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Die Gleichheit

feineswegs den Geburtenrüdgang hemmen, wohl aber schwere ge= sundheitliche und moralische Gefahren für die Bevölkerung mit sich bringen. Die Versammelten halten eine Einschränkung des Ge­burtenrückganges nur für möglich durch weitgehende soziale Re­formen, die geeignet sind, den materiellen und geistigen Aufstieg der Arbeiterklasse zu erleichtern. Dazu gehören:

1. Ein gründlicher Ausbau des Arbeiterinnenschutzes, insbeson­dere eine Verkürzung der Arbeitszeit für Jugendliche und Frauen; Schutz vor dem Einfluß gewerblicher Gifte auf den Organismus der Arbeitenden; Schutz vor schädlichen Arbeitsmethoden und Ar­beitsarten. 2. Weitgehende Erweiterung des gesetzlichen Schutzes und der Fürsorge für Mütter und Säuglinge. 3. Staatliche und fommunale Einrichtungen, die der arbeitenden Frau die Mutter­und Hausfrauenpflichten erleichtern( Schulspeisung, Errichtung von kommunalen Kindergärten, Kinderhorten und anderes mehr). 4. Verbilligung der Lebensmittel durch Abbau der Zölle und in­direkten Steuern und Beschaffung von Lebensmitteln durch die Kommunen. 5. Wirksame Wohnungsreform. 6. Sicherung eines freien Koalitionsrechts als Mittel zur Grringung höherer Löhne und besserer Arbeitsbedingungen. 7. Ein demokratisches Wahlrecht für alle volljährigen Staatsbürger beider Geschlechter zu allen gesetzgebenden und öffentlichen Verwaltungskörperschaften, als ein Mittel zu ihrer wirksamen Interessenvertretung."

Aus den Organisationen. In München   ließ die Parteileitung in mehreren Frauenversammlungen den praktischen Arzt Genossen Dr. Bauer über das Thema sprechen: Ge= bärstreit und politischer Kampf". Die Versamm­lungen waren durchweg gut besucht, ein Zeichen dafür, wie stark dieses Thema die proletarischen Frauen interessiert. Genosse Dr. Bauer steht in der Frage etwa auf dem gleichen Stand­punkt, wie er von Genossin 3 etkin in den bekannten Berliner Versammlungen vertreten worden ist und wie er vom Genossen Dr. Wagner vor kurzem in der Gleichheit" überzeugend und sachlich begründet wurde. Da Genosse Dr. Bauer nicht bloß Arzt, sondern auch ein Kenner der Literatur des wissenschaftlichen So­zialismus ist, so verstand er es, das aktuelle Problem in den all­gemeinen sozialen, geschichtlichen Zusammenhang einzugliedern und dadurch den sozialdemokratischen Frauen Münchens   eine grundsätzliche Beurteilung und Stellungnahme zu ermöglichen. Mit fichtlicher Spannung folgten die Zuhörerinnen den Ausfüh­rungen des Redners. Von dem Geburtenrückgang als einer inter­nationalen Erscheinung ausgehend, beleuchtete Genosse Dr. Bauer nach allen Seiten aufs Gründlichste den Gebärstreik", wie er von mehreren Berliner Ärzten als neue revolutionäre Waffe im Klassenkampf propagiert wird. Angesichts der langsamen poli­tischen und sozialen Fortschritte zur Umgestaltung der Gesell­schaftsordnung fand der Redner das Fragen und Suchen der Massen nach neuen Waffen begreiflich. Den Gebärstreik wies er jedoch als solche neue Kampfeswaffe entschieden zurück und er­klärte ihn nach keiner Richtung für wünschenswert. Eingehend zerpflückte Genosse Dr. Bauer die Behauptung der Anhänger des Gebärstreiks", dieser sei ein radikales Mittel, um eine Umwäl­zung der heutigen Verhältnisse herbeizuführen. Der Vortragende erörterte natürlich auch die Entwicklung, die das Geschlechtsleben der Menschen durchgemacht hat, und den Einfluß der wirtschaft­lichen, der sozialen Verhältnisse darauf. Der Redner zeigte, daß dem Proletariat mit der gewerkschaftlichen und politischen Or­ganisation, mit dem politischen Klassenkampf wuchtige Waffen in die Hand gegeben seien, daß es aber leider von ihnen noch nicht genügend Gebrauch mache. Er untersuchte auch die Gründe hier­für und kam zu dem Schlusse, daß es im Proletariat wie bei den Intellektuellen Mangel an Wissen und sozialistischer Schulung sei, was viele davon abhalte, für den Sozialismus zu kämpfen. Mit einem warmen Appell an die Anwesenden, für die hohen Ziele des Sozialismus mitzuarbeiten, mitzuringen, schloß der wertvolle Vortrag. Die Parteileitung hat wohl daran getan, das vielumstrittene Thema behandeln zu lassen. Diese Versammlungen haben die Aufmerksamkeit vieler Frauen für soziale Erscheinungen geweckt und nicht wenige zu einer wirklich sozialistischen Auf­fassung der Frage des Geburtenrückgangs geführt.

-as.

Eine Kreis- Frauenkonferenz für Reuß ä. 2. hat einen viel= versprechenden Anfang zur intensiveren Agitation unter den Prole­tarierinnen gemacht. Sie tagte in Greiz  . Zu der Konferenz waren aus 16 Drten 36 Genossinnen delegiert worden, außerdem nahmen aus 16 Orten die Vorsitzenden der Ortsgruppen an ihr teil. Ab­geordneter Baudert- Weimar hielt einen instruktiven Vortrag über die Notwendigkeit der politischen und gewerkschaftlichen Organisation der Frauen, er gab praktische Fingerzeige über die Art der Betäti­gung. An der anschließenden Debatte beteiligten sich einige Genos­

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sinnen in recht erfrischender, geschulter Weise, so daß am Schlusse fonstatiert werden konnte: Wir haben auch in unserem Wahlkreis Genossinnen, die recht gut agitatorisch unter den Arbeiterinnen tätig sein können. Nun gilt es, tüchtig zu arbeiten.

t.

