Nr. 17

Die Gleichheit

Ein warmer Freund der Arbeiterinnenbewegung in Finn­ land   hat am 18. April sein 60. Lebensjahr vollendet, Dr. N. R. af Ursin  , der Nestor der finnischen   Sozialdemokratie. Schon bei der Gründung der Partei stand Genosse Ursin in den ersten Reihen des kämpfenden Proletariats. Es gehörte viel selbstverleugnenden Mutes dazu, sich von der bürgerlichen Klasse zu trennen und den Idealen des Proletariats zu leben! Die Bourgeoisie hat unserem Genossen Ursin seinen übertritt zur Sozialdemokratie nie ver­ziehen. Genosse Ursin ging unbekümmert darum den Weg, den er für den richtigen erkannt hatte. Seine Verdienste um die finnische Arbeiterbewegung sind sehr groß. Er war nicht nur jeder Zeit be­reit, das Proletariat durch Vorträge aufzuklären, sondern er be­tätigte sich auch schriftstellerisch in demselben Sinne und mit der­selben Opferbereitschaft. In zahlreichen Artikeln, Broschüren und Echriften hat er die verschiedensten Fragen des sozialen Lebens und die Theorien des Sozialismus beleuchtet. Unter anderem ver­faßte er auch für die finnischen   Arbeiter eine gedrängte Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, die recht verbreitet ist.

Im Ausland ist Dr. Ursin besonders durch seine Vorträge über den Wahlrechtskampf der Arbeiterinnen in Finnland   be­fannt geworden wie durch eine Monographie über die finnische Arbeiterfrage. Unser verdienstvoller Genosse hat sich in der Ar­beiterinnenbewegung eifrigst betätigt. Warm und treu stand und steht er den Arbeiterinnen stets beratend zur Seite. Wie in der Partei im allgemeinen, hat er auch innerhalb der Arbeiterinnen­bewegung stets aufklärend und schulend gewirkt, ist er als Erwecker und Rufer zum Kampfe vorangeschritten. Er hat ununterbrochen das Organ der Arbeiterinnen- Työläisnainen mit wertvollen Beiträgen unterstüßt, ebenso wie er stets bereit war, in Vorträgen die verschiedensten Fragen wissenschaftlich zu erörtern und zu klären, die sich auf die Lebensbedingungen der Arbeiterinnen be­ziehen. Für seine aufopfernde Tätigkeit innerhalb der proletarischen Bewegung ist dem Genossen Ursin ein Lohn geworden: das allge­meine Vertrauen der Partei. Er wurde auch in die Volksvertretung gewählt, bis er selbst aus Gesundheitsrücksichten seine Kandidatur nicht mehr aufstellen ließ. Die größte Genugiuung ist aber wohl unserem Genossen die prächtige Entwicklung der sozialdemokra= tischen Partei seines Heimatlandes wie die Entwicklung der Inter­nationale. Als Abgeordneter sagte er einmal: Nichts freut mich so sehr als die Tatsache, daß ich als Vertreter der Sozialdemokratie, der größten Partei des Landes, meinen ehemaligen bürgerlichen Gegnern die mich nicht nur anfeindeten, sondern auch aus­lachten bewiesen zu haben glaube, daß ich recht hatte und nicht fie." In Deutschland   wie in allen Ländern fühlen sich die sozial­demokratischen Frauen fest und herzlich mit der tapferen finnischen  Arbeiterinnenbewegung verbunden. Sie wissen deshalb auch dem Genossen Urfin aufrichtigen Dank, daß er sein großes Können so aufopfernd in den Dienst dieser Bewegung wie der ganzen Sozial­demokratie feines Landes gestellt hat. Sie wünschen ihm noch viele Jahre voll Kraft und Ausdauer im Dienste der Sozialdemokratie, voll Glück und Erfolg für die Partei und mit der Partei.

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Frauenbewegung.

Bürgerliche Hausfrauenorganisation. Der Versuch Wiener Frauen, einen Einfluß auf die Preisbildung für notwendige Lebensmittel zu gewinnen, hat auch in Deutschland   lebhaftes Intereffe erweckt. Die bürgerliche Frauenbewegung sieht plötzlich, daß die Frauen eine Macht sein können, und daß es möglich ist, die Lebenshaltung wesentlich zu berbilligen, wenn sich die Non­sumenten zusammenschließen und den Mut zum Durchhalten besigen. Aber wie, gibt es denn in Deutschland   noch keine Organisa­tionen, die in erster Linie die Interessen der Konsumenten ver­treten? Die Konsumgenossenschaften bestehen seit ge= raumer Zeit, ihr Mitgliederbestand sowie ihr. Jahresumsatz steigt beständig. Die Mitglieder dieser Konsumgenossenschaften sind je= doch zum größten Teil Arbeiter; von den meisten Konsum­vereinen halten sich die bürgerlichen Familien fern. Es mutet sonderbar an, daß die Frauen des Bürgertums im allgemeinen bisher die Vorteile der Konsumgenossenschaften nicht erkennen. wollten, abgesehen natürlich von den bürgerlichen Frauen, die diese Vorteile in den Einkaufsgenossenschaften und ähnlichen Or­ganisationen für Beamte usw. schon genießen. Selbst gute Haus­frauen, die sich sehr überlegen, ob sie für eine Sache, die nicht un­bedingt im Haushalt gebraucht wird, auch nur 10 Pf. ausgeben sollen, zahlen doch tagaus tagein einen recht ansehnlichen Unter­nehmergewinn an den Kolonialwarenhändler, den Butter- und Gemüseverkäufern, den Bädern und allen anderen, bei denen sie die Lebensmittel einkaufen. Und diesen Unternehmergewinn

