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Die Gleichheit
die Herrschaft von Kirche und Kapitalismus in der Schule, er ist auch ein Teil des großen Klassenkampfes. Erst wenn dieser durch den Sieg der Arbeiterklasse beendet ist, wird die Schule das sein, was sie sein soll: nicht eine Volksschule, sondern eine Schule des Volkes. Ihr Ziel wird dann erst sein, nicht länger Sklaven des Kapitalismus und des Militarismus auszubilden, sondern freie Menschen, starke und schöne Menschen, die, wie Richard Wagner fagt, das Ziel der geschichtlichen Entwick lung sind.
Ich schließe meine Wünsche für die Schule der Zukunft mit Jbsens schönem Wort:„ Die Jugend steht heute vor unserer Tür und heischt gebieterisch die Erfüllung ihrer idealen Forderung, zu einem tüchtigen Menschengeschlecht erzogen zu werden." Es geschicht das in der Überzeugung, daß die Frauen vom Sozialismus berufen sind, der Jugend die Tür weit zu öffnen zu einem neuen, einem glücklichen Land der Zukunft, in dem durch Wechselwirkung von Haus und Schule diese ,, ideale Forderung sich verwirklicht".
Frauenarbeit in der Glasindustrie.
Die Frauenarbeit in der deutschen Glasindustrie ist ein wahres Musterbeispiel der Sünden, deren die kapitalistische Ausbeutung sich schuldig macht. Weder bei der Heimarbeit noch in einem zweiten Gewerbe dürften Frauen in einer Luft schaffen, die wie in der Glasindustrie mit Miasmen gesättigt und verpestet ist. Dabei ist die Zahl der hier fronenden Arbeiterinnen keine geringe. Nach den Ergebnissen der Berufszählung vom Jahre 1907 wurden in Glashütten und Glasbläsereien vor der Lampe, bei der Glasveredlung und der Spiegelglas- und Spiegelfabrikation insgesamt rund 74 400 Personen beschäftigt, davon waren 11 294 weiblichen Geschlechts. Die deutsche Glasindustrie verwendet demnach eine ganz erhebliche Zahl von Frauen und jungen Mädchen, und die Regierung hätte alle Veranlassung, zum Schuße der Gesundheit und der Lebenskraft dieser Proletarierinnen weit mehr als bisher zu tun. Sie scheint sich ihrer Verpflichtung dazu nicht bewußt zu sein. Die herrschenden Klassen selbst schauen behaglich schmunzelnd dem Stand der Dinge zu. So geschieht nichts, um die Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft in der Glasindustrie zu mildern, sie ist geradezu unbeschränkt.
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In technischer Beziehung lassen die Glasschleifereien sehr viel zu wünschen übrig. Es fehlt an genügender Ventilation und was besonders im Winter für die Arbeiterinnen schwer ins Gewicht fällt an der so notwendigen Warmwasserzuführung. Der Glas- und Sandstaub, der beim Schleifen der Gläser entsteht, schafft in Verbindung mit der mangelhaften Ventilation eine feuchte und stickige Luft. Sie legt sich schwer auf die Atmungsorgane und erzeugt Lungentuberkulose, die unter den Arbeiterinnen eine erhebliche Zahl von Opfern fordert. Die gefährlichen Krankheitserreger werden übertragen und setzen die Familie der Glasarbeiterinnen ständig der Ansteckungsgefahr aus. Da es im Winter in einer großen Zahl von Schleifereien an warmem Wasser fehlt, so muß im kalten Wasser geschafft werden, Rheumatismus ist die Folge davon. Lungentuberkulose und Rheumatismus sind die verbreitetsten und gefährlichsten Berufskrankheiten unter den Arbeiterinnen der Glasindustrie.