Tätigkeitsbericht der Kinderschutzkommission Mannheim  . Unsere Kinderschußkommission hat in ihrem letzten Tätigkeits­jahr viel Erspricßliches geleistet. Die Geschäfte machten sieben Sizungen nötig, zu denen nicht weniger als 210 Einladungen er­gingen; 186 Briefe wurden erledigt. Die Kommission war un­ermüdlich tätig, wenn es sich um Kindermißhandlungen handelte. Sie gab sich dann nicht eher zufrieden, bis die gemiß­handelten Kleinen in andere Pflege kamen. In Fällen großer Armut half die Kommission im Interesse notleidender Kinder mit Brot und Geld, besonders dann, wenn rasch eingeschritten werden mußte. Solche Fälle wurden von den Kommissionsmitgliedern auf das genaueste kontrolliert. Für Barunterstützung und Brot wurden 15 Mt. verausgabt. Ein elternloser Knabe von fünfzehn Jahren erhielt für zwei Tage Nachtlogis und Abendbrot bezahlt. In einer Familie, in der die Mutter gestorben, der Vater selbst schwer leidend und arbeitsunfähig war, griffen zwei unserer Mitglieder tatkräftig ein, indem sie die beiden drei- und vierjährigen Kinder zu sich nahmen. Da die Kommission nicht über große Barmittel verfügt, vermittelte sie, daß notleidenden Familien Unterstützung durch die städtische Armenkommission zuteil wurde. Frau Söl ch machte es der Kommission durch überweisung einiger hundert Theaterbillette möglich, unbemittelten Kindern die Freuden einer Vorstellung im Kindertheater zu bieten. Ferner wurden zu einer Gesamtvorstellung für die Kinder eine große Anzahl Billette ge= fauft. Aber auch sonst war die Arbeit der Kinderschutzkommiffion feine leichte. Die Kinderspaziergänge während der Ferien sind mit liebevollem Eifer und Hingabe gefördert worden. Die Kommission fand dabei die Unterstützung weiter Kreise. An den neun Spazier­gängen beziehungsweise Spielnachmittagen haben sich 11 566 Kinder beteiligt, also mehr als 1000 an jeder Veranstaltung. Diese Zahlen allein schon lassen die Anforderungen erkennen, die an die Umsicht und die Freudigkeit der 32 Genofsinnen gestellt wurden, die die Beaufsichtigung der Kinder übernommen hatten. Man muß gesehen haben, wie den Kindern nach den Spielen in der frischen Luft das Essen und Trinken schmeckte! Es wurden aus der Konsumbäckerei insgesamt 15 400 Brötchen und sonstige Back­waren verteilt, von der Milchzentrale 1790 Liter Milch ausge schänkt, außerdem 750 Flaschen Chabeso- Limonade getrunken. Die Kinderschutzkommission wurde reich mit Spielsachen bedacht. Sie erhielt von der Firma Raphael schöne Bälle, von der Rheinischen Gummi- und Zelluloidfabrik Puppen und Bälle, von der Firma Neuberger Söhne verschiedene Spielsachen, von der Firma Babette Schlagenhauf, Pubgeschäft, Mädchenhüte. Die Gewerk schaften haben mit Geldunterstüßung nicht gefargt. Der Aufsichts­rat des Konsumvereins hat laut Beschluß der Generalversamlung 75 Mr. gesandt, der Gastwirtsgehilfenverband nachträglich 10 Mt. Die Gesamteinnahmen der Kommission im Jahre 1912/13 be­trugen 889,67 Mt., die Ausgaben für die Spieltage 816,87 Mr., so daß ein überschuß von 72,80 Mt. vorhanden ist. Bei gutem Willen wird es möglich sein, der Kinderschutzkommission für ihre Arbeit im neuen Tätigkeitsjahr weitere Mittel zukommen zu lassen. So haben zum Beispiel die Arbeiter der Firma Benz der Kom­mission 63,30 Mt. von einem überschuß von einem Kranz überwiesen. Die Kommission hat auch außerhalb von Mannheim   anregend und beispielgebend gewirkt. In drei Nachbarorten sind Kinder­schutzkommissionen entstanden, die in schwierigen Fällen von Mannheim   aus mit Rat und Tat unterstützt werden. In Wald­ hof  , Hockenheim   und Heidelberg   sprach Genossin Hoff­mann, die Vorsitzende der Kommission, über Kinderschutz und Kinderschutzkommission. Die Arbeit der Kinderschutzkommission war eine vielseitige, sie wurde gern geleistet in dem Bewußtsein, daß es sich um die Zukunft unserer Arbeiterkinder handelt. Biel­leicht gelingt es, die Stadtverwaltung für die Tätigkeit der Kinder­schutzkommission zu interessieren, so daß sie einen Zuschuß zu den Ausgaben leistet. Doch wie dem auch sei, wir vertrauen auf die Einsicht und Tatkraft der organisierten Arbeiterschaft und schreiten auf der betretenen Bahn rüstig vorwärts. Stefanie Hoffmann.

Politische Rundschau.

Am 25. Februar hat sich die sogenannte 3 abernfommis sion des Reichstags aufgelöst. Sie war eingefeßt, um Rechts­sicherheiten gegen die Diktatur des Säbels zu schaffen. Sämtliche Anträge, die dahin zielten, sind von den Konservativen, dem Zen­trum und den Nationalliberalen abgelehnt worden. Und gegen