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Die Gleichheit
Größeres Aufsehen erregt der Streik der Winzer in der Rheinpfalz, weil er der erste seiner Art in Deutschland ist. Die Winzer sind, wie wir schon in letter Nummer mitteilten, zumeist im Verband der Landarbeiter organisiert und verlangen durch ihre Organisation eine Verbesserung ihrer Arbeitsverhältnisse. Sechs Christliche versuchen durch Streifbruch den bedrohten Unternehmergewinn zu retten, sonst findet sich niemand zu Rausreißerdiensten. Die schwerreichen Weingrafen haben es den Herren von der Industrie abgegudt, wie Kapitalisten sich räuspern und spuden, sie stellen sich auf den Proßenstandpunkt. Die Kleinen Weinbergbefizer haben dagegen die Forderungen anerkannt. Die Situation ist für die Streifenden durchaus günstig.
Interessant ist die Stellung der bürgerlichen Handlungsgehilfenberbände in der Frage der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe. Wir berichteten schon darüber, wie ablehnend sich die bürgerlichen Abgeordneten im Reichstag zu der Forderung auf böllige Sonntagsruhe verhalten. Die Fachpresse der gegnerischen Verbände bespricht diese Stellungnahme. Sie muß wehmütig eingestehen, daß nur die sozialdemokratischen Abgeordneten für ihre Forderung eingetreten sind. Sie findet herbe Worte gegen die Vertreter der bürgerlichen Parteien. Aber damit dürfte das„ Standesbewußtsein" sich ausgetobt haben. So viel ist gewiß, daß den Worten keine entsprechenden Taten folgen werden. Zum Schlusse kommt bei den meisten Mitgliedern der bürgerlichen Verbände doch wieder der Standesdünkel zur Geltung. Er verbietet ihnen, irgendwie mit der Sozialdemokratie und den„ roten" Gewerkschaften in Berüh rung zu kommen. Das ist für jene Handlungsgehilfen und gehilfinnen sehr bedauerlich, die zum Bewußtsein ihrer Klassenlage getommen sind. Sie müssen unter der Rückständigkeit ihrer politisch und sozial unaufgeklärten Berufsgenossen leiden, die Unternehmer im Handelsgewerbe lachen sich derweilen ins Fäustchen.
Die ersten Jahresberichte von Gewerkschaften für 1913 sind eingelaufen. Sie lassen erkennen, daß manche von ihnen wohl unter der Krise des Vorjahres gelitten haben, daß diese jedoch alles in allem wacker bestanden worden ist. Am meisten hat die schlechte Wirtschaftslage dem Bauarbeiterverband zugesetzt, er hat beinahe 9000 Mitglieder verloren. Allerdings muß man dabei berücksichtigen, daß wegen der Krise viele sonst alljährlich einwandernde Ausländer Italiener, Böhmen usw. 1913 Deutschland ferngeblieben sind. Es zeigt sich dann, daß der Verlust an Mitgliedern nicht so bedeutend ist. Mit dem Aufschwung des Baugewerbes wird der Ausfall bald wieder ausgeglichen sein. Dafür bürgt das feste Gefüge des Verbandes und der flare, entschlossene Geist, von dem er beseelt ist.
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Notizenteil.
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Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.
