Nr. 11

Die Gleichheit

Wir wollen das Frauenstimmrecht durchaus nicht als ein Recht des Besizes, sondern wir fordern es, weil es der Per­sönlichkeit der Frau, ihrer Stellung im Wirtschaftsprozeß, ihrer Stellung zur Gesellschaft überhaupt gebührt. Es sind vornehmlich soziale Gründe, die den Frauen das Recht geben, eine Beteiligung an der Gesetzgebung zu fordern. Gewiß, man fönnte sagen, daß schon die Leistung der Frau, die ihr von der Natur zugewiesen ist, nämlich die Leistung für die Erhaltung des Bestandes der menschlichen Gesellschaft als Gebärerin und Erzieherin der Kinder, von so ungeheurer gesellschaftlicher Bedeutung ist, daß sie es schon für sich allein rechtfertigt, der Frau mindestens, mindestens" sage ich, in gleicher Weise wie dem Manne einen Anteil an der Gesez­gebung zu gewähren. Zur Unterstützung dieser allgemeinen Erwägung fäme noch hinzu, daß es sehr umfangreiche, wich­tige Gebiete unserer Gesetzgebung und unserer Verwaltung gibt, die dem Empfinden, den Kenntnissen und dem Wesen der Frau weit näherstehen und von ihr deshalb viel besser zu beurteilen sind als vom Manne. Das ganze große Gebiet der Erziehungsfragen, das große Gebiet der sozialen Für­sorge, der Waisenpflege usw., alles das sind Dinge, bei denen die Frau von vornherein mindestens das gleiche Sachver­ständnis, wenn nicht ein höheres mitbringt als der Mann. Aber abgesehen von dieser allgemeinen Erwägung zwingt uns eine Betrachtung der sozialen Stellung der Frau durch­aus dazu, ihr auf dem Gebiet des Stimmrechts dieselben Rechte einzuräumen, wie der Mann sie nach der Verfassung hat. Nach der Berufszählung von 1907 standen 9%, Mil­lionen erwerbstätiger Frauen 18%, Millionen erwerbstätigen Männern gegenüber. Nicht nur ein gutes Viertel, wie der Herr Berichterstatter sich ausdrückte, sondern tatsächlich die Hälfte aller erwachsenen Frauen ist durch unsere wirtschaftliche Ent­wicklung jetzt bereits gezwungen, sich ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu verdienen. Der dritte Teil der ge­samten Erwerbsarbeit in unserem Staate wird durch Frauen geleistet, wenigstens nach der Zahl der Erwerbstätigen  . Be­trachtet man die Verteilung der erwerbstätigen Frauen auf die einzelnen großen Arbeitsgebiete, so findet man in der Landwirtschaft 4 Millionen erwerbstätiger Frauen, im ganzen nur 700 000 weniger als erwerbstätige Männer, so daß hier die beiden Geschlechter annähernd gleich vertreten find. In der Industrie sind im Jahre 1907 2 100 000 er­werbstätige Frauen gezählt worden; eine ganz ungeheure Zahl! Es ist hierbei gerade auf dem Gebiet der Industrie festgestellt, daß sich die Zahl der erwerbstätigen Frauen in 25 Jahren, von 1882 ab, verdoppelt hat. In Handel und Ge­werbe hat sich seit 1882 sogar eine Verdreifachung ergeben, und wir zählen im Jahre 1907 bereits annähernd eine Mil­lion, genau 930 000, erwerbstätige Frauen. In den freien Berufen endlich stehen etwa 300 000 erwerbstätige Frauen 1 Millionen erwerbstätigen Männern gegenüber. Im Verlauf von ganz wenigen Jahren hat sich die Zahl der er­werbstätigen Frauen in den freien Berufen verdoppelt.

Meine Herren, diese Zahlen geben doch ein Bild von der fortschreitenden Bedeutung, von der von Jahr zu Jahr größer werdenden Wichtigkeit der Frau im wirtschaftlichen und so­zialen Leben des Volkes, ein Bild von ihrer immer stärker und wichtiger werdenden Stellung in Staat und Gesellschaft. Es ist mit Sicherheit vorauszusagen, daß der Anteil der Frau an der erwerbstätigen Arbeit sich in den nächsten Jahren noch bedeutend erhöhen wird. Wir befinden uns mitten in einer wirtschaftlichen Krise, und alle Erfahrungen bei solchen Krisen gehen dahin, daß sie zu einer stärkeren Heranziehung der billigeren Frauenarbeit im Verhältnis zur Männerarbeit führen. Wenn sich in einigen Jahren die Bilanz dieser Krise wird ziehen lassen, so werden wir zweifellos feststellen müssen, daß sich das Zahlenverhältnis der Erwerbstätigen  : ein Drittel Frauen zu zwei Drittel Männern, bedeutend in der Richtung verschoben haben wird, daß der Anteil der erwerbstätigen Frauen noch gestiegen sein wird.

