Nr. 13

Die Gleichheit

Dienst der Schule der Kinematograph gestellt werden, der heute durch seine Sensationsvorstellungen so viel Unheil an­richtet, aber sehr belehrend wirken kann. Er fönnte den theoretischen Unterricht ungemein lebendig machen. Als Motto der Arbeitsschule wäre recht eigentlich wieder ein Wort Goethes am Blaze:

Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, Und grün des Lebens goldner Baum!"

Was eine Frau kann.

Am 27. Oftober 1881 zählte sich die Sozialdemokratie zum erstenmal seit dem Erlaß des Ausnahmegesetzes bei den Reichstagswahlen. Der kleine Belagerungszustand gab in Berlin  , Hamburg  , Altona  , Leipzig   den Behörden geradezu unbeschränkte Machtbefugnisse gegen die Umstürzler". In ganzen Reiche waren die bescheidensten Arbeiterorganisa­tionen aufgelöst, das farbloseste Arbeiterblättchen unterdrückt. Die Führer der Sozialdemokratie wurden wie Wild gehezt. Unerhörte polizeiliche Nücken und Tücken vereitelten Wahl­bersammlungen und die Verbreitung von Flugblättern. Trotz alledem bekannten sich am Wahltag 311 961 Wähler als An­hänger der Sozialdemokratie. Obgleich keiner der sozialdemo­kratischen Kandidaten im ersten Wahlgang ein Mandat er­rungen hatte, schreibt Bebel   im dritten Band seiner Erinne­rungen Aus meinem Leben", der reich an interessanten Einzelheiten ist: Tatsächlich war schon am 27. Oftober 1881 das Sozialistengesetz besiegt." Bei den Stichwahlen eroberte die Partei 13 Reichstagssize, darunter befand sich der von Freiberg   i. S., den Genosse Kayser für die Partei holte. Wem war dieser Sieg zu danken. Hören wir darüber Bebel in dem angeführten Buche. Dort lesen wir:

,, Ein Unikum bei dieser Wahl war, und ein Unikum ist es bis heute geblieben, daß der Wahlkreis Freiberg   durch eine Frau erobert wurde. Kayser befand sich während der Wahl­agitation wieder einmal in Haft, so betrieb sein Freund Kaufmann O. Sche in Dresden   für ihn die Wahlagitation. Das bemerkte die Dresdener   Polizei; sie sorgte also dafür, daß O. Sch. unter einem nichtigen Vorwand verhaftet wurde. Der arme und schlecht organisierte Freiberger Wahlkreis war damit seines Wahlleiters beraubt. Als ich die Nachricht er­fuhr, fiel sie mir auf die Nerven, ich wußte nicht, wie ich Er­jazz für Sch. auftreiben sollte. Da tritt am nächsten Morgen Frau Sch. bei mir ein mit den Worten: Daß mein Mann verhaftet wurde, wissen Sie, Herr Bebel. Er wird einige Tage brummen, das schadet ihm nichts. Aber was wird aus Mar Kaysers Wahl? Was sagen Sie dazu, ich will in den Wahlkreis reisen und die Wahlagitation leiten! Ich sah die Frau überrascht an, dann aber reichte ich ihr mit den Worten die Hand: Frau Sch., Sie sind eine prächtige Frau, ich bin mit Ihrem Vorschlag einverstanden.' Als Frau Sch. nach Frei­ berg   am und dort sich den vollständig mutlos gewordenen Genossen vorstellte, wurden diese von ihrer Anwesenheit elet­trisiert. Sie arbeiteten nunmehr unter Frau Sch.s Leitung mit allen Kräften, und Kayser siegte."

Der Saint- Simonismus und die Frauenwahlrechtsbewegung. Die große französische Revolution reißt die Schleusen auf, die der Flut gesellschaftlicher Weiterentwicklung die Bahn sperren. Was das geistige Ringen des achtzehnten Jahr­hunderts um die Erkenntnis menschlicher Naturrechte an politischen und sozialen Zielen erarbeitet und aufgesammelt bat, stürzt plöglich frei hervor und fämpft um Geltung. Hörigkeit erhebt sich für Freiheit, gegen Vorrechte stürmt der Ruf nach gleichem Recht. Von allen Seiten her wird die Unterdrückung revolutionär berannt, und was schon vor der Erhebung der Vergewaltigten verkündet war, der Anspruch der Frau auf volle soziale und politische Gleichberechtigung,