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Nr. 15
inspektion dem Drängen der Arbeiter nicht so widerstehen können. Da der Direktion alle berechtigten Wünsche der Arbeiter Luft sind, wandten sich diese mit einer Beschwerde an die königliche Seehandlung. Die Antwort war geradezu klassisch. Die Seehand lung verlangt darin, daß alle Beschwerden, wenn sie Aussicht auf Erfolg haben sollen, von der Direktion befürwortet sein müssen! Zum Schaden für die Arbeiter also auch noch der Hohn. Die Ar beiterschaft beschwert sich über die Direktion, weil diese keine Ab hilfe gegen schreiende übel schafft, die Seehandlung verlangt aber, daß die nämliche angeklagte Direktion die Beschwerde befürworten, sich selbst der Nachlässigkeit zeihen soll. Echt bureaukratisch- preuBisch. Nun liegt es an den föniglichen preußischen Lohnsklaven selbst, energischere Schritte zu tun. Die Arbeiter in der Hechelei verlangen ganz entschieden den baldigen Einbau von Exhaustoren, damit die Staubplage auf das Unvermeidliche beschränkt wird. Die jezige riesige Staubentwicklung zerfrißt die Lungen. Die Tubertulose ist unter den Spinnereiarbeitern besonders stark verbreitet. Es steht damit so schlimm, daß trok aller Aufklärung viele der Meinung sind, sie müßten reichlich Schnaps trinken, um ihr Inneres bom Flachsstaub reinzuwaschen". In der Küche des königlichen Musterbetriebs herrscht eine Unsauberkeit, die schwerlich überboten werden dürfte. Die Decken der Spinnerei sind zum Teil noch aus Holz, was bei einer eventuellen Feuersbrunst für viele Arbeiterinnen Lebensgefahr bedeutet. Und wie steht es in dem königlichen Betrieb mit der Entlohnung? Ist sie auch königlich? Das fann man mit dem besten Willen nicht behaupten. Nach der vom Deutschen Textilarbeiterverband im Jahre 1913 aufgenommenen Lohnstatistik betrugen in Landeshut die wöchentlichen Löhne der Spinnereiarbeiter im Mittel 13,44 Mt., die der Arbeiterinnen 10,47 Mt. Nur ein geringer Teil, nur wenige Hechler und Spiker kommen über den Durchschnitt hinaus. Das ist zum Leben zu wenig und zum Verhungern zubiel. Die Arbeiterschaft der föniglichen Spinnerei muß aus den Tatsachen erkennen, daß ihr nicht geholfen wird, wenn sie nicht ernstlich gewillt ist, sich selbst zu helfen. Auch diese Ausgebeuteten kennen den Weg, den sie zu beschreiten haben, er ist ihnen oftmals gezeigt worden. Der Weg führt zu ihrer Berufsorganisation, zum Deutschen Textilarbeiterverband. Dem rüdständigen, allen neuzeitlichen Verhältnissen hohnsprechenden königlichen Betrieb muß der organisierte Arbeiterwille entgegengestellt werden. Dann, aber nur dann werden auch sk. hier bessere Zustände geschaffen werden können.
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Arbeiterinnenelend in Limbach und Lugan. Nicht weit von Chemnitz liegt das Städtchen Limbach mit etwa 8000 Einwohnern. #Hier blüht namentlich die Handschuhfabrikation und beschäftigt zahlreiche Frauen und Mädchen. Zum Teil gehen die Proletarierinnen in die Fabriken, zum Teil sind sie Heimarbeiterinnen. Fast in jeder Arbeiterwohnung findet sich als unentbehrliches Hausgerät eine Nähmaschine, auf der Handschuhe genäht werden. Bei weitem nicht alle Heimarbeiterinnen besitzen eine eigene Nähmaschine, da diese 150 Mt. kostet. Der Unternehmer oder ein Agent stellt sie dann in das ärmliche Heim, und die Arbeiterinnen müssen für die Benußung zahlen. Wie überall, so tritt auch in der Limbacher Handschufabrikation die kapitalistische Ausbeutung den Heimarbeiterinnen brutaler entgegen als den Fabrikarbeiterinnen; Heimarbeit