Nr. 13

Die Gleichheit

den sozialdemokratischen Antrag, die Militärgerichtsbarkeit abzu­schaffen und das Heer ausschließlich unter die bürgerliche Gerichts­barkeit zu stellen, stimmten auch die Freisinnigen. So endet Zabern   mit der stummen und bewußten Unterwerfung aller bür­gerlichen Parteien unter die militärische Gewalt, die die bürger­liche Rechtsordnung hohnlachend zerfetzt hat. Flinte, Säbel und Kanone das haben die bürgerlichen Parteien des Reichstags als die wirkliche Verfassung Deutschlands   proklamiert. Sie haben damit bekannt, daß die nackte Gewalt allein noch die Quadern des Klassenstaates zusammenhält, daß dieser Staat heute ausschließ­lich Werkzeug zur Ausbeutung und Niederhaltung der arbeitenden Klaffen ist.

Die Tatsache, daß die bürgerlichen Klassen in banger Furcht unter die Fittiche der bewaffneten Gewalt flüchten, kann auf das Selbstbewußtsein und den Mut der Arbeiter nur anfeuernd wir­fen. Die wiederholten Wahlrechtsdemonstrationen in Braunschweig   beweisen der Bourgeoisie, daß die deutschen  Arbeiter zu erfassen beginnen, was die Stunde geschlagen hat. In einer großen Versammlung haben die Arbeiter von Braunschweig  erklärt, daß sie entschlossen sind, im Ringen ums allgemeine Wahl recht gegebenenfalls zum Massenstreit zu greifen. In einem ge= waltigen Demonstrationszug bekundeten sie angesichts der auf­gebotenen Polizei und des Militärs ihren Willen zum Kampfe.

Der Prozeß gegen die Genossin Rosa Luxemburg   ist zum Rampfaufruf an die arbeitende Bevölkerung geworden. In Frant­furt, Stuttgart  , Berlin  , Rönigsberg und anderen Städten haben Massenversammlungen und Demonstrationen die Antwort auf das Urteil erteilt und dem Militarismus, der in Frankfurt   auf der Anklagebant faß  , Kampf bis aufs Messer an­gesagt. Daß dieser Kampf heilige Verpflichtung ist, das hat in den letten Tagen eine neue Reihe von Fällen bekräftigt, in denen der Militarismus fein wahres Wesen in seiner ganzen Scheußlichkeit enthüllte. Ein Unteroffizier der 1. Kompagnie des Infanterie­regiments Nr. 66 befahl einem Soldaten, die Nase in den Spuck­napf zu stecken, der ihm nicht sauber genug gereinigt war. Der Soldat kam diesem vichischen Befehl nach. Solche Soldaten will der Kaiser: Ein Soldat, der auf Befehl die Nase in den Spucknapf stedt, wird auch auf Vater und Mutter schießen. Der Unteroffizier erhielt 4 Wochen Mittelarrest. In Neiße   wedte der Generalmajor Böeß, die Reitpeitsche in der Hand, seine beiden Burschen mit einem Krug falten Wassers. Die Soldaten schlugen ihren Peiniger nieder. Dann stürzten sie davon und warfen sich unter die Räder eines Eisenbahnzuges. Sie wußten, daß schlimmer als ein rascher Tod durch die zermalmenden eisernen Räder das Martyrium gewesen wäre, das die Militärgerichte über sie verhängt haben würden. Die militärischen Behörden haben sich bis jetzt in das tiefste Schweigen über den Hergang des Dramas gehüllt. Im Dragoner­regiment Nr. 9 in Mez haben sich zwei Mann erhängt, einer ist desertiert. Auch hier sind die Behörden stumm wie das Grab. Die Opfer fallen im Dunkeln. Die zornigen Fragen des Volkes, was mit seinen Söhnen geschehen ist, verhallen an den Mauern der Ka­ferne. Wegen militärischen Aufruhrs wurden von dem Kriegsgericht zu Niel vier Mann der Besatzung des Küstenforts Stosch je zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Das Oberkriegsgericht fette die Strafe auf je ein Jahr Gefängnis herab. Weil zwei Spinde offengestanden hatten, war die Kompagnie beordert wor­den, nachts um 10, 12 und 2 Uhr aufzustehen. Daß die Leute gegen diese sinnlose Quälerei beim Antreten Lärm machten und prote­stierten, dadurch hatten sie militärischen Aufruhr begangen.

Bestialische Soldatenschinder kommen mit milden Strafen da­bon, sie werden dadurch nicht disqualifiziert, Soldatenerzieher zu sein. Dagegen hat der preußische Kriegsminister dem Genossen Walter Stöder in Köln   mitgeteilt, daß er wegen der Art seiner agitatorischen Betätigung" nicht die nötige moralische Qualifikation" befiße, um als Einjähriger im Heer zu dienen. Dieses Recht ist ihm aberkannt worden.

Dem Alltagsschutz der bürgerlichen Ordnung dient die Polizei. Bei der steigenden Erbitterung des Bürgertums gegen die Arbeiter­Klasse darf sie sich alles erlauben und entwickelt sich zu einem Werk­zeug von zügelloser Brutalität und Infamie. Schußleute in Beuthen   mißhandelten einen verhafteten Bergmann auf viehische Weise zu Tode. Der Sterbende wurde mit Wasser begossen und mit Füßen getreten und noch der Tote mit dem Säbel ins Gesicht geschlagen. Der Staatsanwalt aber beantragte und das Ge­schworenengericht bewilligte den Polizisten mildernde Umstände. Charakter und Aufgabe der Polizei kennzeichnet auch die Tat­sache, daß in ihren Diensten der Zuchthäusler und Streifbrecher­agent Reiling stand, der in Böhmen   ohne jede Veranlassung einen streitenden Maschinenmeister über den Haufen geschoffen hat.