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hallt als heilig- ernste Forderung des Tages den bürgerlichen Siegern, den neuen Machthabern aus den eigenen Reihen ins Ohr. Aber wo das Privateigentum herrscht, wird der Frau das Recht bestritten, als Mensch erster Ordnung mit­zuzählen. Sie gilt als Dienerin des Mannes, als Hausbesitz und Eheware. Es hilft ihr nichts, daß sie in den blutheischen­den Sturmtagen der Revolution höchsten Opfermut und höchste Geisteskraft beweist: das Wagnis, die unveräußer­lichen, naturgesezten Menschenrechte in ganzer Weite gebie­terisch auch für sich zu verlangen, in eigenen kämpfenden Organisationen dafür einzutreten, muß sie mit dem Tod auf dem Schaffott büßen. Aber das Ziel der Revolutions­denker, daß jedem ein Recht auf Arbeit nach seinen Fähig­feiten zustehe, ist nicht mehr auszurotten aus dem Bewußt­sein derer, die dieses Recht noch nicht besitzen. Als die großen Utopiſten Saint- Simon   und Charles Fourier   ihre politischen und sozialen Zukunftspläne ausdenken, flammt es wieder an der Riesenwand des erschütterten Jahrhunderts auf, und untrennbar von ihm ist der Ruf nach dem gleichen Recht von Frau und Mann.

Die Hoffnungen, die sich an die große Revolution von 1789 knüpften, wurden nach einem vierzigjährigen Auf und Ab des Kampfes für einen Teil des dritten Standes erfüllt: die Julirevolution 1830 brachte die Bourgeoisie ans Ruder. Der höchste demokratische Idealismus stürzte sich mit der Hoffnung auf Verwirklichung weltbeglückerischer Mensch­heitswünsche in den Kampf; aber als der Pulverrauch der Julitage sich verzog, saß der platteste Geldsacksmaterialis­mus auf dem Thron, an dem der Wahlspruch geschrieben stand: Bereichert euch! Dieser Sieger hatte für sich das freie Recht der unbeschränkten, staatlich geschützten und unterstiiß­ten Ausbeutung der Staatsgenossen errungen. Er dachte nun nicht eine Minute lang daran, die vom Feudalismus ge­schaffenen Knechtschaftsverhältnisse überhaupt radikal wegzu­fegen, sondern wo sie ihm paßten, baute er sie zu seinem Vorteil weiter aus. Das Saframent der Vorherrschaft des Mannes wurde unverändert aufrechterhalten: die Frau sollte ein Lustbarkeitsartikel bleiben, über den der Mann verfügte, ein politisch rechtloses Element des Staates, dem nicht ein­mal das Recht vergönnt war, über sich selbst nach eigenem Willen und Mögen zu verfügen. Aber der Ruf vom Recht der Natur war wie 1789 auch 1830 noch eine mächtige Trieb­fraft revolutionärer Begeisterung gewesen. Er forderte mit der Änderung des politischen Systems einen Neubau der sitt­lichen Grundlagen der Gesellschaft. Er drang auf überein­stimmung der sozialen Satzungen mit der natürlichen Sitt­lichkeit. Die menschliche Natur wollte heraus aus Wider­spruch und Heuchelei. Den vorhandenen Zustand hatten die Romane der geistvollen Frau v. Staël gespiegelt, die um die Jahrhundertwende geschrieben waren. Diese Frau lebte ein Liebesleben, das den Wünschen ihres Blutes frei entsprach. Ihren Romanen gab sie eine Handlung, die an den Grund­festen der herkömmlichen, gesellschaftlich herrschenden Ehe­sittlichkeit rüttelt; aber doch liefen sie in die Ansicht aus, daß diese Sittlichkeit wenn auch vor der Natur unſittlich immerhin als eisernes Gebot Bestand habe. Das Macht­mittel der herrschenden Klassen, dieses Gebot zu sichern, war das Erbrecht, und dieses Recht wurde nun nach dem Siege der Julirevolution stürmisch bekämpft. Bannerträger in diesem Kampfe wurde die Saint- Simonistische Bewegung.

Der Mann, dessen Namen diese gewaltige Bewegung trug, erlebte nicht mehr die neue Revolution und das Aufgehen der von ihm gestreuten Saat. Er war, 65 Jahre alt, 1825 gestorben. Also am Vorabend des Ereignisses, das den Um­schwung des herrschenden politischen Systems bezeichnet, vom Feudalismus   zum Industrialismus hin. Saint- Simon   hatte um die Grundgedanken der neuen Gesellschaft gerungen, deren Werden sich seinem Geiste verriet. Als ein politisch- so­ziales Manifest von großer Bedeutung steht seine Schrift " Das neue Christentum" da, das die allgemeine Bruderliebe, die Brüderlichkeit der Arbeit zum Hauptprinzip der neuen