Nr. 18
Die Gleichheit
zusetzen. Dazu kommt, daß es für die Arbeiterinnen so gut wie ausgeschlossen ist, ein anderes Feld für ihre Erwerbs. arbeit zu finden. Wenn sie verdienen wollen und sie müssen verdienen, so bleibt ihnen nur die Beschäftigung in der Glasindustrie. So stärkt alles die Macht der Industriellen, bie Arbeiterinnen mit wahren Hungerlöhnen abzuspeisen und sie auch sonst unter Bedingungen zu beschäftigen, durch die der Profit möglichst gesteigert wird. Ist es da ein Wunder, daß die Arbeiterinnen nichts von der Wahrheit des Wortes spüren: Segen ist der Mühe Preis?" Der Segen ihres Mühens fließt in fremde Taschen. Ein Überangebot weiblicher Arbeitskräfte vermehrt noch die Möglichkeiten der Herren, ihren Gewinn durch Lohndrückerei recht fett werden zu lassen. Aus den ländlichen Gegenden in der Nähe der Glashütten und Glasschleifereien suchen viele Proletarierinnen in der Glasindustrie Beschäftigung.
Die Umstände, unter denen hier die kapitalistische Fron vor sich geht, sind aufreizend rückständig. Dafür einige Beispiele. In den Spiegelbeleganstalten zu Fürth in Bayern , dem Hauptsitz der Spiegelglasindustrie, herrscht eine Temperatur von nicht unter 35 Grad Zelsius. Dabei ist die Luft überaus schlecht, das Lackieren der Spiegel verdirbt sie. Trotzdem fehlt es meist an der nötigen Ventilation. Die Fenster dürfen nicht geöffnet werden, denn der geringste Luftzug würde das Belegen der Spiegel beeinträchtigen. Unter solchen Umständen sind die Frauen bei ihrer schweren Arbeit nur mangelhaft bekleidet. In vielen Betrieben tragen sie nicht mehr als einen dünnen Rock und das bloße Hemd auf dem Leib. Es kann bei dieser Feststellung nicht genug darauf hingewiesen werden, daß unter den Krankheitsursachen der Glasarbeiterinnen mit an allererster Stelle die übermäßige Hize steht, wie sie nament lich in den Beleganstalten anzutreffen ist. Bei der anstrengenden und langdauernden täglichen Arbeit in überhitzten Räumen gerät der Körper in einen fieberähnlichen Zustand. Die Sträfte werden dabei sehr schnell aufgebracht, die Nerven werden vorzeitig erschöpft. Man kann diese an Gesundheit und Leben zehrende Wirkung genau studieren, wenn man Spiegelbelegerinnen beobachtet, die nach getaner schwerer Arbeit langsam dem Heim zugehen.
Man bedenke bei alle dem, was wir über Hike, schlechte Luft und aufreibendes Schaffen sagten, daß die Arbeitszeit lang ist. Sie beträgt 54 bis 56 Stunden in der Woche, also mindestens 9 Stunden täglich. Es heißt das, Unmenschliches von dem Frauenkörper verlangen, der doch auch die Bürde der Mutterschaft tragen soll, davon gar nicht zu reden, daß die Glasarbeiterinnen die Hausarbeit nicht auf Stubenmädchen und Köchin übertragen können. Diese Dinge mögen jedem einleuchten, der sie ohne Vorurteil betrachtet, nur das ausbeutende Rapital hat keine Augen dafür, es sieht nur blinkendes Gold.
Aber auch andere Gefahren als die bereits erwähnten bedrohen die Arbeiterinnen gerade in den Beleganstalten. Die Gläser müssen sehr sauber gewaschen und von einem Arbeitstisch auf den anderen gelegt werden. Sie zerbrechen leicht, und so sind größere, erhebliche Schnittwunden feine Gelten heit. Solche Verlegungen kommen um so öfter vor, als durch den vielen Wasserverbrauch der Fußboden glatt und schlüpfrig ist, so daß die Arbeiterinnen sehr leicht ausrutschen. Geht dabei ein Spiegelglas entzwei, so sind die Arbeiterinnen ge= zwungen, es zu bezahlen, und was dann das Schändlichste ist: der Arbeiterin wird der Betrag für das ganze Glas abgezogen, während oft genug Stücke davon für kleinere Spiegel wieder verwendet werden. Die Abzüge für zerbrochene Gläser erfolgen auch dann, wenn der Arbeiterin nicht die geringste Schuld an dem Zerbrechen nachgewiesen werden kann.
