Nr. 12

Die Gleichheit

quisition in Frack und Manschetten. Sie richtet ihre Anklage gegen den allgemeinen Geist der Reaktion, der immer mehr um sich greift, und appelliert an alle freien Männer: Sie werden nicht dulden, daß eine Frau so gewaltsamer Bevor­mundung unterworfen, daß ihre Seele polizeilich in den Himmel esfortiert wird. Auch wir sind mündig und wollen fämpfen für unsere Freiheit, für unser Recht! Die höchste Freiheit aber ist, daß wir wählen dürfen zwischen Himmel und Hölle!"

Das deutsche Volk, an das Luise Aston appellierte, konnte ihr nicht helfen. Sie mußte ihren Aufenthalt mehrfach wechseln. Diese Wanderjahre sind die Zeit, in der sich ihr dichterisches Talent am reichsten entfaltete. Ihre Werke sind heute vergessen, aber die Gedichte, die sie unter dem Titel ,, Wilde Rosen" veröffentlichte, sind in Form und Inhalt so schön und kühn, daß sie den besten zur Seite gestellt werden können, die wir von weiblichen Lyrikern besitzen.

Als die Berliner Freischaren im Jahre 1848 nach Schles­ wig Holstein zogen, schloß sich Luise Aston ihnen als Krankenpflegerin an, um ihre Begeisterung für die Freiheit zu betätigen. Die Grenzboten" von 1848 rühmen, daß sie mit der größten Aufopferung und sans gêne sich der Pflege der Verwundeten angenommen habe und durch einen Streif­schuß an der Hand verletzt wurde. Luise Astons Journal Der Freischürler" wurde verboten, weil sie darin zu viel von dem Feldzug in Schleswig- Holstein erzählte. Eine zweite Ehe, die sie später mit einem Arzt schloß, war sehr glücklich. Sie zog sich von der Öffentlichkeit zurück und starb im Jahre 1871 in Wangen im Allgäu.

Von der bürgerlichen Frauenwelt, der sie entstammte, ist Luise Aston vergessen. Sie paßte nicht in ihren Rahmen fatter Tugend. Die proletarischen Frauen aber gedenken ihrer als einer der eifrigsten Kämpferinnen gegen alle Privilegien, sei es, daß diese sich auf Reichtum oder auf Geburt oder auf Geschlecht begründen. So ist es doch das deutsche Volk, an das sie einst appellierte, um ihr Recht der freien Persönlichkeit zu verteidigen, das den Kampf um dieses Recht in ihrem Sinne fortführt. Anna Blos .

Um die Mitarbeit der Frauen in der Berliner Armendirektion.

Wie in Nr. 9 der Gleichheit" mitgeteilt worden ist, hatte vor furzem die liberale Mehrheit der Berliner Stadtverordnetenver­sammlung abermals die von unseren Genossen wiederholt gestellte Forderung abgelehnt, eine Frau als Bürgerdeputierte in die Armendirektion zu wählen. Die sozialdemokratische Fraktion brachte daher folgenden Antrag ein: Die Stadtverordnetenversammlung wolle beschließen: a. den Magistrat zu ersuchen, einer Vermehrung der Armendirektion um drei durch Bürgerdeputierte zu besetzende Stellen zuzustimmen; b. für diese drei neuen Stellen Frauen zu wählen." Um dieser Forderung mehr Nachdruck zu geben, veran= staltete unsere Partei am 8. Januar eine öffentliche außerordent­lich gutbesuchte Frauenversammlung, in der Stadtverordneter Ge­noffe Rosenfeld und Genossin Weyl referierten.

71

-

Genosse Rosenfeld gab eine ausführliche geschichtliche Dar­stellung über die Entwicklung der Armenpflege, die früher Einzel­arbeit war, aber auf Staat, Stadt und Vereine übergegangen ist. Heute, im Zeitalter der Massenarmut der Armenetat der Stadt Berlin beläuft sich für das Jahr 1914 auf 19 Millionen Mart­spielt die Hilfstätigkeit des einzelnen keine Rolle mehr. Selbst die Kirche, deren Eroberungsgebiet die Armenpflege jahr­hundertelang darstellte, ist in den Hintergrund geschoben durch das Recht jedes Unterstüßungsbedürftigen auf öffentliche Hilfe. Frauen sind es gewesen, die hier als Pioniere vorangegangen sind. Amalie Siebeting in Hamburg hat anfangs der dreißiger Jahre des borigen Jahrhunderts durch die Begründung von Frauenvereinen für Armen- und Krankenpflege bahnbrechend und vorbildlich ge­wirkt. Jeanette Schwerin begründete in Berlin Mitte der neunziger Jahre die planmäßige Organisation der privaten und Vereinswohltätigteit. Henriette Goldschmidt forderte im Jahre 1868 in Leipzig als erste Deutsche die Zulassung der Frauen

183

zur kommunalen Armenpflege. 1875 wurde diese Forderung erfüllt in England! Deutschland blieb zurück.