ist die schlechter gelohnte Arbeit. Die Heimarbeiterinnen erhalten 4 Pf. weniger für das Dutzend Handschuhe als die Fabrikarbeiterinnen. Obendrein haben sie be sondere Unkosten bei ihrer Arbeit Unkosten, die im Falle der fabrikmäßigen Herstellung der Handschuhe zu den Produktionsspesen des Unternehmers zählen. Die armen, nach allen Regeln der Kunst ausgebeuteten Heimarbeiterinnen müssen die Ausgaben für Beleuchtung, für das Maschinenöl auch dann, wenn die Maschine dem Fabrikherrn gehört- Maschine dem Fabrikherrn gehört usw. aus ihrer eigenen Tasche bestreiten. Der Verdienst der Heimarbeiterinnen ist nach alledem so gering, daß sie Tag und Nacht schaffen müssen, wenn ihr Mühen einigermaßen einbringen soll. Die Kinder, der Haushalt, alles, was zur Pflege des Heims gehört, wird dabei vernachlässigt. Wer ist einsichtslos genug, deswegen einen Stein auf die Ärmsten zu werfen? Ganz so schamlos wie die Heimarbeiterinnen werden zwar die Fabrikarbeiterinnen nicht ausgebeutet, aber auch ihre Arbeitsbedingungen sind noch schlecht genug. Ein Beispiel dafür: Der Unternehmer macht den Fabrikarbeiterinnen Abzüge für die Motorkraft, mit der die Nähmaschinen angetrieben werden! Diese Lohnsflavinnen müssen mit einem Wochenlohn von 15 M. fich begnügen. Daraus läßt sich ermessen, wie schmal der Verdienst der Heimarbeiterinnen ist. Man vergesse bei diesen Tatsachen nicht, wie hoch heutzutage die Preise aller Lebensbedürfnisse stehen. In Limbach ist die Teuerung besonders groß, weil viele Dinge aus Chemnik und anderen Orten der weiteren Umgebung herbeige
Ein föniglich preußischer Musterbetrieb in der Textilindustrie. In Landeshut in Schlesien unterhält der preußische Staat eine Flachsspinnerei. Seit ihrem Bestehen ist ihr als Aufsichtsinstang die königliche Seehandlung( Preußische Staatsban!) übergeordnet. Staatsbetriebe sollten Musterbetriebe sein. Ihre Lohn- und Arbeitsbedingungen, ihre sanitären Einrichtungen müßten vorbildlich für die Privatbetriebe wirken. Die fönigliche Epinnerei zu Landeshut ist auch ein Musterbetrieb", aber ein solcher eigener Art. In der Spinnerei, die im Jahre 1841 gebaut wurde, weht noch vormärzliche Luft. Berechtigte Arbeiterwünsche werden von der Direktion mit einer Gleichgültigkeit und Nichtachtung behandelt, die den schroffsten Scharfmacherstandpunkt zum Ausdruck bringt. Die Arbeiterschaft verlangt seit Jahren, daß eine moderne Ventilation eingerichtet werden soll. Die Direktion hat aber keine Ohren. Wenn es auch bei der Erbauung der Fabrik noch keine modernen Lüftungsanlagen gab, so wäre doch in den letzten Jahrzehnten reichlich Zeit gewesen, zu schaffen, was im Interesse der Gesundheit geschaffen werden kann und muß. Vater Staat stellt sich aber auf den knickerigsten„ Krauterstandpunkt". Eine gute Ventilation kostet Geld, und da läßt man die Sache eben gehen, solange es Gott gefällt. Die Gewerbeinspektion versagt vor der föniglichen Spinnerei vollständig. Trotz mehrfacher Beschwerden sind die beschämenden Zustände geblieben. Wir wundern uns durchaus nicht darüber, daß die Gewerbeinspektion anscheinend ohnmächtig ist, hier bessernd einzugreifen. Den eigenen Brotgeber zu diskreditieren, das kann man den Herren nicht zumuten. Bezeichnend bleibt es aber für den preußischen Staat, daß er in seinem eigenen Betrieb solche Zustände duldet. Handelte es sich um ein Privatunternehmen, so wäre es der Arbeiterschaft schon längst gelungen, Remedur zu schaffen. Dann hätte auch die Gewerbe
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