Nr. 20

Die Gleichheit

Frauentags wird von der Konferenz festgesetzt. Die Tages­ordnung hat als ersten Punkt zu enthalten: Die Internationale Sozialistische Frauenbewegung und das allgemeine Frauen­wahlrecht. Den zweiten Punkt bestimmt jedes Land selbst, je nach der vorliegenden Situation und ihren Anforderungen.' Für den Verband Sozialistischer Frauen Finnlands : Miina Sillanpää , Vorsitzende.

Aura Kiiskinen, Schriftführerin.

Hilja Pärssinen.

Wir verweisen zu dem vorstehenden Vorschlag auf die ihm entgegenstehenden Gründe, wie sie kurz in der vorigen Nummer dargelegt worden sind, ausführlicher in Nr. 8 vom 8. Januar 1913 der Gleichheit". Die Redaktion.

Katharina Breschko- Breschkowskaja. Am 25. Januar dieses Jahres feierte die Pariser Sektion der sozialrevolutionären Partei Rußlands den 70. Geburtstag der Genossin Breschko- Breschkowskaja, der Großmutter der russischen Revolution", wie diese erprobte Kämpferin allgemein genannt wird. Zu diesem Feste hatten sich nicht nur die Ver­treter aller in Rußland wirkenden revolutionären Gruppen eingefunden, auch die gesamte sozialistische Internationale hul digte der Greisin, die ihren 70. Geburtstag im Gefängnis zu Irkutsk beging, wohin sie nach ihrer leider mißglückten Flucht aus der sibirischen Verbannung gebracht worden war. Es ist im allgemeinen bei den russischen Sozialdemokraten nicht Brauch, die Geburts- und Namenstage von revolutionären Stämpfern festlich zu begehen, mögen diese auch im dichtesten Stugelregen, auf dem verantwortlichsten Posten stehen. Die Sozialdemo­fratie lehnt ja den Personenkultus auf das entschiedenste ab, und Feste passen schlecht in den Rahmen der brutalen, blu­tigen russischen Wirklichkeit. Es mußte also ein triftiger Grund dafür vorhanden sein, daß die Sozialdemokratie von ihrer Regel abgewichen war, und daß sie sich überdies zu einer Feier mit der sozialrevolutionären Partei vereinigt hatte. Denn die russische Sozialdemokratie verwirft die Auffassung der sozial­revolutionären Partei von den treibenden Kräften der Revo­lution; sie lehnt deren Überzeugung über die Rolle der ein­zelnen Personen im geschichtlichen Entwicklungsprozeß ab; sie wendet sich mit aller Entschiedenheit gegen die Kampfmethoden jener Richtung. Was war es, das die Sozialdemokratie mit den Sozialrevolutionären zur Feier von Genossin Breschkows­fajas Geburtstag zusammenführte? Die Gewißheit, daß das Leben und Wirken von Katharina Breschkowskaja so innig mit dem revolutionären Kampfe der Massen in Rußland verknüpft ist, daß ihre Ehrung eine Huldigung vor der revolutionären Befreiungsidee selbst bedeutete.

Katharina Breschko- Breschkowskajas Jugend fiel in die Zeit der 70er und 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, in die Sturm- und Drangperiode der revolutionären Bewegung in Nußland. Es war die Zeit des ins Volk gehen", jenes wohl in der Geschichte der revolutionären Bewegungen aller Länder einzig dastehenden Kreuzzuges der Besten aus allen gesell­schaftlichen Schichten, um den Unterdrückten und Leidenden zu helfen. Im Vorwort zum Prozeß der 193" lesen wir darüber: Da waren halbwüchsige Buben und Mädchen, die die Schulbank verließen, Mädchen und Frauen aus aristokra­tischen Kreisen, Ingenieure, Friedensrichter, Studenten, reiche Gutsherren, Offiziere, die, vom allgemeinen Strom ergriffen, der Revolution ihre gesellschaftliche Stellung, Reichtum, Glanz und Ehren opferten und freiwillig sich dem unvermeidlichen sicheren Untergang weihten." Stepnjak, der diese Zeit selbst miterlebt hatte, schrieb in seinem Unterirdischen Rußland": Von irgendwoher war ein machtvoller Ruf erflungen an all die, deren Seele nicht tot war, das Vaterland und die Menschheit zu befreien. Und alle, deren Seele noch lebendig war, folgten diesem Rufe, erfüllt von Zorn und Schmerz über ihr bisheriges leeres und nutzloses Leben; sie verließen den heimatlichen Herd, Stellung, Reichtum und Familie und weihten sich der Bewegung mit jener Begeisterung, jenem heißen leiden­

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schaftlichen Glauben, der keine Hindernisse kennt, keine Opfer zählt, und für den Leid und sicheres Verderben nur ein bren­nender Antrieb zur Tätigkeit ist."

