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Die Gleichheit

die infolge schlechter Konjunktur länger als drei Wochen nur halbe Tage oder halbe Wochen arbeiten können und denen demzufolge Beitragsermäßigung gewährt ist, können die Tage des Aussezzens bei nachfolgender Arbeitslosigkeit, wenn sie nicht länger als vier Wochen zurückliegen, auf die Karenzwoche angerechnet werden.

Die vorstehend erwähnte Beitragsermäßigung ist ebenfalls eine Neuerung. Danach brauchen solche Mitglieder, die infolge schlechter Konjunktur länger als drei Wochen nur halbe Tage oder halbe Woche arbeiten können, bloß mindestens jede zweite Woche einen Beitrag entrichten. Beträgt dagegen die Arbeitseinschränkung weniger als die Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, so find die Beiträge voll zu zahlen. In ähnlicher Weise ist nun auch den Wünschen der Mitglieder Rechnung getragen worden, die durch Alter oder Halbinvalidität in ihrer Erwerbsfähigkeit dauernd erheblich beschränkt find. Diefen kann der Beitrag derart ermäßigt werden, daß fie bei Entrichtung von sechs Wochenbeiträgen im Viertel­jahr ihre vollen Mitgliedsrechte behalten. Zur Abstempelung der übrigen Wochenrubriken ist das Mitgliedsbuch spätestens am Schlusse jedes Vierteljahres vorzulegen. Bei Unterstügungsansprüchen kommt die Zahl der wirklich geleisteten Beiträge zur Anrechnung.

Zwei Änderungen des Statuts kommen besonders für die weib­lichen Mitglieder in Betracht. Danach können diese die ihnen zustehende Reiseunterstützung fünftig schon nach 26 Wochen Mitglied­schaft beziehen, bei Streiks und Maßregelungen aber steht ihnen die Unterstützung fogar ohne jede Wartezeit zu. Ihnen sind damit die gleichen Vorrechte eingeräumt worden, die jugendliche und solche Mitglieder genießen, die innerhalb der ersten vier Wochen nach be­endeter Lehrzeit dem Verband beitreten. Erwachsene männliche Mit­glieder können diese Unterstützungen erst beziehen, wenn sie 52 bezw. 26 Wochen Mitglied sind. Den Arbeiterinnen ist ferner auch bei Streits ein Mindestsatz von Unterstützung zugesichert worden ohne Rücksicht auf die Mitgliedschaftsdauer. Bei längerer Mitgliedschaft tritt natürlich bei dieser wie bei allen anderen Unterstützungen eine erhebliche Steigerung der Säge ein.

Weitere Beschlüsse des Verbandstags gelten rein verwaltungs­technischen Dingen. Unter den Anträgen allgemeiner Natur ist ein solcher besonders beachtenswert, der den Verbandsvorstand beauf­tragt, mehr als seither die Frage der Hygiene in den Fabriken und Werkstätten in den Vordergrund zu stellen, und empfiehlt, eine von Fachleuten zusammengestellte Darstellung über Hygiene in den Arbeitsräumen in Form einer Broschüre herauszugeben. Erläute­rungen über den gesundheitlichen Wert der Arbeitsräune follen be­sonders hervorgehoben werden. Für die ehrenamtlichen Funktionäre des Berbandes wurde die Errichtung einer Unfallunterstügungs­Tasse beschlossen. Sie soll diese selbst und ihre Familien für den Fall ficherstellen, falls die Funktionäre bei Ausübung ihrer Verbands tätigkeit irgendwie ernstlich körperlich zu schaden fommen. Die Ver­bandshauptkaffe leistet zu der Einrichtung einen Grundstock von 10000 Mt. und die Zahlstellen steuern jährlich 10 Pf. pro Mitglied bei. Aus dieser Kasse tamm Kranken- und Invalidenunterstützung sowie Witwengeld und für Ledige Sterbegeld gewährt werden.

Die vom Verbandstag regelmäßig vorzunehmenden Neuwahlen der Vorstandsmitglieder und Gauvorsteher brachten keine Verände­rung. Die Tagung flang trotz der manchmal lebhaften Auseinander­sehungen durchaus harmonisch aus. Die weiblichen Mitglieder waren wie bereits vor zwei Jahren durch die Bleistiftarbeiterin Ammon aus Nürnberg vertreten. Sie brachte einige Wünsche ihrer Berufs­genossen auf besondere statistische Behandlung vor, zollte aber im übrigen den Verbandsmaßnahmen volle Anerkennung. Der Verband ist innerlich gefestigt aus den Verhandlungen hervorgegangen. Die beschlossene Erweiterung seiner Leistungen wird zweifellos dazu bei­tragen, die Mitglieder stärker an ihn zu fesseln und sie selbst in ihrem ständigen Ringen um die Erhaltung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu fräftigen. Die materielle und moralische Rückenstärkung der zweimalhunderttausend Einzelnen im Verband und ihre Zusammenfassung zu einem einheitlichen Wollen werden auch in der Zukunft den Weg zum Aufstieg bahnen helfen.

Aus der Bewegung.

fk.

