Nr. 19

Die Gleichheit

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geführt hat. In der folgenden Tabelle find die ermittelten Zahlen Organisationen treiben? So ist es nach wie vor eine Aufgabe der übersichtlich zusammengestellt:

Deutschland

Österreich

Schweiz .

Ungarn

Holland .

Bulgarien .

Gesamtzahl der Prozentsaz gewerkschaftlich zu der Gesamtzahl organisierten aller Gewerkschafts. Arbeiterinnen mitglieder

8,6

216462

50410

11,8

8487

9,8

6508

5,8

8652

5,9

198

5,3 Außerdem bringt der Bericht Angaben über den Umfang ber Frauenarbeit in den einzelnen Ländern. Für Deutschland werden die Ergebnisse der letzten amtlichen Berufszählung angeführt. Sie sind unseren Leserinnen ja bekannt. Die kapitalistische Wirt­schaft ist ein Ungeheuer, das um so hungriger wird, je mehr es frißt. Nach ihren eigenen Gesetzen ist diese Wirtschaft gezwungen, aur Steigerung des kapitalistischen Profits die menschliche Ar­beitskraft so billig als nur irgend möglich zu entlohnen; gerade deswegen zieht sie immer mehr Frauen und Mädchen als billige Arbeitskräfte in ihren Produktionsprozeß hinein. In einigen Be­rufszweigen, so im Bekleidungs- und im Reinigungsgewerbe, find mehr weibliche als männliche Arbeitskräfte beschäftigt. Die Frauen stellen in anderen Industrien einen sehr hohen Prozentsatz der Gesamtarbeiterschaft. Braucht man angesichts dieser Tatsache ein Wort über die Bedeutung der gewerkschaftlichen Arbeiterinnen­organisation zu verlieren? In Gewerben mit starker Frauen­arbeit ist der Anschluß der ausgebeuteten Frauen an die Organi sation eine Lebensfrage. Hier ist ihre Beteiligung an den gewert schaftlichen Aktionen für deren Erfolg oder Mißerfolg geradezu ausschlaggebend.

Der Kapitalismus zeitigt in allen Kulturstaaten die gleichen ge­sellschaftlichen Erscheinungen. Was von dem Anwachsen der Frauenarbeit für Deutschland gilt, trifft auch für andere Länder zu. Angaben des Berichts beweisen das. So wurden in der Schweiz in dem Berichtsjahr 1912 durch die Arbeitsämter für 14 298 Frauen und für 43 604 Männer Arbeitsstellen vermittelt. Also 25 Prozent der Arbeitsuchenden waren Frauen. In Nu­mänien beschäftigt die Industrie neben 113 143 Männern 20 743 Frauen. Ungefähr ebenso stark ist die Beschäftigung weiblicher Ar­beitskräfte in Bulgarien . Hier nimmt die Landwirtschaft eine herrschende Stellung ein; 80 Prozent der Bevölkerung sind in ihr tätig. Aber von den 10 163 Personen, die für die industriellen Ge­werbe übrigbleiben, find nicht weniger als 2907 Frauen.

Das Jahr 1913 ist ein Jahr der Krise, der wirtschaftlichen Er­schütterungen, der Arbeitslosigkeit gewesen. Noch jetzt ist dieses wirtschaftliche Erdbeben nicht ganz vorüber. Selbstverständlich ist die schlechte Konjunktur nicht spurlos an den Organisationen vor­übergegangen. Aber im allgemeinen haben die Gewerkschaftsver­bände dieses Krisenjahr weit besser überstanden als frühere Perioden wirtschaftlichen Niedergangs. Das geht aus dem R e che n- schaftsbericht der Generalfommission der Ge­wertschaften für 1913 und aus den Berichten der einzelnen Zentralverbände mit Deutlichkeit hervor. Ein Beweis für die fortschreitende innere Festigung der Gewerkschaften. Der Bericht läßt erkennen, daß das Jahr im großen ganzen den organisierten Arbeitern nur wenig gebracht hat. Ganz dürftig waren die Früchte der Sozialreform. Die Krise hatte die Frage der Arbeitslosen­unterstützung aus öffentlichen Mitteln in den Vordergrund ge­schoben. Es ist im Reichstag, in den Landtagen und Gemeindever­tretungen viel darüber diskutiert worden. An schönen Worten hat es nicht gefehlt, aber fast nirgends wurde ein Anlauf zur Tat ge­nommen. Nach wie vor sind die Ausgebeuteten in der Zeit der Arbeitslosigkeit vor allem auf Selbsthilfe angewiesen. Auf eine reichsgesetzliche Arbeitslosenversicherung ist in absehbarer Zeit nicht zu hoffen; die Regierung hat einen dahingehenden Antrag der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion durch eine ablehnende Erklärung sang- und langlos begraben. Einzelstaaten und Ge­meinden machen es nicht viel besser. Ganze vierzehn Gemeinden zahlen Unterstüßungen an Arbeitslose, meist in vollkommen un­zureichender Höhe. Wer wird sich noch groß wundern? Unsere hochwohlweisen Behörden haben anderes zu tun, als die Sozial­politik zu fördern. Müssen sie nicht die Gewerkschaften schita­nieren? Müssen sie nicht Auslegungen des liberalen" Vereins­gesetzes ergrübeln? Müssen sie nicht herauszuspionieren suchen, ob die Gewerkschaften sich mit politischen Angelegenheiten befassen? Müssen sie nicht die Jugend überwachen und in die bürgerlichen

Gewerkschaften geblieben, so gut wie allein die Not der Arbeits­losen zu lindern.

