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Die Gleichheit

treffenden Ländern heißen mögen- haben die Frauen jetzt bereits in 19 Ländern gewonnen, in 12 davon im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts. Von diesen 19 Ländern sind wieder 17 Englisch redende, 2 Skandinavisch redende Länder, aber fein einziges deutsches Land befindet sich darunter. In den Vereinigten Staaten erreicht die Frau mit der Errin­gung des Wahlrechts für die Einzelstaaten gleichzeitig auch das Wahlrecht für die Gesetzgebung der Vereinigten Staaten überhaupt. Meine Herren, und der jüngste Erdteil ist der­jenige, von dem man wohl sagen kann, daß er auf dem Ge biet des Frouenstimmrechts in der Welt am meisten voran ist. In Australien haben die Frauen das aktive und passive Wahlrecht zum Bundesparlament der Vereinigten Staaten von Australien , und zwar haben sie dieses Recht zu den sehr weitgehenden Rechten hinzugewonnen, die sie in den einzel­nen Staatenparlamenten schon seit Jahren haben. Es gibt von den australischen Staaten keinen einzigen, in dem die Frauen nicht wenigstens das aktive Wahlrecht hätten. Neu­ seeland , Südaustralien , Weſtaustralien , Neusüdwales, Tas­ mania , Queensland und Viktoria, alle haben sie das aktive, Südaustralien hat auch ein passives Wahlrecht für die Frauen. Am frühesten hat in Neuseeland diese Entwicklung begonnen, nämlich im Jahre 1893, dann kam Südaustralien im Jahre 1894, Westaustralien im Jahre 1899- also zu einer Zeit, wo von einer deutschen Frauenstimmrechtsbewe­gung außerhalb unserer Partei kaum die Rede war, ge­schweige denn von einer wohlwollenden oder energischen Haltung der regierenden Klassen, der Regierungen selbst gegenüber dieser Kulturbestrebung.

Meine Herren, und doch, trog allem Widerstand, den Mitteleuropa , trotz allem Widerstand, den insbesondere das Deutsche Reich, aber auch die einzelnen Bundesstaaten den Bestrebungen der Frauen entgegensezen: das Frauenstimm­recht marschiert, es ist auf dem Wege auch bei uns, und wenn es sich einst nicht mehr wird versagen lassen, dann werden die jetzigen Gegner wie alle, die zu spät einer Entwicklung nachgeben und sich ihr zu lange entgegengestemmt haben, beschämt zur Seite stehen müssen. Kommen wird das Frauen­stimmrecht sowohl zu den einzelnen Landtagen wie zu den fommunalen Körperschaften wie auch für den Deutschen Reichstag. Es ist schließlich von den Gegnern des Frauen­stimmrechts eine Scheu vor den damit verbundenen Ver­fassungsänderungen vorgeschützt worden. Diese Scheu müssen wir ablegen. Wir können sie auch ablegen, und gerade die letzten Tage haben uns doch wieder ein Beispiel dafür ge­geben, daß es gar nicht so schwer ist, eine Verfassung zu ändern. Ist doch die deutsche Reichsverfassung und das deutsche Strafgesetzbuch nach Meinung des Kriegsgerichts in Straßburg sogar durch eine Kabinettsorder, und dazu von 1820, für geändert erklärt worden. Wenn Sie, meine Herren von der Rechten, eine solche Scheu vor dem großen Apparat einer Verfassungsänderung haben, nun, vielleicht versuchen Sie es auch beim Frauenstimmrecht einmal mit einer Rabinettsorder. Ich glaube, Sie werden in weiten Kreisen der Königstreuen Leute dafür Entschuldigung fin­den. Lassen Sie also einmal eine Kabinettsorder zugunsten des Frauenstimmrechts ausschreiben. Eine solche moralische Stärkung der Monarchie müßten doch gerade ihre Anhänger herbeisehnen.

Frauentag.

Eine Erinnerung.

März! Stürme durchtoben das Land. Krachend werden die Eisschollen in dem Flusse weitergeschoben, den geschmolzene Schneemassen weit über seine Ufer treten ließen. Es will Frühling werden. Auf Wiesen und Feldern, in den Wäldern und Gärten ein Reimen, Sprießen und Wachsen. Die Kno­spen schwellen und lassen grünende Blätter, prangende Blüte und reifende Frucht ahnen. Es ist etwas Aufpeitschendes, Freiheitssehnsüchtiges, Revolutionäres in der Vorfrühlings­

Nr. 12

ſtimmung des Märzen. Märzstürme haben mehr als einmal die Freiheitsliebe Unterdrückter zu lodernder Flamme ent­facht. Niemand, dessen Seele für Freiheit glüht, kann der revolutionären Märztage von 1848 in Wien , Berlin und an­deren deutschen Städten vergessen, der heldenhaften Barri­kadenkämpfer, die damals in Preußens Hauptstadt für die Freiheit fielen. Das Herz aller denkenden Proletarier klopft begeistert, stürmisch, wenn sie sich des glorreichen Kommune­aufstandes des arbeitenden Pariser Volkes im März 1871 er­innern....

