St. 18
Die Gleichheit
Zeit, um Euch an dem stillen Glück des Familienlebens zu erfreuen, Ihr müßt die Behaglichkeit und den Schutz eines traulichen Heims entbehren. Noch bevor Ihr aufgehört habt, Kinder zu sein, werdet Ihr in den harten Lebenskampf gestoßen, und anstatt einer fröhlichen Jugend lernt Ihr nur ein trauriges Dasein ohne Freude, ohne Wärme, ohne Farbe kennen.
Genossinnen! So ist Euer Leben in Berlin , so ist unser Leben in Finnland , so ist das Leben in Rußland , so ist es überall, wo der Mensch durch den Menschen ausgebeutet wird.
Aber niemandem von den Machthabern fällt es ein, daran zu denken. Wir haben weder von den Gewalten der Kirche, noch des Staates Hilfe zu gewärtigen, dagegen aber nur noch mehr Lasten. Den letzten Tropfen Kraft pressen die Kapitalisten uns aus, den letzten Groschen raubt uns der Staat zu Rüstungszwecken, während die Kirche zu allem ihren Segen gibt.„ Die Befreiung der ArbeiterKlasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein!"
Genossinnen! Auch die finnischen Proletarierinnen verstehen es sehr wohl, was die Zeit von ihnen fordert. Wir stellen uns mit Euch in Reih' und Glied, warm drücken wir Euch die Hände, unt Euch die Solidarität des Proletariats aller Länder zu bekunden, jene Solidarität, die uns aufs innigste mit Euch verbindet.
Recht so, Ihr sozialistischen Frauen aller Länder, die Ihr zum Protest gegen den Krieg zusammengekommen seid. Vorwärts unter dem Banner des flassenbewußten Proletariats! Möge die frohe Botschaft des Sozialismus zu allen dringen, die da arbeiten und leidtragen". Diese Botschaft bedeutet die Befreiung der Menschheit und auch die Befreiung des gedrücktesten Teiles davon: die Befreiung der Proletarierinnen!
Mit sozialistischem Gruß von den finnischen Proletarierinnen Hilja Pärssinen, Helsingfors , Landtagsabgeordnete. Brief der Pariser Frauengruppe der sozialistischen Partei Frank. reichs:
Unsere junge Gruppe kann zu unserem großen Bedauern feine Vertreterin zu Eurer internationalen Friedenstundgebung in Berlin entsenden. Jedoch liegt es uns am Herzen, unserer vollständigen Solidarität mit den zusammengekommenen Genossinnen verschiedener Länder Ausdruck zu verleihen.
Unsere Gruppe schickt Euch allen unseren brüderlichen Gruß und die Versicherung, daß sie den besten Teil ihrer Tätigkeit dem Kampfe gegen den Krieg widmen wird, einem Stampfe, der mit Kraft nur durch das Proletariat aller Länder geführt wird, das sich als Klassenpartei organisiert. Euch, liebe Genossinnen, und den Genossinnen aller Länder unsere sozialistischen Grüße.
Aus der Bewegung.
Von der Agitation. Im Anschluß an die Frauenkonferenz des Bezirks Hannover fanden daselbst im Februar 38 Versammlungen statt, die sich hauptsächlich an die Frauen wendeten. Genossin Demmning- Berlin sprach in Selze, Gehrden , Egersdorf, Nücklingen, Springe , Minden , Hameln , Klaustal, Salzgitter , Ostlutter, Limmer, Döhren, Misburg, Buchholz, Vahrenwald, Gleidingen , Celle , Burgdorf , Uelzen . In Hannöverisch- Minden, Lauterberg , Barbis, Goslar , Wunsdorf , Badenstädt, Alfeld , Göt tingen , Ginbeck, Herrenhausen, Saarstedt, Osterode , Herzberg , Hetensen, Uslar , Osnabrück und Vorort, Bramsche , Quakenbrück sprach Genossin Eifinger- Mainz . Beide behandelten das Thema:" Die Frau im wirtschaftlichen und politischen Kampfe". Ein Teil der Versammlungen war gut, ein Teil jedoch schlecht befucht. Die Agitation führte der Sozialdemokratie 517 weibliche und eine Anzahl männlicher Mitglieder zu, sie brachte Abonnenten für die„ Gleichheit" und den„ Volfswillen". Dieser bemerkenswerte Erfolg ist mit auf Rechnung der vorausgegangenen Konferenz zu setzen, die den Genossinnen Anregung, Ermutigung und praktische Ratschläge gegeben hatte. Diese Tatsache müßte alle Bezirke veranlassen, Frauenkonferenzen abzuhalten.
Fast in allen Orten hatten Frauen die Handzettel verteilt, ge= hörten dem Bureau der Versammlungen an und betätigten sich durch das Austeilen der Aufnahmescheine. Wo es an geschulten Genossinnen fehlte, gingen die Referentinnen selbst mit durch die Reihen, um neue Mitglieder zu werben. Was gute Vorbereitung der Versammlungen bedeutet, erwies der Erfolg unserer Agitation in Döhren, Misburg, Buchholz, Vahrenwald. Nach dem vorzüglichen Referat der Genossin Demmning sprachen hier die Genossinnen Evert und Bremer in der Diskussion. In diesen vier Bersammlungen wurden allein über hundert Mitglieder für die Partei gewonnen. Ebensogut vorbereitet waren die
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Versammlungen in Hannoverisch- Minden, Saarstedt, Goslar , Einbeck , Osnabrück , wo die Unterzeichnete referierte. Auch hier durften wir dank der Mithilfe tätiger Genossinnen einen Gewinn von über Hundert Mitgliedern buchen. In Osnabrück sprach außer dem Versammlungsleiter noch unsere Vertrauensperson, Genossin Prante, in den Debatten. Die dortige noch junge Organisation berechtigt zu den besten Hoffnungen. Die Mindener Versammlung war eine wahre Kundgebung für die Partei. In Hameln leitete der Frauenchor mit einem herrlichen Lied die Veranstaltung ein.