Trotz der schlechten Wirtschaftskonjunktur hat es im Berichts­jahr 1913 nicht an Lohnbewegungen gefehlt. Die Arbeiter des Bau, Holz- und Malergewerbes haben schöne Er folge zu verzeichnen. Es fanden nicht unerhebliche Lohn- und Tarifkämpfe in der Konfektion statt, in den Krefelder Färbereien, im Stettiner Hafen und anderwärts. Manche dieser Kämpfe brachten den Arbeitern wenigstens einen teilweisen Erfolg. Die proletarische Jugendbewegung hat sich auch in dieser ernsten Zeit kräftig entwickelt. Gehaßt von der bürgerlichen Selt, verfolgt von Behörden und Polizei, verklagt und verurteilt von den Gerichtshöfen, ist sie trotz alledem emporgewachsen, gleich einem jungen Baum, der in Sturm und Unwetter seine Stärke erprobt. Die Abonnentenzahl der Arbeiterjugend" stieg von 90 000 auf 103 000. Das will etwas heißen in einer Zeit der Krise! Agi­tationsschriften und Flugblätter wirkten weckend und aufklärend. So ist es vorwärts gegangen, auch trotz der bürgerlichen Jugend­bewegung, die von dem Staate so freigebig unterstützt und von dem Unternehmertum so liebevoll gehätschelt wird. Die inter­nationale Gewerkschaftsbewegung wurde gefördert durch die Ausgestaltung des Internationalen Sekretariats wie durch die Herausgabe einer Gewerkschaftskorrespondenz.

Von großer Bedeutung waren im vergangenen Jahre die Wahlen zu den Versicherungskörperschaften, insbesondere zu den Krankenkassen. Hierbei wurde die Kasse der General tommission in erheblichem Maße in Anspruch genommen. Vielfach zeigte sich das dringende Bedürfnis, an den Orten der Ober­versicherungsämter Arbeitersekretariate zu errichten. Die bereits bestehenden mußten erhalten werden. Auch dafür leistete die Kasse der Generalfommission Zuschüsse. Diese finanzielle Frage wird übrigens den im Juni dieses Jahres stattfindenden Gewerkschafts­fongreß noch lebhaft beschäftigen. Zahlreiche Anträge zu diesem Bunft liegen bereits vor.

Die Tagesordnung des Gewerkschaftstongresses ist nunmehr festgesetzt, und auch die Berichterstatter für die einzelnen Beratungsgegenstände sind bestimmt. Genosse Legien erstattet den Rechenschaftsbericht, Genossin Hanna wird über das Ar­beiterinnensekretariat referieren. Über die sozialpolitische Abtci­lung berichtet Genosse Schmidt, über das Generalarbeiter. sekretariat Genosse Wissel. Genosse Bauer behandelt die Volksfürsorge, Genosse Bre h- Hannover' bie Handhabung des Reichsvereinsgefeßes: Über Arbeitswilligenschutz und Unternehmer terrorismus spricht Genosse Schlice, über die Bestrebungen des Verbandes deutscher Arbeitsnachweise Genosse Neumann, über Arbeitslosenfürsorge Genosse Winnig, über den Einfluß der Lebensmittelteuerung auf die wirtschaftliche Lage der Arbeiter klasse Genosse Timm und über die gesetzliche Regelung der Tarifs verträge Genoffe Leipart.

In diesen Tagen hatte die Bergarbeiterbewegung einen bedcut famen Erinnerungstag. Vor 25 Jahren, im Mai des Jahres 1889, brach der gewaltige Kampf der Bergarbeiter aus. Aus dem Munde Wilhelms II. selbst erfuhren damals die zu dem Mon­archen entsandten Vertreter der Grubenproletarier, weffen sie sich bei ihrem Streben nach besseren Lebensbedingungen von seiten der herrschenden Gewalten zu versehen hätten. Der Kampf endete nicht mit einem vollen Siege. Auch spätere Bewegungen waren nicht immer von Erfolgen gekrönt. Das Grubenkapital ist start; seinen Winken und Wünschen folgt gehorsam die Regierung. Mas schinengewehre sind schon gegen die Knappen aufgefahren worden. Aber auch die verlorenen wirtschaftlichen Schlachten waren für fie nicht nuklos. Vor 25 Jahren wurden die Grubenarbeiter in einer Arbeitszeit von 10 und mehr Stunden ausgepreßt; jetzt ist diese wenigstens auf 81/2 bis 9 Stunden herabgedrückt worden. Vielfach haben sich die Arbeiter sanitäre Verbesserungen erftritten; für fie, die unter Tage" schaffen müssen, Errungenschaften von Hohent Werte. Noch heute ist die Behandlung der Arbeiter durch die über­mächtigen Bechenverwaltungen und ihre höheren Beamten von empörender Rücksichtslosigkeit und von erbitterndem Hochmut. Aber auch hier hat dant der Organisation eine leise Wandlung eingefekt. Nach einem mühevollen, an Verfolgungen reichen Leben hat in diesen Tagen der älteste und volkstümlichste Führer der Berg­arbeiterbewegung für immer die Augen geschlossen: Ludwig Schröder. 40 Jahre lang stand er in den vordersten Reihen der Bergarbeiter, längere Zeit war er der zweite Vorsitzende ihres Berbandes. In reichem Maße erfuhr er all die Leiden eines Führers im proletarischen Befreiungskampf. Als vor 25 Jahren die große Schlacht der Bergarbeiter begann, war Schröder als