Die Bewegung war keine solche der arbeitenden Massen; die neun Zehntel der Gesamtbevölkerung Rußlands bildenden Bauern lebten im tiefsten geistigen Dunkel. Die revolutionäre Gärung war aus der geistigen Unzufriedenheit mit den herr­schenden Zuständen geboren, die die Gebildeten aller Gesell­schaftskreise ergriffen hatte, vom armen Dorfschreiber und hungernden Studenten bis hinauf zu den Söhnen und Töchtern des vornehmen Adels und der höchsten Würdenträger im Zarenreich. Der Krimkrieg hatte die fressenden Schäden am russischen Staatskörper mit blutiger Anschaulichkeit aufgedeckt. Er hatte die Käuflichkeit der Verwaltung gezeigt, die Unfähig­keit der Regierung und die Untauglichkeit des Heeres, das aus Leibeigenen bestand. Die Hoffnungen, die naiv gläubige Seelen auf den liberalen" Alexander II. gesezt hatten, waren gar bald an den rauhen Tatsachen der geheiligten" Rechte zerschellt, an denen der aufgeklärte Despot ebenso zäh fest­hielt wie sein stockfreaktionärer Vater. Die Epoche der großen Reformen", die mit so gewaltigem Tamtam eingeleitet worden war und mit Hilfe der Gesellschaft" durchgeführt werden sollte, war jämmerlich im absolutistischen Sande verlaufen. Ja selbst die Aufhebung der Leibeigenschaft hatte die Gemüter nicht beruhigt, sondern nur noch mehr in Aufruhr versetzt, denn es stellte sich bald heraus, daß sie die verzweifelte Lage des russischen Bauern nicht verbesserte. Die Abgaben, mit denen er seine Freiheit" erkaufen mußte, fesselten ihn nur fester an die Scholle und überlieferten ihn der schranken­losesten Ausbeutung durch Wucherer, große Gutsherren und räuberische Beamte.

Die blutige Niederwerfung des polnischen Aufstandes schärfte das Gewissen der Besten und rief selbst bei vielen Offizieren im Heere offene Empörung hervor. Scharfsinnige Denker und Kritifer wie Tschernyschewsky und Herzen geißelten die übel, die an ihrem Vaterland zehrten; geistvolle Schilderer des Volfslebens wie Pisemski, Dobroljubow und andere schürten den Zorn gegen das maßlose Elend, in dem die Bauern­massen rettungslos versunken schienen. Angeregt von den Ideen des westeuropäischen Sozialismus riefen die selbstlosesten und kühnsten Geister in Rußland zum Kampfe gegen die bestehende Drdnung. Die Gärung der Gemüter ergriff einen großen Teil des Zarenreichs. Selbst in offiziellen Schriftstücken, in denen sonst der Umfang revolutionärer Bewegungen gern verkleinert wird, mußte man feststellen, daß es, 1874 bis 1875 fast kein Gouvernement gab, das nicht sozialistische Zirkel und Stolonien aufwies, und in 36 Gouvernements waren deutliche Anzeichen revolutionärer sozialistischer Propaganda vorhanden."

Allein der Charakter dieser revolutionären Bewegung war nichts weniger als einheitlich und klar: es kreuzten und ver mischten sich in ihr die verschiedensten Strömungen und Ein­flüsse. Es gab Gruppen, die sich zu Bakunins Anarchismus bekannten und sich unmittelbar an die Bauern wandten, um diese zur Rebellion, zum" sofortigen" Umsturz zu rufen. Andere Revolutionäre suchten in Fabriken und Werkstätten zu bringen, um in langsamer Aufklärungsarbeit die Arbeiter für den sozia­ listischen Stampf zu gewinnen. Der Ruf der alten Internatio­ nalen Arbeiterassoziation war nicht ungehört verklungen, und der Flammenschein der Pariser Kommune hatte nicht vergeb­lich in Rußlands Nacht geleuchtet. Allerdings, es waren nicht mehr oder weniger geklärte sozialistische Ideen allein, die in der russischen revolutionären Bewegung jener Zeit um Aus­druck und Verwirklichung rangen. Anfangs spielte in den Kreisen der" Intelligenz", der Gebildeten, der sogenannte Nihilismus eine bedeutende Rolle. Allein obwohl er lange das Schreck­gespenst aller bürgerlichen Schlafmüßen war, auch in West­curopa, so blieb er doch im Grunde eine recht harmlose Er­scheinung. Wohl kämpfte der Nihilist der sechziger Jahre leiden­schaftlich gegen die herrschende Religion, Ehe und Moral, wohl trat er nachdrücklich für die Gleichberechtigung der Frau ein, für die Freiheit der Persönlichkeit. Respektlos lehnte er sich