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Die Gleichheit
großartigen politischen Kundgebung zu gestalten. Mit jedem Tag der Vorbereitungsarbeiten nahm das Interesse der Arbeiter und Arbeiterinnen an dem Frauentag zu. Die Bolschewik beschlossen, cine Arbeiterinnenzeitung zu gründen, deren erste Nummer am Frauentag erscheinen sollte. Die traurige Lage der russischen Arbeiterinnen wurde in vielen Artikeln der Parteipresse wieder und wieder beleuchtet. Durch Zahlen über die steigende Verwendung von Frauenkräften in der russischen Großindustrie zeigte man die Bedeutung der Arbeiterinnenbewegung. Wir greifen ein Beispiel heraus, das die Dringlichkeit der gewerkschaftlichen Arbeiterinnenorganisation erkennen läßt. Auf 100 Arbeiter kamen im Bezirk Moskau 75,2 Arbeiterinnen, Warschau 51,6, St. Petersburg 43,5, Charkow 21,1, Kiew 21,1 und Wolga 18,0 Arbeiterinnen.
Je näher der Frauentag rückte, desto lebhafter wurde die Stimmung. Ein Zufall wollte es, daß kurz vor dem 8. März ein Gesezentwurf über die eherechtliche Lage der Frauen in der Duma zur Verhandlung gelangte. Eine glänzende Rede des sozialdemokratischen Abgeordneten Stobeleff trug dazu bei, die sozialdemokratischen Forderungen zugunsten der Frauen in den Vordergrund zu stellen. Auch die Frauenrechtlerinnen wurden in den Strom der bewegten Stimmung hineingezogen und hielten eigene öffentliche Versammlungen ab, die ihnen ohne weiteres gestattet wurden. Plöhlich, als der schwierigste Teil der Vorbereitungsarbeit fast beendet war, griff die Polizeigewalt ein: die in St. Petersburg geplanten Verfammlungen wurden mit einer Ausnahme verboten. Am Vorabend des Frauentags wurden drei von fünf Rednerinnen verhaftet, die in dieser einzigen Versammlung sprechen sollten. Weitere Verhaftungen erfolgten; nicht weniger als 30 unserer tätigsten Genossinuen wurden in das Gefängnis gesteckt. Aber der Wille der hoffnungsvoll erregten Proletarierinnen ließ sich nicht durch polizeiliche Schikanen einschüchtern. Als der leidenschaftlich erwartete Tag fam, flutete die Protestbewegung wie ein vom Sturmwind aufgewühltes Meer über das Land. Die beiden Nummern der Barteizeitungen in Petersburg , die dem Frauentag gewidmet waren und die Grüße ausländischer Genossen und Genossinnen enthielten, erschienen in hoher Auflage und waren im Nu vergriffen. Die„ Gleichheit" hat bereits in den beiden letzten Nummern darüber berichtet, wie erfolgreich die Frauentagsveranstaltungen in Petersburg , Mosfau, Riga und vielen anderen Städten noch verlaufen sind, daß die Versammlungen und Zusammenkünfte vielfach zu eindrucksvollen Straßendemonstrationen wurden. Das Eingreifen der Polizei hat die Empörung nur gesteigert und wirksamer gemacht. Auch die Frauen erkennen nun deutlich, wie rechtlos sie sind, wie sie unter der Macht des Zarismus leiden, die sich auf die orthodoxe Kirche stützt und dem Kapitalismus dient. Gleichzeitig aber lernen die Männer der Arbeiterklasse einsehen, wie wichtig die Frau für den gemeinsamen Kampf iſt.
Der Frauentag hat einzelnen tapferen Genossen und Genossinnen Schlimmes gebracht, aber der Arbeiterbewegung hat er außerordentlich genügt. Er hat gezeigt, daß sich das Klassenbewußtsein des russischen Proletariats im Eiltempo entwickelt. Noch vor fünf Jahren haben unsere Genossen jeden Versuch einer besonderen Arbeit unter den Frauen als bloße Frauenrechtelei" angesehen. Seute wird die Notwendigkeit einer Agitation unter den Arbeiterinnen allgemein anerkannt, und die erste Nummer einer Arbeiterinnenzeitung ist bereits erschienen. Das Wiederaufleben der Arbeiterbewegung in Rußland gibt uns die Hoffnung, daß der schwere Kampf gegen den alten Feind der Freiheitsbestrebungen in Europa , gegen den zarischen Despotismus, siegreich zu Ende geführt werden wird. Der Erfolg des Frauentags im Reiche des Baren beweist, daß den russischen Proletarierinnen in diesem Rampfe ein noch ehrenvollerer Plak gebührt, als ihnen bisher zugestanden wurde. A. Kollontah.
Aus der Bewegung.
Genossinnen!
Sicherlich habt ihr alle jubelnd den überaus glänzenden Erfolg der„ roten Woche" begrüßt. Und doch können wir Frauen am wenigsten zufrieden sein. Von den 148105 neugewonnenen Parteimitgliedern sind nur 32298 Frauen. Absolut genommen, gewiß ein stattlicher Zuwachs, im Vergleich zu der Gesamtsumme der Neugewonnenen und angesichts des ungemein großen Rekrutierungsgebiets unter dem weiblichen Proletariat jedoch nur ein kleines Häuslein.
