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Die Gleichheit

freventlichen Treiben der Kapitalisten Vorschub leisten. Als Beweis hierfür führte Genosse Malinowski eine Bekannt­machung der Firma Prawodnik an, die mit Bewilligung der käuflichen Beamten in zahlreichen öffentlichen Räumen hängt, so in Amtsstuben, Dorfschulen usw. Diese Bekannt­machung lautet wörtlich:

,, Die Firma Prawodnik ist einer der größten Betriebe Ruß­ lands , sie beschäftigt 12 000 Arbeiter und verfügt über 3000 Angestellte. Beständige Nachfrage nach Arbeiterinnen im Alter von 15 bis 30 Jahren. Der Arbeitstag beträgt 8 bis 10 Stunden. Die Firma Prawodnik bietet den Arbeitern ihres Betriebs unentgeltliche Kindergärten, in denen die Kinder vom 6. Lebensjahr an unentgeltliche Aufsicht und Erziehung erhalten; ein unentgeltliches Asyl unter ärztlicher Kontrolle, unentgeltliche ärztliche Behandlung, Heilmittel und Kranken­Station, unentgeltliche Schulen für Arbeiterfinder, materielle Unterstützung für Schwangere und Wöchnerinnen." Um das Füllhorn der Wohltaten ganz über die Häupter der beglückten Arbeiter zu leeren, wird ihnen sogar Schutz und Hilfe- im Falle eines Diebstahls verheißen!

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untersuchen. Dieser Antwort fügte er den väterlichen Rat zu, wer schwache Nerven" habe und das Gift nicht vertragen könne, möge sich anderwärts Erwerb suchen. Gefällt's euch nicht, so könnt ihr gehen!" Der selige Dreißiger in den Webern" hätte sich keinen würdigeren Vertreter kapitalistischer Interessen wünschen können als diesen beamteten Verteidiger der Arbeiterwohlfahrt!

Das russische Proletariat ist Freiwild, das zarische Treiber den kapitalistischen Schüßen zutreiben. Und das unter Bu­ftimmung und Mithilfe der ganzen bürgerlichen Welt. Die profithungrigen Giftmischer des Treugolnik" und" Brawodnik" find nicht zur gerichtlichen Verantwortung gezogen worden. Die bürgerliche Presse regt sich darüber nicht auf. Dafür ver­breitet sie allerhand Gerüchte, die die empörte öffentliche Mei­nung beruhigen sollen. Selbst die liberale Rietsch" faselt von geheimnisvollen und rätfelhaften" Ursachen der Massen­vergiftungen, obwohl die Ursachen klar und unwidersprochen feststehen. Sie entblödet sich nicht, so nebenbei von Massen­psychose und Hysterie" zu sprechen. Durch solche bewußte Ver­brehung von Tatsachen gesellt sich auch die liberale Presse feelenverwandt den Schwarzen Hundert " zu, die unter dem Ehrenprotektorat Nikolaus des Letzten die greuelbeladenste Mörderbande bilden, Spezialisten in der Veranstaltung der scheußlichen Pogroms sind. Schon sehen wir die Echtrussischen" am Werke, dunkle Gerüchte auszusprengen, die Sozialisten hätten zu Agitationszwecken die Arbeiterinnen vergiftet! Was das bedeutet, kann man an den Fingern sich abzählen, wenn man sich der fürchterlichen Wirkungen der Märchen vom Ri­tualmord der Juden erinnert, jener Märchen, die allen Aber­glauben und alle Barbarei des finstersten Mittelalters auf­erstehen lassen.

Die Petersburger Arbeiter zeigen mehr als sicheren Klaffen­instinkt, sie betätigen Klassenbewußtsein, daß sie mit verächt­

Diesem betörenden Sirenengesang fonnte Genosse Mali­nowski unbestreitbare Tatsachen entgegenstellen: Die Firma Brawodnik beschäftigt gegen 13 000 Arbeiter, meist Frauen, und heimst dabei 15 Prozent Dividende ein. Statt des ver­sprochenen acht bis zehnstündigen Arbeitstages schaffen die Arbeiter und Arbeiterinnen 16 bis, 18 Stunden täglich, ohne längere Mittagspause. Im Laufe von 15 Minuten müssen in diesem Musterbetriebe" die Lohnsklaven ihr Mittagessen ver­zehrt haben. Da der Speisesaal nicht alle Beschäftigten faßt, so find die meisten Arbeiterinnen gezwungen, ihr färgliches Mittagsbrot im staub- und giftgeschwängerten Raume, an ihrem Arbeitstisch eilig hinabzuwürgen. Die Ventilation in den Arbeitsräumen ist mangelhaft. Statt des von der Firma vorgeschriebenen Arbeitslohnes von 1 Rubel 50 Ropeken täglicher Handbewegung die irreführenden Behauptungen der lich( etwa 3,45 Mr.), erhält jede Arbeiterin tatsächlich nur 40 Ropefen( etwas über 90 Pf.). Wie es mit der ärztlichen Hilfe für die Arbeiter aussieht, das erhellt aus folgendem. Als im November 1913 die ersten Massenvergiftungen auftraten -an einem Tage erfrankten einige Dugend Arbeiterinnen-, ftellte sich heraus, daß das Ambulatorium zu weit von der Fabrik entfernt liegt, um die Erfrankten dorthin verbringen zu können. Diese wurden deshalb auf der Straße in den Schnee gelegt und mit kaltem Wasser begossen. In einigen Fällen konnte nicht festgestellt werden, ob der eingetretene Tod eine Folge von Vergiftung oder von Erkältung war. Andere Er­frankte konnten durch diese Art ärztlicher Hilfe nicht aus der tiefen Bewußtlosigkeit erweckt werden, in die sie das einge­atmete Gift versenkt hatte. Sie wurden schließlich doch nach der Krankenstation verbracht, die sich aber bald als zu klein erwies, um alle ihr zugeführten Opfer der Arbeit aufzu­

