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Die Gleichheit
ist aber eine alte Erfahrung, daß Frauen, die zum arbeitenden Wolke gehören, all diese Dinge anders sehen als Frauen, die zur kleinen Welt der Besitzenden gehören. Sie müssen sie anders sehen, weil sie nie anders empfinden. Man wende nicht ein, daß die fozialdemokratischen Stadtverordneten wahrscheinlich für die kommunale Mitarbeit nicht mehr Genossinnen in Vorschlag bringen konnten, weil es in Darmstadt an geeigneten Persönlichkeiten dafür fehlt. Wenn dem so wäre, dann würde das ein Armutszeugnis für unsere Bewegung sein und eine Anflage zugleich, daß nicht eifrig genug an der Aufklärung und Schulung der Genossinnen gearbeitet worden ist. Wir sind jedoch überzeugt, daß es in unseren Reihen tüchtige Frauen gibt, die mit Nutzen und Ehren in den Deputationen usw. wirken würden. Halten wir unsere Genossinnen nicht für befähigt, ihre Kinder im Geiste des Sozialismus zu erziehen und die Kämpfe des Mannes zu verstehen und zu teilen? Unsere Frauen würden sich auf kommunalem Gebiet bald eingearbeitet haben, wie sich ja auch die bürgerlichen Damen erst einarbeiten müssen. Eine zahlreichere Vertretung unserer Genosfinnen in kommunalen Ämtern wäre unstreitig eine große Ermutigung gewesen, sich zu bilden und öffentlich zu wirken. Ihre geringe Berücksichtigung darf keine Entmutigung werden, um gekehrt, sie müssen ein Ansporn sein, nun erst recht vorwärtszustreben. Hoffentlich werden bei ferneren Wahlen zu kommunalen Vertrauensposten die sozialdemokratischen Stadtverordneten energisch darauf drängen, daß die proletarischen Frauen zahlreich zur Mitarbeit herangezogen werden.
Die Anstellung von vier weiteren Assistentinnen der Gewerbeaufsicht in Preußen ist für 1914 im Etat vorgesehen. Damit würde die Zahl dieser Beamtinnen auf 18 steigen. Im ganzen Deutschen Reiche waren 1912- wie wir bereits berichtet haben 43 Assistentinnen der Gewerbeaufsicht tätig.
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Eine Frau als Mitglied des neu errichteten Jugendamtes in Lübeck . Laut Sagung muß eine Frau dem neu geschaffenen Jugendamt angehören, das in Lübeck als Gemeindewaisenamt für die Stadt und die Vorstädte funktioniert. Der Senat von Lübeck hat für den Posten eine Frau ausersehen, die bereits seit zwei Jahren Mitglied der Armenbehörde ist.
Drei städtische weibliche Beamte sind in Offenbach a. M. tätig. Es sind das: eine Armenpflegerin, eine Wohnungsinspektionsgehilfin und eine Pflegerin der Beratungsstelle für Säuglinge und Mütter und für die Lungenfürsorge.
Frauen im Schulwesen der Stadt Bonn . In die städtischen Kommissionen für das höhere Schulwesen in Bonn sind zwei Frauen gewählt worden. Sie haben beratende Stimme. Auch dem Vorstand der städtischen Fortbildungsschule gehören zwei Frauen mit beratender Stimme an.
Zwei Krankenpflegerinnen als Beamte beim Wohnungsamt der Stadt Berlin sind seit dem 1. Januar d. J. tätig. Auf dem Gebiet des Wohnungswesens ist reichste Gelegenheit für die Betäti gung der Frauen vorhanden.
Verschiedenes.
Die Küche im Mai. Unter diesem Titel fand in den ersten Tagen des Monats in Berlin eine Kochkunstausstellung statt. Man sah dort, wie angenehm es sich im wunderschönen Monat Mai leben läßt, wenn man über das nötige Geld verfügt, um sich entweder selbst einen erstklassigen Koch halten oder aber die kulinarischen Dienste ber feinen Luxushotels und Restaurants in Anspruch nehmen zu können. Die hervorragendsten Kochkünstler der Reichshauptstadt hatten bie Ausstellung überreich mit auserlesenen Erzeugnissen ihrer Kunstfertigteit beschickt. Jeden Tag wurden die ausgestellten Herrlichkeiten burch neue, womöglich noch raffiniertere Schüsseln ersetzt. Dinge gab es da zu sehen, die dem gewöhnlichen Sterblichen kaum dem Namen nach bekannt sind: riesige Langusten, indische Schwalbennester, aus benen Suppen für Millionäre bereitet werden, Bekassinen, seltene erotische Früchte usw., kura alles, was zum Gaumentigel reicher Müßiggänger dient. Einzelne Schüsseln, die doch nur Teile einer aus vielen Gängen bestehenden Mahlzeit waren, kosteten mehr, als eine Arbeiterfamilie in Wochen verdienen kann. Von Fachkennern wurde die Aufmachung dieser hochherrschaftlichen Gerichte in der bürgerlichen Bresse in den überschwenglichsten Tönen gepriesen. Broletarier würden wahrscheinlich erstaunt sein, wenn sie sehen Lönnten, welche ausgetüftelten Künsteleien nötig sind, um den Appetit eines übersättigten Feinschmeckers zu neuen Leistungen anzuspornen. Diese Sorge hat die proletarische Hausmutter nicht. Dafür hat fie anderes zu bedenken. Während der Tisch für den Reichen im Mai benso üppig gedeckt ist wie in den übrigen Monaten, da alle Zonen thm ihren Tribut sollen müssen, ist der Mai für die Küche des Ar
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Nr. 18