-

Seit mehr als zwanzig Jahren fordern Vereine und Sachver ständige die Heranziehung der Frau zur öffentlichen Armenpflege. Kassel ließ als erste deutsche Stadt 1881 Frauen zu diesem Amte zu. Andere Städte folgten langsam nach. Berlin erwägt" seit dem Jahre 1896. Damals beantragte die sozialdemokratische Fraktion die Zuziehung der Frauen zu den Armenkommissionen als vollberechtigte Mitglieder. Singer bezeichnete es als einen Mangel der Armenverwaltung, daß keine Frau ihr angehöre. Um­sonst! Die tapferen Liberalen, deren Frauen damals schon vielfach in der freiwilligen sozialen Hilfsarbeit tätig waren, entschieden gegen den sozialdemokratischen Antrag und gnädigst für die außer amtliche Mitwirkung" der Frauen. Inzwischen sind die Frauen zwar als vollberechtigte, wenn auch von den Männern mei­stens nicht gern gesehene Mitglieder zu den Armenkommis= fionen zugelassen worden, aber der Kampf um die Mitgliedschaft der Frauen in der Armendirektion ging weiter.

Die liberale Mehrheit der Berliner Stadtverordnetenversamm­lung war preußischer als die preußische Regierung. Diese ließ in vielen Städten ohne jeden Einspruch zu, daß Frauen Mitglieder der Armenverwaltungen werden. Die Berliner Kommunalliberalen dagegen verschanzten sich hinter juristischen" Bedenken, ob die Frauen nach dem Wortlaut des Gesetzes auch wirklich als Orts­einwohner" zu betrachten seien und als solche in die Deputationen gewählt werden könnten. Ein amtlich eingeholtes juristisches Gut­achten erklärte diese Bedenken als nicht vorhanden. Endlich muß nun der Berliner Stadtfreisinn eine unzweideutige Stellung zu dieser Frage einnehmen.

Hatte Genosse Rosenfeld die geschichtliche und politische Entwick­lung dieser Frage dargelegt, so schilderte Genossin Weyl die prat­tische Notwendigkeit für die Mitarbeit der Frau in der Gemeinde. Sie zeigte, daß die Frau als Gattin, Hausfrau und Mutter die Ursachen des Glends rascher zu ergründen und den Jammer besser zu lindern wisse als der Mann, soweit dies in unserer heutigen Wirtschaftsordnung überhaupt möglich ist. Aus reicher persönlicher Erfahrung heraus konnte sie die Unentbehrlichkeit der Frau auf allen Gebieten der öffentlichen Hilfstätigkeit beweisen. Sie ließ den Einwand nicht gelten, den die Männer so gerne machen, näm­lich daß das gute Herz der Frau" zu allzu raschem Geben ver­leiten könne. Noch nirgends sei der Beweis dafür erbracht worden, im übrigen könne es nichts schaden, wenn bei Entscheidungen der Armenverwaltung das Herz etwas mehr mitspräche als bisher. Genossin Weyl verlangte zum Schluß, daß die Genossinnen sich zahlreicher als bisher an der Gemeindearbeit beteiligen möchten. Dieses Arbeitsgebiet den Frauen der Bourgeoisie allein zu über­laffen, sei ein großer Fehler. Es sei eine Aufgabe der Proletarie­rinnen, auf alle Gebiete der gemeindlichen Arbeit Einfluß zu er­langen durch ihr Interesse und ihre praktische Mitwirkung.*

Doch nicht die sozialdemokratischen Frauen allein woll­ten durch eine Versammlung ihren Willen zu der aufgerollten Frage kundtun. Auch die bürgerlichen Frauen beriefen zu diesem Zwecke am 19. Januar eine Frauenversammlung ein. Ka tholische, evangelische und jüdische Frauenvereine, Verein Frauen­stimmrecht und Frauenwohl( die nunmehr feindlichen Schwe­stern"), Volksschullehrerinnen-, Hauspflegevereine und noch ein halbes Dußend Organisationen waren dem Rufe der Mädchen­und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit" gefolgt, jedoch nicht sehr zahlreich. Ein Häuflein von 150 bis 200 Frauen hörten sich die Vorträge an, in denen die Frage erörtert wurde: Gehören Frauen in die Armendirektion?" Gründlich wurde enttäuscht, wer das eigentlich Selbstverständliche erwartet hatte, nämlich, daß die liberalen Rednerinnen auf die Haltung der liberalen Mehrheit der Berliner Stadtverordneten zu dieser Frage eingehen oder gar Kritik daran üben würden. Bei der langen Rederei kam nichts an­deres heraus als die oft wiederholte Bitte", die liberalen Männer möchten doch endlich so viel Einsicht haben und den sich so gern be­tätigenden Frauen ein bescheidenes Plätzchen auf dem Tätigkeits­feld der Gemeindearbeit einräumen.

Helene Lange , die bekannte Frauenrechtlerin und Refor­matorin auf dem Gebiet der höheren Mädchenschule, sprach kurz und farblos über die Wandlung im Pflichtenkreis der Frau, der jetzt nicht mehr allein im Hause, sondern auch draußen in der Offentlichkeit läge. Die Mitarbeit der Frau sei deshalb auch keine frauenrechtlerische, sondern eine soziale Forderung. Die nachfol

* Näheres darüber siehe: Die Frau und die Gemeindepolitik. Von Klara Weyl . Sozialdemokratische Frauenbibliothet. II. Vorwärts. 30 f.