Liberalen und die Verleumdungen der Reaktionäre beiseite geschoben haben. In heißem Solidaritätsgefühl erfaßten sie die Sache ihrer gepeinigten Arbeitsschwestern als ihre eigene Sache und setzten ihre ganze Macht dafür ein. Das muß von der größten Wirkung darauf sein, daß die Arbeiterinnen sich in steigender Zahl begeistert den Kämpfen ihrer Klassengenossen anschließen. Der Mut zur kühnen Tat wird fünftige Siege vorbereiten, ganz gleich, was jetzt der Ausgang des Massen­streits ist. Schon haben sich der revolutionären Vorhut in Petersburg die Arbeiter in Jekaterinoslaw und Charkow an­geschlossen. Die Flammenzeichen mehren sich, daß in Rußland die Revolution ihre Harfe nicht an Babels Weiden aufge­hängt hat. E. Tenenbaum.

Die Arbeitsverhältnisse

nehmen. Diese wurden infolge mangelnder Betten auf den in der Kamm- und Haarschmuckindustrie.

Fußboden gelegt, wo sie liegen blieben, bis sie das Bewußt­fein zurückerlangt hatten.

Auf alle Vorstellungen der Arbeiter, das offenbare Gift doch burch das alte Benzin zu erseßen, gab es nur eine Antwort: die Arbeiter müßten sich an das Gift gewöhnen, da die Firma durch Abmachungen mit dem Lieferanten gebunden sei. Die Behörden walteten in Riga natürlich ihres Amtes als Schutz­engel des Ausbeutertums. Die Arbeiter und Arbeiterinnen wollten ihr gesetzliches Recht gebrauchen und in der Nachbar­fchaft des Betriebs eine Zahlstelle der Gewerkschaft der Ar­beiter in der chemischen Industrie errichten, einer Drganisation, die seit zweieinhalb Monaten bestand. Gegen Recht und Gesetz fetzte der Gouverneur von Riga der Absicht hartnäckigen Wider­stand entgegen. Der Fabrikinspektor, der von Amts wegen dazu berufen ist, auf die Gesundheit der Arbeiter zu achten, stellte sich in den Dienst des Kapitals. Dieser ehrenwerte Herr halte nur einen Bescheid auf alle Vorstellungen und Beweise der Arbeiter, daß die giftige Mischung der Klebesubstanz die unmittelbare Ursache der Vergiftungen sei: er sei kein Spe­zialist, um die chemischen Bestandteile der Klebesubstanz zu

Ehemals waren das Kuhhorn, der Rückenschild der Schild­tröte und der Stoßzahn des Elefanten die einzigen Rohstoffe, aus denen Haarschmuck für Frauen und Kämme hergestellt zu werden pflegten. Es bedurfte dabei der geschickten Hand des gelernten Rammachers, um aus diesem zum Teil recht kostbaren Material Kämme, Pfeile und Spangen vorteilhaft herauszusägen und herauszuschneiden, feilen und schleifen und die Schmuckgegenstände gar noch mit glitzernden Perlen und Steinen zu beseßen. Die technische Entwicklung hat im Laufe der letzten Jahrzehnte das Privileg jener Rohstoffe wie der handwerklichen Künstler abgelöst. Die genannten Naturprodukte hatten eine Bearbeitung durch die Hand er­fordert. An ihre Stelle traten nun immer mehr auf chemi­schem Wege erzeugte Kunstprodukte, deren Verwendung den ganzen Arbeitsprozeß umwälzte und der ungelernten wie der weiblichen Arbeitskraft Eingang in die Industrie verschaffte. Wohl trifft man heute noch Horn- und Beinkämme, doch werden sie nicht mehr viel verwendet. Unter den Kämmen für den Hausgebrauch und zum Frisieren nimmt der Hart­