Nr. 12
Die Gleichheit
versammlung des Bundes der Landwirte, die als große Heerschau agrarischer Massen den äußerlichen Höhepunkt jener Veranstaltungen bildet, war diesmal besonders stark besucht, so daß die beiden Zirkuffe Berlins gefüllt waren. Angesichts der kommenden Erneuerung der Handelsverträge haben die Agrarier ein besonders startes Aufgebot ihrer Mannen für nötig erachtet und auch arran= giert. Durch Referenten wie Oldenburg und Ortel suchte man Wirkung zu erzielen. Beide Redner versezten der Regierung einige derbe Rippenstöße, weil sie ihnen gegen den Umstura, die Elsässer, die Polen und Dänen lange nicht schneidig genug vorgeht. Neben den besonderen Wünschen der Besizer von Ar und Halm entwickelten sie das bekannte Programm der Reaktionäre, in dessen Vordergrund die Meuchelung des Roalitionsrechts, der sogenannte Schutz der Arbeitswilligen, steht. Außerdem aber wurde den Nationalliberalen zu erkennen gegeben, daß man sich mit ihnen gern zum neuen Zollwucherraubzug sammeln möchte. Wenn Oldenburg den Bafferimännern ob ihrer angeblich einstigen Annäherung an die Sozialdemokratie noch grolltes soll ihnen alles verziehen sein, so fie aufrichtig Neue und Besserung geloben und vor allem für die volle Erhaltung oder besser noch Erhöhung des Wuchertarifs forgen. Diese Sammlungsparole der Bündler zeigt dem Proletariat, was bei den Handelsvertragskämpfen, die jetzt nahe herangerückt find, auf dem Spiele steht.
Drei Wochen nach ihrer Erwählung ist endlich die 3abernTommission zusammengetreten, die der Reichstag zur Beratung der Anträge auf reichsgesehliche Begrenzung der Kommandogewalt eingesetzt hat. Die Regierung geruht, ihre Arbeit zu ignorieren. Sie fandte lediglich einen Beamten des Reichsjustizamtes, um erklären zu lassen, daß sie von einer reichsgesetzlichen Regelung der Befugnisse der Militärgewalt nichts wiffen will, weil hier die Einzelstaaten zuständig feien. Diefer angebliche Grund ist indeffen nur eine Beschönigung der Tatsache, daß die Regierung überhaupt keine gesetzliche Beschränkung der Militärgewalt will- fie weiß nur zu gut, daß sie in dieser Hinsicht von den Landtagen, die ja allesamt reaktionärer find als der Reichstag , nichts zu befürchten hat. Durch ihre Weigerung verkündet also die Regierung, daß die Kommandogewalt auch fernerhin außerhalb der Verfaffung stehen soll, daß die Willfür der Militärbehörden durch feine. gesetzliche Schranke gehemmt werden soll, daß die Bürgerrechte und Volfsrechte nach wie vor unter dem Säbel stehen sollen, daß der König von Preußen die Macht behalten soll, die Reichstagsbude durch einen Leutnant mit zehn Mann schließen zu lassen. Den Liberalen und dem Zentrum ist dieser Sinn der Regierungserflärung natürlich nicht verborgen. Daß sie etwas Durchgreifendes dagegen nicht tun werden, ist ebenso sicher. Vorläufig haben sie die Kommission auf einige Zeit vertagt, weil sie erst auf Ausfünfte und Materialien warten wollen, die sie von der Regierung erbitten. Der Reichskanzler aber gab ihnen zu dem einen Fußtritt gleich noch einen zweiten hinzu. In der Norddeutschen Allgemeinen Beitung" ließ er offigiös mitteilen, jene Blätter der Rechten befänden sich im Irrtum, die die Haltung des Kommissionsvertreters der Regierung so gedeutet hätten, als ob diese dort mit den Parteien über die reichsgesehliche Regelung der Militärgewalt doch noch diskutieren wolle dergleichen falle ihr ganz und gar nicht ein.
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Impreußischen Abgeordnetenhaus vergewaltigten der nationalliberale Vizepräsident und die reaktionäre Mehrheit, wozu dort die Nationalliberalen ohne Vorbehalt gehören, die sozialdemo fratische Fraktion wieder einmal in der schamlosesten Weise. E3 wurde ihr plötzlich das Recht geraubt, bei den einzelnen Kapiteln des Etats besondere Fälle zur Sprache zu bringen, trotzdem man das jahrelang so gehalten hatte. Zur Strafe hielt Genosse Adolf Hoffmann eine Dauerrede, die die Reaktionäre so in Wut versetzt hat, daß sie nach einer weiteren Verschlechterung der Geschäftsordnung des Junkerparlaments schreien.
Furchtbare Bilder aus den Kolonien entrollte die Beratung des Kolonialetats in der Budgetkommission des Reichstags. Der christlichsoziale Abgeordnete Mumm mußte auf Drängen seiner Freunde von den evangelischen Missionen zur Sprache bringen, daß in den Kolonien der Arbeitszwang mit all seinen Greuela ausgeübt wird und daß die Sklaverei eher zu- als abnimmt. Von fozialdemokratischer und Heritaler Seite wurden diese Anklagen bestätigt und noch ergänzt. Die Regierung, Konservative und Liberale fuchten jene Zustände zu beschönigen. Abgelehnt wurde ein fozialdemokratischer Antrag, die Neugründung von Plantagen zu berbieten, die den Arbeitszwang verschulden.
H. B.
Gewerkschaftliche Rundschau.