In den Glasschleifereien ist es um die sanitären Arbeitsbedingungen der ausgebeuteten Frauen nicht besser bestellt als in den Beleganstalten. Die Luft ist stauberfüllt, denn auch hier mangelt es an Ventilationseinrichtungen, obgleich sich solche ohne Schädigung des Betriebs sehr leicht anbringen ließen. Tückische Lungenkrankheiten sind die Folgen davon. Sie zehren an der Kraft der Arbeiterinnen in den Schleifereien
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und würgen viele blühende Leben vor der Zeit. Wie viel Elend und Schmerz ließe sich allein durch geeignete Ventilatoren bannen! Aber solche Einrichtungen kosten Geld, und Arbeiterinnenleben sind billig. Was schert den Industriellen Gesundheit und Glück, ja das Leben der ausgebeuteten Frauen? Ihm bleibt die Hauptsache, daß sein Profit wächst und wächst. Während des Winters werden die Arbeitsräume nicht genügend geheizt, so daß schon nach kurzer Zeit der Beschäftt. gung Rheumatismus die Arbeiterinnen befällt. Es fehlt dann an der Möglichkeit, das Leiden durch die erforderliche Behandlung zu beheben oder wenigstens beträchtlich zu mildern. Der niedrige Verdienst läßt es nicht zu Ersparnissen kommen, die bitterste Not hält bald Einkehr, wenn die Arbeitsfähigkeit abnimmt oder ganz schwindet. Es darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, daß die Mehrzahl der Industriellen ganz bescheiden angefangen und es zu einem bedeutenden Vermögen gebracht haben. Diese Tatsache zeigt, was thre Erflärung wert ist, daß sie keine höheren Löhne zahlen, keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen gewähren können. Es ließe sich sehr wohl den schreienden Mißständen steuern, die täglich Gesundheit und Lebenskraft der Arbeiterinnen bedrohen, wenn die Industriellen nur ein Fünfchen Gefühl für die Lage der Arbeiterinnen besigen würden.
Das vollständige Fehlen von Schutzvorrichtungen in den Betrieben der Glasindustrie sagt uns das nämliche. Die Arbeiterinnen müssen für diesen Mangel büßen. Schnittwunden kommen auch hier häufig vor. Als besonderer Übalstand muß noch erwähnt werden, daß Arbeiterinnen gezwungen sind, große Staften mit fertig geschliffenem Glas in die Packräume zu fragen. Nicht selten brechen schwächliche Frauen und Mädchen unter dieser Last im buchstäblichsten Sinne des Wortes zusammen. Was schon im allgemeinen von den Löhnen der Frauen in der Glasindustrie gesagt wurde, das trifft auch für die Entlohnung in den Spiegelbeleganstalten und in den Schleifereien zu. Die Arbeiterinnen verdienen hier selten mehr als 14 Mr. pro Woche, ja die meisten müssen sich mit einem Lohn von 9 bis 12 Mt. begnügen. Es werden nicht etwa feste Stundenlöhne gezahlt, sondern für alle Arbeiten sind bestimmte Affordsätze aufgestellt. Diese Säge sind so niedrig, daß die Arbeiterinnen ihre ganze Kraft aufbieten müssen, wenn sie nur das Allernotwendigste für den Lebensunterhalt verdienen wollen. Bei einer Firma besteht als Zugabe zu alledem ein Prämiensystem, das die Arbeiterinnen zu dem höchsten Kräfte aufwand aufpeitscht. Es ist kein Zweifel, daß die Arbeiterinnen selbst ein Teil der Schuld daran trifft, daß ihre Ausbeutung gar so hart, ihre Lage gar so traurig ist. Sie haben die Industriellen gewähren lassen, ohne sich zur Abwehr gegen die rücksichtslose Profitmacherei zusammenzuschließen. Versammlungen zu besuchen halten sie für zwecklos, sie haben noch nicht die Notwendigkeit erkannt, sich darüber zu belehren, warum sie leidend und elend sind, und ob es denn kein Mittel gebe, auch ihnen zu einer besseren Existenz zu verhelfen. Die Gewerkschaftsorganisation hat es wahrlich nicht an Arbeit und Mühe fehlen lassen, um den Arbeiterinnen der Glasindustrie die Augen zu öffnen. ihr aufklärendes Wort hat aber diese bedauernswerten Lohnsflavinnen nur in geringem Maße erreicht. Deshalb fehlt es unter diesen noch an der Einsicht, daß die Gewerkschaft ein Schutzwall gegen Ausbeutung und Not ist. Dem Glasarbeiterverband gehören nur rund tausend Arbeiterinnen an. Wären mehr Frauen und Mädchen organisiert, so ließe sich sehr wohl eine Besserung der schlechten Arbeitsbedingungen durchsetzen. Auch die politische Organisation hat sich wiederholt um die Aufklärung und die Vereinigung der Glasarbeiterinnen bemüht. Ebenfalls nur mit geringem Erfolg.
Das darf jedoch die denkenden proletarischen Männer und Frauen nicht abhalten, immer wieder aufs neue ans Werk zu gehen, um die Glasarbeiterinnen zu erwecken, um sie davon zu überzeugen, daß ihre Lage sich heben kann, wenn sie selbst ernsthaft mithelfen, sie zu heben. Immer mehr Frauen von Glasarbeitern werden gezwungen, dem Verdienst nachzugehen. Die große Verteuerung des Lebensbedarfs bewirkt, daß der