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Vergebens suchte der preußische Minister des Innern v. Dallwiz im Abgeordnetenhaus zu leugnen, daß die Behörde, deren höchster Borgesetzter er ist, mit diesem Verbrecher zusammenarbeitete. Rei­ling, wegen Kuppelei, Diebstahl, Hehlerei, Betrug mit Gefängnis und Zuchthaus bestraft, zu zehn Jahren Ehrverlust verurteilt, unter Polizeiaufsicht gestellt, wohnte in Berlin   im Hause des Polizeireviers und wurde von der Polizei zur Überwachung von Streits verwendet. Von der Polizei erhielt er auch den Waffen­schein für den Revolver, mit dem er seine Meucheltat verübte. Durch solche Helfershelfer wird aber nicht allein die Polizei ge= kennzeichnet, in dieser verkommenen Verbrechergestalt verkörpert sich das Regiment der besitzenden Klassen.

Je stärker sich die Herrschenden auf den Polizeisäbel stützen, um so nervöser werden sie, wenn sie Regungen der Selbständigkeit bei denen wahrzunehmen glauben, die diesen Säbel tragen. Das beweist das von dem Berliner   Polizeipräsidenten Jagow gegen die Berliner   Schuhleute geschleuderte Verbot, sich in einem geselligen und Unterstützungsverein zusammenzuschließen. Wer weiß, rief die konservative Presse, wozu diese harmlose Gründung sich auswachsen kann? Das preußische Abgeordnetenhaus billigte natürlich ausdrücklich das ungefeßliche Verbot des Polizeipräsi­denten. Die Vertrauensleute der Schutzleute wurden strafversetzt. Bei der Abfahrt eines der Gemaßregelten sammelten sich über 1000 seiner Kollegen mit ihren Frauen am Bahnhof, hielten Reden und sangen das Lied vom guten Kameraden und Heil dir im Siegerkranz  . Welch ein Bild!

Verbot und Strafe sind die Allheilmittel preußisch- deutscher  Regierungsweisheit. Auf alles, was ihm wider den Strich geht, antwortet der Staat mit: Wir verbieten! Wir bestrafen! Gegen den Kirchenaustritt: Verbot der Versammlungsplafate in Ham­ burg  . Gegen die Rote Woche: Verbot des Plakatanschlages in Berlin  . Gegen die Selbstblamagen des Kronprinzen und zur För­derung der Ehrfurcht vor den Hohenzollern  : Bestrafung der Be­leidiger" mit Gefängnis. Genosse Meyer erhält drei Monate Gefängnis und Hans Leuß   gar sechs Monate, und damit sie keine staatsgefährlichen Reden halten können, ist die Gerichtsverhand­lung nichtöffentlich. Zur Hebung der Sittlichkeit: Verbot der Schundliteratur. Gegen den Geburtenrückgang: Verbot des Han­dels mit Mitteln zur Beseitigung der Schwangerschaft und zur Verhütung der Empfängnis.

Der verstümmelte Rest der Selbstverwaltung in den Kranken­kassen ist der Regierung ein Dorn im Auge. Flugs erscheint ein Erlaß der preußischen Regierung an die Oberversicherungsämter, der die auf Lebenszeit oder penfionsberechtigt angestellten Be­amten der Krankenkassen in Kommunalbeamte" verwandelt. Sie müssen den Staatsdienereid" schwören, ihre Anstellung hängt ab von der Genehmigung des Oberversicherungsamtes und der Ver­sicherungsämter, das heißt in Preußen vom Landrat und Bürger­meister. Die Kassenvorstände haben die staatliche Schlinge um den Hals.

Die Beziehungen Deutschlands   zu England sind, wie die Diplomaten versichern, heute besonders herzlich. Die Herzlich­feit dieser Beziehungen äußert sich darin, daß der Vorschlag des englischen Marineministers, eine Pause in den Flottenrüstungen eintreten zu lassen, von dem deutschen   Marineminister und den bürgerlichen Parteien ohne weiteres abgelehnt wurde, und daß die englische Regierung rund 50 Millionen Mark zusäßlich für die Flotte verlangt.

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Der schwedische Reichstag ist aufgelöst und Neuwahlen sind auf 5. April anberaumt worden, damit die Wähler über eine enorme Verstärkung des Militarismus entscheiden. In Süd­albanien hat die griechische Bevölkerung unter Führung von Offizieren und Beamten ihre Unabhängigkeit erklärt. Die Be­völkerung sträubt sich gegen die Einverleibung in den albani­schen Staat, die die Diplomatie über sie beschlossen hat. Der neue König von Albanien", vormals Prinz Wilhelm von Wied  , ist in sein neues Vaterland abgereist, um dort euro­päisch- kapitalistische Kultur einzuführen. Die neun Arbeiter­führer, die von der Regierung der Vereinigten Staaten  von Südafrika   nach England deportiert worden sind, sind dort gelandet. Die Londoner   Arbeiterschaft protestierte gegen den Gewaltakt der südafrikanischen Regierung und seine Duldung durch die englische Regierung in einer Demonstration von überwälti­gendem Umfang und Wucht. In China   sind nun auch die Provinzialversammlungen durch Edikt des Präsidenten als nuiz­los" geschlossen worden. Die ruchlose Politik der Vereinigten Staaten   hat in Mexiko   völlige Anarchie heraufgeführt. An Stelle des Petroleums, dessen Quellen der allgewaltige Rodfellertrust dem A. Th. englischen Kapital nicht gönnt, fließt Blut in Strömen.

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