Nicht mangelndes Interesse war die Ursache, daß mancherorts der Versammlungsbesuch gering war, sondern die rege Gegenagitation der katholischen und protestantischen Pfarrer. Mütterabende, Strickabende, Versammlungen, alles mögliche wurde veranstaltet, um die Frauen uns fernzuhalten. Der Terrorismus unserer Gegner, besonders auf dem Lande, tat ein übriges. Daß troß allem die Frauen zu erwachen beginnen, dafür sorgen die Zustände. Es springt einem geradezu in die Augen, wie belastet und gedrückt die Frauen des werktätigen Volkes in der Gegend sind. Sie spüren wahrhaftig nichts von den herrlichen Zeiten, denen Kaiser Wil helm II. uns entgegenzuführen versprach. Ihr Los ist Armut, Unterernährung und Sorge bei aussaugender Erwerbsarbeit und hartem Mühen in der Familie. In den herrlichsten Harzstädtchen gehen die Frauen in Scharen zur Fabrik oder sie schuften in der Heimindustrie, indem sie Stühle flechten, Zigarren machen, Näharbeiten übernehmen usw. Das Heim wird zur Arbeitshölle auch für die Kinder. O beste aller Welten! Ein bitteres Gefühl steigt einem auf, wenn man sieht, wie eine Mutter sich für ein paar Mark pro Woche in ihrem armseligen Heim plagt. Wie hörten wir doch? " Die Frau gehört ins Haus." Eindringlich reden die Lebensverhältnisse der proletarischen Frauen davon, wie not ihnen das Wahlrecht tut.
Es scheint, als ob die hohe Obrigkeit die beiden Referentinnen zu denen zählte, die den Staat am Lebensnerv treffen wollen. Sie hatte für außerordentlich scharfe überwachung gesorgt. Die Be hörde wollte nachforschen, ob ein Beispiel auf Wahrheit beruhe, das Genossin Demmning von der Heimarbeit angeführt hatte. Die Polizei beehrte die Begleiterin unserer Genossin mit einem Befuch. Der Unterzeichneten wurde die Aufmerksamkeit zuteil, daß ein Geheimpolizist das Referat stenographierte. Wachtmeister und Schußmann fehlten in feiner Versammlung. Der Frauen Erwachen bringt uns dem Siege näher. Das wissen die Gegner, aber das wissen auch wir. Deshalb lassen wir uns durch die Feinde bei unserer Aufklärungsarbeit unter den Proletarierinnen nicht bange machen. Wenn unter den Frauen die Erkenntnis reift, daß man ihnen raubt, was man dem Tiere läßt: die Mutterfreude, so wird jede Mutter im arbeitenden Volke, Vertreterin des Werdenden, alles und alle bekämpfen, die die Frucht ihres Leibes dem Militarismus und Kapitalismus opfern wollen. Die Frauen des Volkes werden sich gegen die Barbaren und Verbrecher wenden, die durch Ausbeutung und Knechtschaft der Mutter das Recht zum Gebären streitig machen und sie zur Lebensverneinung zwingen. Die leitenden Genossen und Genofsinnen in Hannover haben die Aufgabe, den Erfolg der Versammlungen festzuhalten. Durch Leseund Diskussionsabende, Vorträge, rege Mitarbeit bei Wahlen usw. müssen die neugewonnenen Mitglieder an die Organisation gefesselt, müssen sie geschult werden. Es steht zu hoffen, daß die ausgestreute Saat auf guten Boden gefallen ist und reiche Früchte tragen wird.
An Stelle der ausgewiesenen Genossin Balabanoff- Mailand sprach die Unterzeichnete zum Frauentag in Wiesbaden . Sicher wäre die Stadt in Feuer und Rauch aufgegangen, wenn Genossin Balabanoff gesprochen hätte! Vor der Gefahr mußte fich das gastfreundliche Preußen- Deutschland hüten. Außerdem lag Deutschland daran, dem Ausland etwas zu lachen zu geben. Die schönste Rede hätte keinen größeren Erfolg gehabt als diese Polizeimaßregel. Loni Eifinger, Mainz .
Zwei Versammlungen mit Genossin Popp- Wien als Referentin fanden Ende April in Breslau und Liegnių statt. Damit die Polizei unseren Gast nicht von vornherein mit einem Redeverbot oder gar mit der Ausweisung bedachte, war nicht Genossin Popp, sondern Genossin 8ie als Rednerin angezeigt worden. In Schlesien , ganz besonders aber in Breslau muß man ja stets mit Überraschungen durch die Behörden rechnen. Dieses Mal war jedoch die Vorsicht überflüssig gewesen. Genoffin Popp fonnte ungestört in beiden Versammlungen unter dem rauschenden Beifall der Anwesenden reden. Die Versammlung in Breslau war überfüllt. Die Massen- darunter viele Bürgerliche - waren zum Teil durch das Thema angelodt worden: Gegen den staatlichen Gebär