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Troßdem hiernach die Frauen meiner Auffassung nach mit vollem Rechte und eigentlich viel zu spät in die Arena des politischen Kampfes, wie, ich möchte beinahe sagen die Schimpfrede von frauengegnerischer Seite lautet, hinabge­stiegen sind, trotzdem die Berechtigung, die Notwendigkeit des Frauenstimmrechts eigentlich von keinem Verständigen mehr verkannt werden kann, so findet sich heute doch noch eine Gruppe von Herren hier im Saale, die entgegen dem schon viel zu milden, ja praktisch wertlosen Antrag der Peti­tionskommission nunmehr noch den übergang zur Tages­ordnung beantragen. Ich höre schon die Argumente voraus, die für den übergang zur Tagesordnung vorgebracht werden. Es schicke sich für die Frau nicht, in die Wahlarena zu steigen, es schicke sich nicht, den Blütenstaub von der weiblichen Seele abzustreifen", indem man die Frau zum Subjekt oder zum Objekt in den politischen Kämpfen macht. Das sind Redewendungen, die entweder keinen Sinn haben oder nicht so gemeint sind, wie sie vorgetragen werden. Die Herren, die Zeitungen, die Frauengegner, die sich derartiger Gründe" bedienen, halten es für schicklich, daß die Frau sich in Wind und Wetter, in der Fabrik, auf dem Bau, im Bergwerk, in der dumpfen Heimarbeitsstube zehn Stunden am Tage und noch länger abquälen muß. Der Blütenstaub der weiblichen Seele wird nach der Meinung dieser Herren durch Ziegel­tragen oder durch die Tätigkeit in Bergwerken nicht ent­fernt, der leidet nur, wenn die Frau sich ihrer und ihrer Kinder Interessen im politischen Leben anzunehmen hat. Ich bin umgekehrter Meinung; das, was wir an Schönem und Erhabenem in der Frau zu verehren haben, wird viel besser wieder zur Geltung kommen, wenn die Frau auch in poli­tischer Beziehung, auf dem Gebiet des Stimmrechts das er­hält, was ihr gebührt. Wenn es zahlreiche Frauen gibt, die von dem Schönen und Erhabenen, was in die Frauenseele gelegt ist, nichts mehr aufzuweisen haben, nun, so ist das vor allen Dingen eine Wirkung der leib- und seelenmorden­den überarbeit, die den Frauen in der Landwirtschaft, in der Industrie, in den Bergwerken, auf den Bauten usw. auf­erlegt wird. ( Schluß folgt.)

Aus der Bewegung.

Adolf Geck   zum 60. Geburtstag an dieser Stelle nachträg­lich zu grüßen, ist eine Ehrenpflicht, die wir freudigen Herzens er­füllen. Seit Jahrzehnten dient er dem Gotte seiner Überzeugung mit seiner ganzen Person, ohne zu schachern und zu feilschen. Die Worte persönliche Rücksichten, Familieninteressen" stehen nicht in seinem Lexikon, Adolf Geck   bekam den revolutionären Sinn, die Überzeugungstreue als Erbteil im Blute mit, und die Umgebung, in der er aufwuchs, stärkte diese Bürgertugenden. Er wurde am 9. Februar 1854 in Offenburg   geboren, der badischen Stadt, wo im Frühjahr 1848 die Stimme der Revolution durch große Volks­fundgebungen zum Lande sprach. Sein Vater, ein hochgebildeter Mann, hatte die Laufbahn eines Rechtsgelehrten mit der des Wirtes vom Zähringer Hof" vertauscht. Von den Jdeen der großen fran­ zösischen   Revolution erfaßt, glaubte er, daß sich die staatliche wie private juristische Tätigkeit nicht mit seiner überzeugung vertrüge. Mit der geistigen Atmosphäre des elterlichen Hauses, der Stadt atmete Adolf Geck   ideale Gesinnung und Interesse für das öffent­liche Leben ein. Sein Berufsstudium als Ingenieur und die Be­ziehungen seiner Familie versprachen ihm eine glänzende bürger­liche Existenz. Jedoch der Kämpfer, der in dem jungen Manne steckte, brach bald alle Brücken zu einer solchen hinter sich ab. Zuerst fand Adolf Geck   Anschluß an die" Demokratische Volkspartei", deren Sekretär er schon als Fünfundzwanzigjähriger wurde. Seine Natur war viel zu stark aufs Ganze gestellt, als daß die Halbheiten der bürgerlichen Demokratie ihr auf die Dauer genügen konnten. Als die ersten Stürme des Sozialistengesetzes über das deutsche Proletariat daherbrausten, als die" Demokratische Volkspartei" Gecks Anträge ablehnte, die wirtschaftlichen Forderungen der Ar­beiter in ihr Programm aufzunehmen, da geſellte sich unser Freund 1881 als Bekehrter zur Sozialdemokratie.

Adolf Geck   war für die Anforderungen des Groß- und Klein­kriegs wie geschaffen, der damals mit Spähern, Denunzianten, Bütteln, Richtern und dem ganzen System der Infamien geführt