beiters beinahe der schwierigste Monat des Jahres. Das proletarische Hauptnahrungsmittel, die Kartoffeln, feimen, sie werden fledig und unschmackhaft. Die alten Gemüse taugen nichts mehr und die neuen ausländischen sind ebenso wie der einheimische Spargel viel zu teuer, als daß die Arbeiterfrau mit einem Durchschnittswirtschaftsgeld auch nur im Traum daran denten könnte, mit ihnen den Tisch zu bestellen. Der Reiche schwelgt im Mai in Krebsen, frischen Edelpilzen und anderen zarten Saisondelikatessen, der Arme muß froh sein, wenn er sich mit den schwerverdaulichen Kleinkalibrigen, den Hülsenfrüchten, den Magen füllen kann. Und doch ist er es, dessen unbezahlte Arbeit den tapitalistischen Mehrwert bildet, von dem die Drohnen in der kapitalistischen Gesellschaft ihr Prasserdasein führen. M. Kt. Franenangelegenheiten im Landtag von Reuß j. L. Soll der Staat Frauen als Maschinenschreiberinnen beschäftigen? Diese Frage wurde bei den Etatberatungen im reußischen Landtag fürzlich erörtert. Ein mittelständlerischer Abgeordneter lehnte die Bejahung der Frage mit der Begründung ab, man nehme mit der Anstellung von Frauen oder Mädchen Familienvätern das Brot weg. Der Herr ging anscheinend von der kuriosen Ansicht aus, daß alle Frauen und Mädchen durch die Familie eine gesicherte Existenz haben. Einen anderen Standpunkt vertrat ein nationalliberaler Landgerichtsrat. Er meinte, das Eindringen von Schreibmaschinendamen in den Gerichtsbetrieb sei deshalb schon nahezu ausgeschlossen, weil dort oft Sachen getippt werden müßten, für die sich weibliche Angestellte nicht eigneten. Diese hinterwäldlerische Ansicht löste aber selbst in dem Fünfstimmenwahlrechtsparlament eine stille Heiterkeit aus, und die folgenden Redner rückten mit wenigen Ausnahmen merklich von ihr ab. Man war doch der Meinung, daß man die Erwerbstätigkeit der Frau als eine Tatsache hinnehmen müsse, und daß es ein zweckloses Bemühen sein würde, das Rad der Entwidlung zurüddrehen zu wollen. Nein, gegen die Frau als Ausbeutungsobjekt und als Steuerzahlerin hatten die Herren nichts einzuwenden. Die Konsequenz der anerkann ten Entwicklung, die rechtliche und politische Gleichstellung der Frau steht für die nationalliberalen Volksvertreter natürlich auf einem anderen Blatt. Ein Beweis dafür. Die Regierung hat eine Vorlage auf Abänderung der Gemeindeordnung eingebracht. Darin wird das jetzige, im wesentlichen gleiche Kommunalwahlrecht durch ein Pluralwahlrecht ersetzt, das den Wahlberechtigten eine bis fünf Stimmen zuerkennt. Die politische Rechtlosigkeit der Frauen gilt der Regierung geradezu als eine glatte Selbstverständlichkeit. Scheut sie sich doch nicht, in der sogenannten Begründung ihrer Vorlage den aufreizenden Satz zu schreiben:" Da Frauen und Bevormundete nicht stimmberechtigt sind, bedarf es für sie keiner besonderen Vorschrift". Der Entwurf wird jedenfalls Gesetz werden. Käme es allein auf die Herrschenden und Regierenden an, so könnten die reußischen Proletarierinnen sicher bis zum Sankt Nimmerlein auf die Erfüllung ihrer Forderung warten, Mitbestimmungsrecht in den Gemeinden zu erhalten.
Man verweigert den Frauen jegliches Recht zur Beteiligung am Gemeinde- und Staatsleben, und das obgleich die stark entwickelte reußische Textilindustrie ohne die Frauenarbeit gar nicht auskommen könnte. Dafür ist man um so schneller bei der Hand, auch den Frauen neue Steuern aufzubürden. Die Mehrheit des Landtags hielt die Grweiterung des sogenannten„ Kinderprivilegs" im Einkommensteuergesetz für geboten. Damit waren selbstverständlich auch unsere Genossen einverstanden. Der Ausfall an Einnahmen mußte gedeckt werden. Es hätte nun nahegelegen, die großen Vermögen stärker zur Steuer heranzuziehen. Aber davon war natürlich keine Rede. Die bürgerliche Mehrheit des Landtags beschloß einmütig, die Regierung zu ersuchen, eine Vorlage zur Besteuerung Unverehelichter auszuarbeiten, die über 3000 Mt. Einkommen haben und nicht für nahe Angehörige zu sorgen brauchen. Diese Steuer wird die Arbeiterschaft nicht berühren, gewiß! Troßdem muß gegen eine steuerliche Quadsalberei protestiert werden, durch die Frauen für die oft genug unfrei. willige, ja erzwungene Ehelosigkeit bestraft werden sollen.
Wie die anderen fleinen thüringischen Staaten, so schwimmt jetzt auch Reuß jüngere Linie ganz im Fahrwasser der Reaktion. Da die Liberalen zu völliger politischer Bedeutungslosigkeit herabgesunken sind, vertritt den Gedanken freiheitlicher Entwicklung nur die Sozialdemokratie. Ihr ununterbrochenes Wachstum bietet einzig die Gewähr dafür, daß trotz der gegenwärtigen trostlosen Rüdwärtserei auch die Frauen eines Tages zu ihrem Rechte kommen. Flp. Berantwortlich für die Rebattion: Frau Klara Betfin( Bundel), Wilhelmshöhe, Boft Degerloch bet Stuttgart . Druckt und Berlag von J. H. W. Dies Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart .