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Die Gleichheit

da diese Forderung ein Programmsatz der Sozialdemokratie sei. Was aber die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen im Großherzogtum berlangten, sei ein Vorrecht für die parfümierten besseren" Frauen. Da würden sie es sich zu überlegen haben, ob sie nicht gegen die geringe Verbesserung stimmen würden, wenn sie nur einer Klasse der Frauen zugute kommen solle. In entschiedener Weise wurde vom Abgeordneten Baudert die Forderung vertreten, den Frauen wie den Männern das allgemeine gleiche Wahlrecht einzuräumen. Er begründete diese Forderung mit dem besonderen Hinweis dar­auf, daß gerade die proletarischen Frauen ein großes Maß von Pflichten für die Allgemeinheit erfüllen und daß ihre Leistungen für diese die Verdienste" der bürgerlichen Damen weit übertreffen, für deren Vorrecht Besitz und Bildung ausschlaggebend sein solle. Nach Genosse Baudert kam der Führer der Agrarier, ein Herr b. Eichel Streiber, zum Wort. Dieser holte gegen das Frauen­wahlrecht die längst verschlissenen Ladenhüter aus Großmutters Zeiten hervor, sein Haupttrumpf war die Behauptung, daß die deutsche Frau ins Haus gehöre. Die rechtsstehenden Parteien, so erklärte er, würden deshalb nie für ein Frauenwahlrecht, aber auch für kein Damenwahlrecht zu haben sein. Da diesmal die Liberalen nicht umfielen, stimmte die Mehrheit des Landtags für die von den Frauen gewünschte persönliche Stimmabgabe. Wie das tommunale Wahlrecht der Frauen gestaltet werden soll, das hat der Landtag erst zu entscheiden, wenn ihm die Regierung den Entwurf zur neuen Landgemeinde- und Städteordnung vorlegt. Da die sozialdemokra tische Presse das wunderbare Gebilde dieses Entwurfs schon ver­öffentlicht hat, ehe die Regierung damit herausgekommen war, soll die Beratung den Landtag erst später beschäftigen. Man will augen­scheinlich Zeit gewinnen. Die Einzelheiten des Entwurfs sind scharf angegriffen worden. Nun soll wahrscheinlich daran etwas herum­gedoktert werden, um ihn den Liberalen genießbar zu machen. Es versteht sich, daß unsere Genossen bei der Beratung des Entwurfs für ein demokratisches Gemeindewahlrecht kämpfen werden, das ohne Rücksicht auf den Besitz allen Frauen wie Männern zuerkannt wer den soll.

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st.

Eine Lehre. Im Jahre 1912 fanden die Wahlen für die In stitutionen der Angestelltenversicherung statt, und 1913 brachte die Ausschußwahlen für die Ortsfranfenfassen. Diese beiden Wahlen wurden im ganzen Reichsgebiet vollzogen, auch die lohnarbeiten­den Frauen haben an ihnen teilgenommen. Bei den Wahlen, die auf Grund des Reichsversicherungsgesezes für Angestellte erfolg ten, handelte es sich zunächst darum, die Vertrauensmänner" zu bestimmen. Zwei Richtungen fämpften dabei um die Size der Arbeitnehmer: die reaktionäre und die fortschrittliche Richtung, und zu der letzteren gehörten auch die freien Gewerkschafter. In den einzelnen Wahlbezirken durften in der Regel nur drei Ver­trauensmänner aus den Kreisen der Versicherten gewählt werden in den Großstädten mehr, in Berlin   zum Beispiel 19-, aber viele Organisationen waren an den Wahlen beteiligt. Die Aufstel= lung der Kandidaten bot deshalb viele Schwierigkeiten. Troßdem wurden weibliche Kandidaten auf die Liste genommen. Die fort­schrittliche Richtung hat in Straßburg   i. E. und Köthen   sogar eine weibliche Versicherte an die Spitze ihrer Kandidaten gestellt. Auch für die oberen Instanzen der Angestelltenversicherung find insbesondere von der fortschrittlichen Richtung weibliche Kandi­daten in angemessener Zahl aufgestellt worden. Es muß hervor­gehoben werden, daß der Kaufmännische Verband für weibliche Angestellte" und andere bürgerliche Frauenvereinigungen sich der reaktionären Richtung angegliedert hatten. Und das, obgleich in ihr Männerorganisationen den Ton angaben, die die Frau zwar als Dienstmagd oder Fabrikarbeiterin gelten lassen wollen, ihr aber die Befugnis absprechen, als Handlungsgehilfin tätig zu sein, und sie für unwürdig halten, politische Rechte zu erlangen.

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Das nämliche Bündnis hat auch bei den Ortskranken­tassenwahlen im Jahre 1913 bestanden. Allerdings haben bei diesen die örtlichen Führer der freien Gewerkschaften aus den boraufgegangenen Angestelltenversicherungswahlen leider nicht überall die richtige Lehre gezogen. In großen Orten so in Bremen  , Dresden  , München   hat die freigewerkschaftliche Kan­didatenliste verhältnismäßig wenig weibliche Namen enthalten. Unter 60 Kandidaten befanden sich auf der Liste des Gewerk­schaftskartells in Bremen   nur zwei Frauen. In Dresden  find unter 60 gewählten Vertretern der Arbeitnehmer drei weib­liche Versicherte, davon scheint obendrein die eine zu den Gegnern zu gehören. Auf die Liste des Gewerkschaftskartells kam der erste weibliche Name an vierzigster Stelle! Die Dresdener   Unternehmer aber schicken unter insgesamt 30 Vertretern vier Frauen in den Krankenkassenausschuß, und auf ihrer Kandidatenliste stand der erste weibliche Name an fünfter Stelle.

