße beteiligt seien wie die Männer, und sie weist endlich darauf hin, daß die Frau als Hausfrau und Mutter in erster Linie zur Erhaltung des Staates und der Gesellschaft beitrage und aus allen diesen Gründen ein stei­gendes Interesse an allen staatlichen Einrichtungen habe. Eine ähnliche Petition hat die Petitionskommission schon im Jahre 1938 beschäftigt. Damals hat die Petitionskom­mission den libergang zur Tagesordnung beschlossen, und wenn man bescheiden sein will, muß man zugeben, daß der jetzige Beschluß der Petitionskommission schon einen Fort­schritt bedeutet, ungefähr denselben Fortschritt, den man zu verzeichnen hat, wenn man ein Schriftstück nicht in den großen Papierkorb, sondern nur noch in den kleineren Papier­korb hineinwirft. Die Petition vom Jahre 1938 ist im Ple- nuin nicht mehr behandelt worden und so unerledigt ge­blieben. Meine Herren, die jetzige Petition geht uns zwar nicht weit genug. Unsere prinzipielle Stellung zum Frauenstimm­recht ist ja bekannt; sie ist in unserem Parteiprogramm niedergelegt. Wir fordern das Frauenstimmrecht wie das Männerstimmrecht nicht in den Grenzen, die das Reichs­tagswahlrecht jetzt zieht, sondern, wie Sie wissen, für alle Personen über zwanzig Jahre. Wir könnten gegen die Petition des Deutschen   Frauenstimmrechtsbundes sein, weil sie uns nicht weit genug geht. Aber wir verkennen nicht, daß, wenn das Ziel erreicht wird, eine wichtige Etappe auf dem Wege zum allgemeinen Stimmrecht erreicht wäre, wie wir es uns denken. Unser Antrag ist geeignet, den Herrn Reichskanzler und die Verbündeten Regierungen zu veran­lassen, ihre Stellung zu der Frage erneut zu prüfen und uns Vorschläge für eine Änderung des Reichstagswahlrechts durch Ausdehnung auf die Frauen zu machen. Wir wollen nicht das beschränkte Wahlrecht, womit sich weite Kreise der bür­gerlichen Frauenrechtsbewegung leider begnügen. Der Herr Berichterstatter hat ja vorhin erst festgestellt, wie im Anschluß an die letzten Generalversammlungen des Bundes für Frauen­stimmrecht große MißHelligkeiten unter den Stimmreck, tle- rinnen entstanden sind, wie sie sich in weiten Teilen nicht klar sind über das Maß der Forderungen, die sie zum Stimmrecht aufzustellen haben. Wir können selbstverständlich für ein Frauenstimmrecht in dem Sinne nicht eintreten, wie es ein Teil der Stimmrechtlerinnen haben will, für ein Frauen­stimmrecht, das im wesentlichen auf dem Besitz beruht, das sich annähern oder anpassen will dem verschieden abgestuften Klassenwahlrecht, wie wir es in den deutschen Bundesstaaten haben. Würde man hierfür eintreten, so würde das nichts weiter bedeuten als die Anerkennung und Verewigung dieses ja doch schlechthin ungerechten und unmoralischen Wahlrechts, das wir für die meisten deutschen Staaten zu den Einzelland­tagen haben.