Freilich, kennt man all die Schwierigkeiten, die der Gewinnung der Frauen für die politische Tätigkeit entgegen
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stehen, berücksichtigt man, daß bei einer so allgemeinen Werbeaftion wie es die„ rote Woche" war, ganz naturgemäß das Schwergewicht der Agitation darauf gelegt wird, die Männer zu fassen, so erscheint das vorliegende Resultat begreiflich. Aus der Erkenntnis, daß die vollbrachte Werbearbeit die bisher indifferenten Männer viel schärfer gepackt hat als die proletarischen Frauen, erwächst für uns die dringende Pflicht, erneut und mit größtem Eifer an die Aufrüttelung und die Organisierung der indifferenten Proletarierinnen zu gehen.
Daneben darf natürlich die Schulung der Neugewonnenen und ihre Einreihung in unsere Arbeitsgemeinschaft nicht vernachlässigt werden. Um überall den tätigen Genossinnen die bisherigen praktischen Erfahrungen nutzbar zu machen und ihnen damit ihre schwere Arbeit möglichst zu erleichtern, haben wir als Heft 8 der„ Sozialdemokratischen Frauenbibliothek“ die Broschüre herausgegeben:„ Gewinnung und Schulung der Frau für die praktische Betätigung". Ferner ist das fleine Broschürchen:„ Bist du eine der Unsrigen" durchgesehen und mit den neuesten statistischen Zahlen ausgestattet neu aufgelegt worden. Diese Broschüren, desgleichen passende Agitationsflugblätter werden von dem Parteivorstand auf Antrag der in Frage kommenden Bezirksleitungen für finanzschwache Kreise umsonst abgegeben und für die Organisationen zu einem sehr mäßigen Preis.
Genossinnen, die ihr in den Vorständen sitt, beantragt deshalb überall, daß ihr ungesäumt erneut mit einer intensiven Frauenagitation einseßt, insbesondere mit einer sorgfältig vorbereiteten und gründlich durchzuführenden Haus agitation. Ruft des weiteren eure mittätigen Genofsinnen auf, diese Arbeit mitauszuführen.
Der glänzende Allgemeinerfolg der„ roten Woche" hat überall die Arbeitsfreudigkeit und das Vertrauen in die eigene Kraft gestärkt und belebt. Dazu kommt, daß die vielen reaktionären Anschläge allerwegen eine Kampfesfreudigkeit in unseren Reihen auslösen, die wir unbedingt für die Stärkung unserer Heeres, zur Sträftigung des in ihm lebendigen Geistes nußen müssen. Der Weltfeiertag der Arbeit, der 1. Mai, dessen fünfundzwanzigjähriges Jubiläum wir dieser Tage feiern, wird überall die heilige Begeisterung schüren und zu tätiger Energie spornen. Die Stimmung, die er auslöst, wird unserer Werbearbeit überaus günstig sein.
Deshalb, Genossinnen, auf aus Werk! Der Erfolg wird enre Luise Ziek. Mühe sicherlich vollauf lohnen.
Von der Agitation. Die Unterzeichnete begann am 7. März eine längere Agitationsreise, die sie zunächst nach dem Bezirk Chemnitz - Dübeln führte. Die erste Versammlung fand in Leisnig statt. Trotz der allgemeinen großen Propaganda für die rote Woche hatte es doch der Arbeiterturnverein für angebracht gehalten, ge= rade an diesem Abend einen„ Vergnügungsmarsch" nach Röda zu unternehmen. Während die Versammlung begann, zog er mit Frauen und Mädchen, meistens Genossinnen, unter Musik von dem Versammlungslokal aus in die Weite. Es liegt. auf der Hand, daß die von der Partei einberufene Frauenversammlung darunter litt. Es wäre gewiß ein Leichtes gewesen, das Zusammenfallen der beiden Veranstaltungen zu vermeiden. Wir würden die Sache nicht an die große Glocke hängen, wenn nicht oft genug in fleineren Orten die Klage zu hören wäre, daß die Arbeitervereine zu wenig Rücksicht auf die Parteiveranstaltungen nähmen. Ein Vortrag in dem fleinen Siebenlehn brachte guten Erfolg, dagegen ließ in dem Städtchen Nossen der Besuch sehr zu wünschen übrig. Dort hat eine religiöse Settenbewegung, die der Adventisten, start eingesetzt, und auch Frauen von Genossen sollen von ihr erfaßt worden sein. Es wäre eine dankbare Aufgabe, geschichtliche Aufklärung zum Verständnis der Religion in diese Gegend zu tragen wie überhaupt in das Erzgebirge . In der Chemnißer Gegend, so wurde berichtet, sind 18 verschiedene Setten aufgekommen. Die Gesundbeterei spielt dabei eine große Rolle. Die Unterzeichnete hatte verschiedentlich Gelegenheit, Gesundbeterinnen von Ruf im Eisenbahncoupé kennen zu lernen. Sie bekam dabei den Eindrud, daß der Chemnitzer Bezirk in Sachen solchen Schwindels vielleicht jogar Berlin den Rang streitig machen könnte, nur daß es sich im Erzgebirge bedauerlicherweise um Volkskreise handelt, deren Unaufgeklärtheit die Täuschung, den Selbstbetrug ermöglicht, wäh