Die Gesundheitsverhältnisse der Arbeiterinnen, die in der bayerischen Spiegelindustrie beschäftigt werden, dürften die schlechtesten von allen sein. An der bayerisch- böhmischen Grenze, in der Oberpfalz befinden sich Glasschleifereien, in denen das geblasene Rohglas für Spiegel geschliffen wird. Sind die Gläser in der Schleiferei fertiggestellt, so weisen fast alle kleine Fehler auf, die beseitigt werden müssen. Die Arbeiter nehmen die Spiegelgläser mit in die nahe der Fabrik gelegene Wohnung, damit sie dort dussiert werden, eine Arbeit, die meist Frauen verrichten. Sie ist die folgende. Es werden zwei Spiegelscheiben aufeinandergelegt, dazwischen
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kommt ganz feiner Schmirgel. Die untere Scheibe liegt auf einem niedrigen Arbeitsbock, und die obere wird von der Arbeiterin so lange beständig hin und her geschoben, bis der Fehler ganz herauspoliert ist. über die Einwirkungen der Arbeit auf die Gesundheit der Proletarierinnen äußert sich ein Hausarzt also: Die mit Dussieren beschäftigten Frauen leiden durch vieles Stehen an Krampfadern, durch das ständige Arbeiten mit nassem Sand und Schmirgel an entzündlichen Schrunden( Maseration). Ein Amtsarzt berichtet auffallend viele Fälle von Fehlgeburten und schreibt sie dem ständigen und tiefen Bücken bei der Arbeit auf den niedrigen Dussierbänken zu. Bei den Dussiererinnen wird außerdem sehr häufig beobachtet: Anämie , Rheumatismus , Magenleiden, Seitenstechen und auch Augenentzündungen, hervorgerufen durch das oftmalige Prüfen der Gläser auf Fehler hin. Dr. Kölsch schreibt hierüber:„ Abgesehen von der Beschränkung der ohnehin unzulänglichen Wohnung, dürfte auch die unvermeidliche Durchnässung des Fußbodens und eventuell der Wände hierbei zu beanstanden sein. Die Arbeit selbst wirkt ermüdend auf Rumpf und Armmuskulatur, bedingt ständiges Bücken und hierdurch schlechte Körperhaltung sowie Druck auf die Bauchorgane, auch Durchnässung der Kleider."
Solche Feststellungen von Ärzten beweisen, daß es um die Gesundheitsverhältnisse der Arbeiterinnen in der Glasindustrie sehr schlecht bestellt ist. Die Arbeiter der ganzen Ober pfalz und auch die Arbeiterinnen sind im Banne des Zentrums. Man sollte daher meinen, daß diese Partei es als ihre selbstverständliche Pflicht erachten würde, für die ausgebeuteten und gesundheitlich schwer bedrohten Proletarier der Oberpfalz einzutreten. Wie alle anderen bürgerlichen Barteien, so hat auch das Zentrum seine Stimme nicht für den Schutz der gequälten Arbeiterinnen der Glasindustrie erhoben. Mögen sie verderben und sterben, wenn nur der Profit der Herren Unternehmer blüht. Man muß die Glasschleifereien der Oberpfalz bereist haben, um sich eine Vorstellung von den schlechten Arbeitsbedingungen der Frauen und Mädchen zu machen, die hier in der Glasindustrie schaffen. Herr Dr. Berlin, der Sohn eines bedeutenden Spiegelfabrikanten, schreibt in seiner Doktordissertation:
" Die Durchnässung der Wohnung, die übrigens, wie ich auf einem Werke sah, durch untergestellte Blechschaffe bedeutend verringert werden kann, ist auch der Hauptanlaß dazu, daß gesonderte Duffierräume eingerichtet werden. Zu der Durchnässung des Bodens kommt übrigens als weiterer übelstand noch hinzu, daß die Dussiererinnen das Wasser, in dem die Schmirgelabfälle verfaulen, meist die ganze Woche über nicht ausleeren, so daß in den meist dichtbevölkerten Zimmern, wo auch noch gekocht wird, die Luft dann nichts weniger als gut ist. Es sind nun auch schon auf etwa 20 Prozent aller Werke eigene Dussierräume eingerichtet. Jedoch breitet sich diese Einrichtung nur sehr langsam aus, denn einerseits ist hierzu ein meist kostspieliger Neubau erforderlich, und andererseits wollen die Arbeiterinnen selbst diese Arbeitsräume gar nicht und weigern sich sogar manchmal, dieselben zu benußen, da sie bei der Arbeit dann nicht für ihre zahlreichen Kinder und für das Kochen sorgen könnten."
Diese Darstellung des vielfachen Millionärs läßt das graue Elend der Arbeiterinnen in den Nohglasschleifereien der Oberpfalz erkennen. Der Fußboden in den Wohnungen, die als Arbeitsstätten dienen, ist durchnäßt, die Schmirgelabfälle verfaulen langsam im Wasser, und dabei sind die Zimmer meist von einer starken Familie bewohnt. Wenn der Sohn eines Millionärs eine Schilderung wie die obenstehende entwirft, so dürfte sich jeder Unbefangene eine Vorstellung von dem namenlosen Jammer der Arbeiterinnen und ihrer Familien bilden können.
Der Verdienst der Glasarbeiterinnen in der Oberpfalz ist sehr gering, wir lassen darüber wieder Herrn Dr. Berlin sprechen. Er schreibt:
" In mir vorliegenden Lohnlisten schwankt der Jahresverdienst von 13 Duffiererinnen eines Werkes bei 297 Arbeitstagen zwischen 206 und 321 Mt., das macht durchschnittlich pro Tag 0,96 Mt. oder pro Woche 5,75 Mt. Die tatsächlichen Wochenlöhne dieser 13 Dussiererinnen schwanken zwischen 3 Mt. und 6,75 Mk."