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Die Wahlmacher der gelben, christlichen und ähnlichen Arbeiter­und Angestelltenorganisationen waren schlauer. Sie wußten, wo Wählerstimmen zu holen waren; sie seßten daher verhältnis­mäßig mehr weibliche Namen auf ihre Kandidatenlisten. Und die weiblichen Versicherten sind zum Teil darauf hineingefallen. Unsere Beteuerungen wollten ihnen nicht einleuchten, daß es nicht darauf anfomme, möglichst viel weibliche Mitglieder zu wählen, sondern ohne Unterschied des Geschlechts entschiedene Vertreter der weib­lichen Versicherten. Wir werden es auch noch bei den künftigen Krankentassenwahlen mit ungeschulten Frauenmassen zu tun haben, für die es von ausschlaggebender Bedeutung ist, ob cnt­sprechend viel weibliche Namen auf der Kandidatenliste stehen und ob kräftig für die Wahl weiblicher Vertreter agitiert wird. Diesem Umstand muß unsererseits Rechnung getragen werden. Wenn es sich irgendwo um die Wahl von ein oder zwei Personen handelt, die eine große Verantwortung zu tragen haben, so muß bei der Aufstellung der Kandidaten allein die Tüchtigkeit, nicht aber das Geschlecht entscheidend sein. Wenn jedoch in einer Stadt 60 Ver­treter für den Krankenkassenausschuß zu wählen sind, da kann man ohne Schaden für die Sache einige Rücksicht auf das Ge­schlecht nehmen. Daß das geht, zeigen Beispiele. In ungenau in Sachsen   hatte das Gewerkschaftskartell als Vertreter für die Allgemeine Ortskrankenkasse unter 48 Kandidaten neun weibliche vorgeschlagen. Auf unserer Liste zur Ortsfrankenkassenwahl der Handelsbetriebe in Karlsruhe   waren ein Drittel der Kandi­daten weiblichen Geschlechts. Und das Resultat? Wir erhielten drei Viertel der Size in dem Ausschuß dieser Kasse, deren Ver­waltung sich bisher in gegnerischen Händen befunden hatte. Alle Anstrengungen der Gegner hatten unseren Sieg nicht zu hindern vermocht. Lernen wir aus den Tatsachen! Paul Lange.

Eine Straßendemonstration für das Frauenwahlrecht in Holland   hat fürzlich in Amsterdam   stattgefunden. Sie bezweckte, die Regierung vorwärtszutreiben, da diese wohl das allgemeine Männerwahlrecht einführen, aber bei der Verfassungsänderung nur die Möglichkeit schaffen will, durch ein besonderes Gesetz auch das Frauenwahlrecht zu gewähren. Die Demonstration war von dem bürgerlichen Verein für Frauenstimmrecht veranstaltet, aber da dieser seit Dezember 1913 aufgehört hat, für ein beschränktes Damenwahlrecht zu agitieren und nun für das allgemeine Frauen­wahlrecht eintritt, konnten sich auch die sozialistischen   Frauen an dieser Demonstration beteiligen. Sie machte einen starken Eindrud, obgleich sie nur 1500 Teilnehmerinnen zählte. Ein Massenmeeting folgte, in dem auch Genosse Wibaut unter starfem Beifall sprach. Das Wahlrecht der Franzöfinnen durch ihre Einzeichnung in die Wählerlisten will die bürgerliche Liga für Frauenrechte erlangen. Sie schickte nach allen Mairien( Gemeindebezirksämtern) Delegationen von Frauen, die ihre Eintragung in die Wähler­listen forderten. In drei von den zwanzig Mairien wurde dem Ersuchen stattgegeben, in zwei davon mit der ausdrücklichen Zu­stimmung des Bürgermeisters. Die eingetragenen Wählerinnen werden jedenfalls von der Revisionskommission gestrichen werden, und auch die beabsichtigte Berufung der Frauenrechtlerinnen beim Raffationshof dürfte keinen Erfolg haben, wenngleich diese sich auch auf den Text berufen:" Alle Franzosen sind vor dem Gesetz gleich." Eine so einschneidende Neuerung wie die Einführung des Frauen­wahlrechts läßt sich nicht auf dem Verwaltungsweg. erlisten, und auch die agitatorische Wirkung solchen Vorgehens steht in feinem Verhältnis zu den Aufwendungen an Mitteln. Das hat die Er­fahrung im Kampfe um das Frauenwahlrecht in England und Nordamerika   wiederholt bewiesen. Immerhin ist das Vorgehen der französischen   Frauenrechtlerinnen als Anzeichen beachtens­wert, daß auch in Frankreich   die Frauen entschiedener vorwärts­zudrängen beginnen. Die Aufnahme, die es fand, zeigt wachsende Sympathie für das Frauenwahlrecht.

Das kirchliche Franenwahlrecht für die jüdische Gemeinde in Kattowig ist eine beschlossene Sache. Die Kollegien der jüdischen Religionsgemeinde dieses Ortes verliehen den selbständigen Frauen das kirchliche Wahlrecht, und der Oberpräsident von Schlesien   ge= nehmigte das entsprechend gefaßte Statut. Mehr als 60 Frauen konnten sich als Wählerinnen eintragen lassen.

Aus der bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung. Die Ortsgruppe Groß- Berlin des Deutschen Reichsverein für Frauen­stimmrecht( Bonn  )" hat auf ihrer Hauptversammlung am 4. März beschlossen, aus dieser Organisation auszuscheiden und sich dem " Deutschen Frauenstimmrechtsbund( Hamburg  )" als Ortsverein Groß- Berlin" anzugliedern.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Zettin( Bundel), Wilhelmshöhe  , Post Degerloch bei Stuttgart  .

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.H. in Stuttgart  .