Der sozialdemokratische Frauentag fällt in gute Zeit. Und. ist er nicht selbst ein Zeichen vom Erwachen und Regen neuer Kräfte. Was steht hinter ihm? Die große Sehnsucht von Millionen arbeitender Frauen aller Länder nach Recht, nach Freiheit. Ihnen ist das Bewußtsein ihres elenden Daseins gekommen. Sie drängen vorwärts ins Licht der Kultur. Der Kapitalismus hat ihre frühere Tätigkeit in der Familie ent­wurzelt. Er verwandelt die Frauen immer mehr in Objekte seiner Ausbeutung. Damit treibt er sie ins gesellschaftliche, ins öffentliche Leben. Hier haben sie Pflichten über Pflichten zu erfüllen. Die wichtigsten politischen Rechte aber werden ihnen versagt. Muß da nicht Empörung, Zorn die Frauen ergreifen? Muß nicht laut und lauter ihre Forderung er­schallen: Heraus mit vollem Bürgerrecht für uns! Wir wollen die Zustände umschaffen helfen! Wir wollen den Kapitalis­mus niederzwingen und unsere Freiheit durch den Sozialis­mus erobern. In der Frauentagsdemonstration fühle ich das Wehen des Märzensturms, der den Winter vertreibt und den Lenz bringt.

Stundenlang vor dem Beginn der Rundgebung strömen die Proletarierinnen dem Versammlungsort zu und Arbeiter auch. Schnell ist der weite Saal bis auf das letzte Plätzchen gefüllt. Und noch immer kommen Scharen von Frauen. Die Männer machen ihnen bereitwillig Play. Doch trotzdem ist der Saal zu klein, die anflutenden Massen zu fassen. Viele müssen umkehren, und dichtgedrängt sizen und stehen die Frauen, die Recht und Gerechtigkeit begehren. Ausschließlich Frauen leiten heute die Versammlung. Die Glocke der Vor­sizenden schafft feierliche Stille. Ein brausender Freiheitschor der Arbeitersänger erhebt die Herzen. Nun besteigt die Red­nerin mit leuchtendem Blick die Tribüne. Ihre Worte fliegen durch den Saal, schlicht, ungekünftelt. Sie werden zur wuch­tigen Anklage wider die kapitalistische Ordnung, die Leiden ohne Zahl auf das Weib des arbeitenden Volkes häuft. Sie preisen begeistert Recht und Freiheit. Sie mahnen eindring­lich zum Kampfe. Die Wangen der Zuhörerinnen erglühen, die Augen blißen. Die Gefühle lösen sich in einem Beifalls­sturm. Unter jubelndem Händeklatschen wird einstimmig die Resolution angenommen. Immer wieder macht sich die Stim­mung in begeisterten Hochrufen auf das Frauenwahlrecht und die Sozialdemokratie Luft. Nochmals ertönt weihevoller Ge­sang. Nun drängen die Massen dem Ausgang zu. Bald sind die umliegenden Straßen von einer vieltausendköpfigen Menge überschwemmt. Erstaunt fragt wohl ein ahnungsloser Philister: Was bedeutet das?" Und kopfschüttelnd hört er: Die sozialdemokratischen Frauen wollen das Wahlrecht. Miß­vergnügt zieht der Brave weiter: Welche Zeiten, du lieber Himmel, welche Zeiten.... Anno dazumal...."

Verheißungsvoll wirft die sinkende Sonne ihre Strahlen auf die heimkehrenden Proletarierinnen. Noch sind die Bäume kahl, und die Luft weht kühl. Doch ich schaue im Geiste grünende Saaten und blühende Bäume. Ich weiß es: dieser Tag wird fruchtbar sein. Erkenntnisse sind aufgeblizt, Ge­löbnisse gegeben worden, zu handeln, zu kämpfen. Nicht bloß hier in dieser einen Stadt. In Hunderten und aber Hun­derten von Orten, in vielen Ländern....

So war es voriges Jahr. 1914 darf es nicht anders sein. Oder doch? Jawohl! Der heurige Märzentag der sozialdemo­M. H. kratischen Frauen muß seine Vorgänger übertreffen!