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könnten sie ersparen. Dabei darf man nicht einmal annehmen, daß die bürgerlichen Frauen in ihrer Allgemeinheit nichts von den Konsumgenossenschaften wissen. Ihr Verhalten beruht durchaus nicht immer auf dem Mangel an Kenntnis, es hat ganz andere Gründe. Helene Granitsch  , die Begründerin der Reichsorgani­sation der Hausfrauen Österreichs  ", hat in verschiedenen Ver­sammlungen in deutschen Großstädten auseinandergesetzt, warum sie eine Sonderorganisation bürgerlicher Frauen ins Leben riefen. Kurz zusammengefaßt war es der Wunsch, dem Handel und der Produktion keine Abzüge zu bringen", und die Abneigung gegen eine gemeinsame Organisation mit Sozialdemokraten. Man darf ohne weiteres annehmen, daß die gleichen Gründe auch die bürgerlichen Frauen in Deutschland   bestimmen, den Konsumge­nossenschaften fernzubleiben. Vielleicht hat ein großer Teil von ihnen es sich noch nicht einmal ganz klar gemacht, aber rein ge= fühlsmäßig lehnt die Masse der bürgerlichen Frauen den Gedanken ab, mit Arbeiterfrauen und gar mit Sozialdemokraten gemeinsam in Konsumbereinen organisiert zu sein und zu wirken. Daß diese Exklusivität töricht ist, braucht nicht besonders betont zu werden; fie hat zur Folge, daß die bürgerlichen Frauen immer mehr den Einfluß auf die Preisgestaltung verlieren, und daß ihr Haushalt mit jedem Jahre kostspieliger wird, ohne daß ein größerer Auf­wand getrieben oder die Ernährung der Familie verbessert würde. Der andere Einwand, daß die Konsumvereine Handel und Pro­duktion schädigen, ist durchaus nicht stichhaltig. Die Versorgung der Angehörigen einer weitverbreiteten Organisation mit Lebensmitteln, deren Preise der Kontrolle dieser Organisation unterliegen, ist nur möglich durch städtische oder private Großbetriebe. Es können also nur einer beschränkten Anzahl von Unternehmern die Aufträge erteilt werden. Die anderen gehen leer aus und stimmen dann ein klagelied über die Ruchlosigkeit der Frauen an, die den Mittelstand verderben wollen und der­gleichen mehr. In Wien   haben die organisierten Hausfrauen die Fleischversorgung durch Automobile der städtischen Großschlächterci eingeführt. Zweifellos dürften die Wiener   Schlächter davon nicht erbaut sein, und ihre Mißstimmung wird zunehmen, je mehr Haus­haltungen direkt durch die städtische Schlächterei versorgt und in­folgedessen dem Detailhandel entzogen werden. Wie können aber Bürgerliche den Konsumgenossenschaften einen Vorwurf aus der Eigenproduktion und der Konkurrenz gegen den Kleinhandel machen, wenn sie selbst ähnliche Wege gehen! Dabei wird außer­dem stets vergessen, daß die Arbeiterkonsumbereine eine hohe erzieherische Aufgabe erfüllen: die Herstellung und der Vertrieb der Waren in den Genossenschaften vollzieht sich unter gefunden Arbeits- und Lohnbedingungen.

Aber bleiben wir bei der einen Frage, die für die bürgerlichen Hausfrauen anscheinend der einzige Anlaß zur Gründung von Konsumentenorganisationen ist: bei der Verbilligung der Lebens­mittel. Es muß doch jedem einleuchten, daß bei einer starken Zu­nahme der Mitgliederzahl die Konsumgenossenschaften noch erheb­lich leistungsfähiger würden, daß also sehr bald mit ihnen als preisgestaltendem Faktor gerechnet werden müßte, wenn die Tau­sende bürgerlicher Frauen den Mut hätten, sich unter Hintan­sehung aller Vorurteile mit den Arbeiterfrauen in den Konsum­genossenschaften zu organisieren. Auch in dieser Beziehung erweist sich wieder die ausschlaggebende Macht der Klassenlage, davon zu schweigen, daß bürgerlicher Einfluß in den Konsumvereinen sich im allgemeinen nicht mit den sozialen, fortschrittlichen Tendenzen dieser Gebilde verträgt. Bürgerlicher Einfluß ist meist gleichbedeu­tend mit Dividendenjägerei. Wir reden deshalb einem konfum­genossenschaftlichen Harmoniefränzchen" nicht das Wort, wir wollten bloß zeigen, daß das Klassenvorurteil die Bürgerlichen blind für den eigenen Nußen macht.

Immerhin, die Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs  hat einen nicht unbedeutenden Erfolg erzielt. Stadt und Staat er­fennen sie an und haben ihre führenden Mitglieder als erste Frauen in wichtige Kommissionen gewählt. Unter den bürger­lichen Frauen Deutschlands   scheint ebenfalls Neigung vorhanden zu sein, das österreichische Beispiel nachzuahmen. Verschiedene Frauenvereine haben sich von Frau Granitsch ausführliche Referate erstatten lassen, und es ist nicht ausgeschlossen, daß wir hier eines schönen Tages auch mit einer bürgerlichen Konsumentenorgani­sation von Frauen überrascht werden. Manchen wird eine solche Sonderorganisation nicht erfreulich erscheinen. Sie werden die Sträftezersplitterung bedauern. Auch ist es nicht ausgeschlossen, daß das Aufkommen einer bürgerlichen Konsumentenorganisation den Konsumgenossenschaften Schwierigkeiten bei der Werbung neuer Mitglieder schafft. Sollte der Versuch fehlschlagen, so ist außerdem zu befürchten, daß er auf das Konto der Organisation von Kon­