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Das Kapitel des Unternehmerterrors ist unerschöpflich und sein Studium ist denen zu empfehlen, die nach heimtüdischer Niederbüttelung der Koalitionsfreiheit der Arbeiter schreien. Die Unternehmer im Industriegebiet Schwarzenberg des säch fischen Erzgebirges haben das System der schwarzen Listen straff organisiert. Dem Lohnsflaven, der die Arbeitsstätte wechselt, folgt ein Steckbrief. Durch diesen ist jeder Unternehmer des Gebiets über die bei ihm Arbeit Suchenden genau unterrichtet. Er weiß, ob und wann sie gekündigt haben oder ob und wann sie entlassen wurden; ihr Charatter wird ihm beschrieben, und zugleich erhält er die Anweisung, wie er sich auf ihr Gesuch um Arbeit zu verhalten hat. So verkündet ein solcher Steckbrief unter genauer Angabe des Namens und der Wohnung, daß ein Arbeiter seinen Arbeitslohn fälschlich um 4 Pf. zu hoch angab, um einen höheren Lohn zu erwirken, daß der Jüngling" ein sehr energisches Auftreten habe und sehr anmaßend sei. Von einer Arbeiterin wird mitgeteilt, daß sie die Arbeit ohne Kündigung verlassen hat. Deshalb dürfe sie einen Monat lang nicht in Arbeit genommen werden! Einem anderen Arbeiter wird Absolution für das gleiche Vergehen erteilt, weil er wieder reumütig zur Arbeitsstelle zurückgekehrt ist. Den Ausbeutern genügt es also nicht, daß sie den Arbeiter, der seinen Platz ohne Kündigung, aber sicher nicht ohne Grund verläßt, durch das Gewerbegericht zur Verantwortung ziehen können. Sie maßen sich auch noch das Recht an, ihm so lange es ihnen beliebt die Möglichkeit zu rauben, sein Brot zu erwerben. Die Unternehmer halten also über den arbeitsuchenden Proletarier ein Femgericht, und das nennt sich darum Schutz der Arbeitswilligen. Raum je ist ein frecherer Mißbrauch mit der Falschmünzung von Worten und Begriffen getrieben worden, als wie es heute im Kampfe gegen die Ausgebeuteten geschieht. Rüdsichtslos handhaben die Kapitalisten den Terrorismus gegen Klassengenossen, die sich ihren Anordnungen im Kampfe wider die Arbeiter nicht fügen. Wir berichteten vor längerer Zeit schon, daß die Magde burger Zwangsinnung der Bäckermeister von acht Kleinmeistern eine Strafe von je 1050 Mt. eintausend und fünfzig Marteintrieb. Diese hatten sich nämlich des Frevels schuldig gemacht, entgegen dem Beschluß der Innung die Arbeiterforderungen zu bewilligen. Dieses Vorgehen ist einfach eine Erpresfung, die mit Hilfe der Behörden durchgeführt wird. Genosse Rechtsanwalt Dr. Heinemann hat nach langen vergeblichen Bemühungen es endlich einmal durchgefeht, eine solche Ausübung des Innungsterrorismus vor den Strafrichter zu bringen. In Eberswalde hatte die Bäderinnung das gleiche Stücklein bersucht wie die ehrfame Korporation in Magdeburg , mur daß die Strafen nicht so hoch aufgelaufen waren. Gegen die Bäckerinnung wurde deswegen Anzeige erstattet. Der Amtsanwalt in Ebers walde lehnte aber die Erhebung der Anflage mit der Begründung ab, daß die Jnnungsmitglieder durch Strafen zu Gemeinsinn und Standesehre angehalten werden dürften. Es wurde nunmehr Beschwerde beim Landgericht erhoben mit dem Erfolg, daß jezt der Staatsanwalt Anklage wegen Bergehen gegen die§§ 152 und 153 der Gewerbeordnung erheben will. Viel wird bei dieser Anklage nicht herauskommen. Sollte wirklich eine Verurteilung zu einigen Tagen Gefängnis erfolgen, so wird alsbald der Kaiser von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch machen. So wurde ja früher schon ein Berliner Bäckermeister begnadigt, um den Ausbeutern und Gerichten recht deutlich zu Gemüte zu führen, daß der§ 153 nur als ein Ausnahmegesez gegen die Arbeiter gedacht ist.
In unserer letzten Rundschau hatten wir uns mit dem Streikbrecheragenten Reiling zu befassen, einem Kerl, der megen gemeiner Vergehen und Verbrechen in Österreich mit zusammen neun Jahren Gefängnis und Zuchthaus vorbestraft ist, dessen „ Ehre" sich aber dennoch ein deutscher Staatsanwalt mit aller Tattraft annahm. Dieser Schüßling unserer Gerichte hat nunmehr auf der alten Stätte feines Wirkens, in Österreich , einen streifenden Buchdrucker niedergeschossen. Vorläufig sitzt der Mörder hinter Schloß und Niegel. Günstiger für ihn würde es sein, wenn er feine Meucheltat in Deutschland begangen hätte. Denn dann hätte er ziemlich sichere Aussicht, wegen Putativnotwehr freigesprochen zu werden.
Unter den Lohnbewegungen der letzten Tage haben die zentralen Tarifverhandlungen im Schneidergewerbe größere Bedeutung. Sie sollten besonders für die Arbeiterinnen eine Lehre fein. Es galt für etwa sechzig Städte im Reiche die Tarife zu erneuern. Die Verhandlungen waren sehr langwierig, wie das bei den sehr verwickelten Tarifverhältnissen im Schneidergewerbe immer der Fall ist. Das Ergebnis für die Arbeiter steht etwas