Von der Agitation. Einen ersten Versuch, unter den Landarbeite rinnen Dstelbiens durch besondere Frauenversammlungen auf­flärend zu wirken, stellt eine Agitationstour dar, die Genosjin Lawatsch Breslau im Striegauer Streise unternommen hat. Dort Lawatsch- Breslau hatte die Gauleitung des Landarbeiterverbandes Ende Mai solche Versammlungen veranstaltet. Sie wurden in den abgelegensten Dörfern abgehalten, wo ein Lokal zu bekommen war, und in Bris vatwohnungen, wo das nicht der Fall war, alle erfreuten sich eines

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sehr guten Besuchs. Die Pionierarbeit war nicht vergeblich, es wur­den mehr als 60 neue weibliche Mitglieder für den Landarbeiter­verband gewonnen, und die Versammlungen haben in größeren Kreisen weckend gewirkt und fruchtbare Anregungen zurückgelaffen. Es tut not, daß auch im schlesischen Kreis Striegau die hart aus­gebeuteten Landarbeiterinnen erwachen und sich zusammentun. Dieser Kreis ist das reine Junkerparadies, etwa 80 Pf. beträgt der Tagesverdienst für landwirtschaftliche Arbeiterinnen. Meist wird in Afford gearbeitet, und die Frauen erreichen dann einen Stunden­verdienst von 8 bis 10 Pf. bei rücksichtsloser Anspannung aller Kraft. Die Arbeitszeit dauert von 4% Uhr morgens bis 7 1hr abends und wird nur von ganz kurzen Pausen unterbrochen. Es handelt sich dabei um Saisonarbeit. Noch schlechter daran sind die im Jahres­Lohn tätigen Frauen und die Kinder. Die Kinderausbeutung steht im Kreise in schönster Blüte; für 30, höchstens 40 Pf. den Tag müssen die Kleinen schwere Arbeit verrichten. Fragebogen ergeben, daß im Bezirk Striegau und Jauer in der Landwirtschaft 610 Kinder beschäftigt wurden. Die Junter haben übrigens eine große Anzahl ausländischer Arbeitskräfte herangezogen, wahrscheinlich nur um ihre Vaterlandsliebe zu beweisen. Der gute Erfolg unserer Agitation ber­anlaßt den Landarbeiterverband, seine Versuche auch mit Frauen­versammlungen in anderen Gegenden Dstelbiens zu wiederholen. Berta Lawatsch.

In Oberschlesien fanden Mitte Mai acht Bersammlungen statt, in denen Genossin Wulff referierte. In diesem äußersten Winkel des Deutschen Reichs kämpfen die ertremsten Parteirichtungen um Ein­fluß und Macht, und nicht minder tut das die katholische Kirche . Neben Weltanschauungsfragen spielt die Nationalität eine große Rolle. Kein Wunder, wenn das arme, größtenteils ungebildete Volt in der Regel mir schwer klar darüber wird, wohin es eigentlich ge= hört. Trotzdem geht unsere Bewegung stetig vorwärts. Das bewiesen unsere Versammlungen. Ein Teil von ihnen fand unter freiem Himmel statt, denn Säle stehen uns in der Gegend nur sehr selten zur Verfügung, und die gemieteten, verhältnismäßig fleinen Räume reichen für solche Versammlungen bei weitem nicht aus. In Biel­ schowitz und Neudorf hatten wir 600 bis 700 Versammlungs­besucher, und in Miechowiz reichlich 800, darunter viele Frauen, die den Ausführungen der Genossin Wulff und des Genossen Löffler vom Bergarbeiterverband aufmerkfam folgten. Die Pfarrer hatten ihr möglichstes getan, um vom Bersammlungsbesuch abzuschrecken. Jn Bielschowiß und Neudorf hatte der Geistliche in der Kirche unser Flugblatt kritisiert, die Sozialdemokraten natürlich nach Gebühr schlecht gemacht und sogar nach Jagowschem Rezept- Neugierige gewarnt. Aber das half alles nichts, die Kirche hat das ausgebeutete Volf nicht immer noch am Gängelband. In Miechowitz hatte sich ein Kaplan mit einem Teile seiner Herde vor dem Zaune des Grund­stüds aufgepflanzt, auf dem die Versammlung stattfinden sollte. Den jungen Mädchen hatte er erklärt, daß es eine Schande sei, dorthin zu gehen. Der besorgte Seelenhirte mußte es aber erleben, daß sogar von seinen Getreuen sich ein Schäflein nach dem anderen in die Versammlung verirrte. Andere famen unmittelbar aus der Kirche mit dem Gebetbuch in der Hand zu uns. Nur der Herr Kaplan blieb trotz der an ihn gerichteten Einladung der Versammlung fern. Alle drei Veranstaltungen nahmen einen schönen Verlauf und brachten der Partei wie dem Bergarbeiterverband Mitglieder, der Freien Presse" Leser. Die Versammlungen in Königshütte und Beuthen waren gleichfalls gut besucht, während der Zuspruch in Kattowiz und Zabrze zu wünschen übrig ließ. In beiden Orten dürfte wohl die sogenannte separatistische Sonderbewegung der früheren P.P.S.­Anhänger noch ungünstig wirken. Doch auch dieser Einfluß wird überwunden werden. Trotz Pfaffen, Nationalpolen und Separatisten macht unsere Bewegung rüstige Fortschritte. Die letzte Versammlung war in Neustadt, das nicht mehr zum oberschlesischen Industrie­gebiet gehört, aber in mancher Beziehung ähnlichen Charakter hat, weil der Hauptteil der Bevölkerung ebenfalls katholisch ist. Hier gibt es jedoch keinen Nationalitätenstreit und daher auch feinen Separa­tismus, und es ist schon seit langem für unsere Jdeen gewirkt worden. Ein Stamm tüchtiger Genossinnen und Genossen ist in Neustadt tätig, und mehrere organisierte Frauen beteiligten sich lebhaft an der Dis fussion. Wir empfanden das als besonders erfreuliches Anzeichen, daß unsere Bewegung unter dem Proletariat der Stadt schon feste F. Wulff. Wurzeln geschlagen hat und gesund emporsproßt.

And den Organisationen. Für die weiblichen Parteimitglieder des siebten schleswig- Holsteinischen Reichstagswahlkreises wurde ein Vortragszytlus veranstaltet mit Genossin Baumann- Hamburg als Vortragender. Die einzelnen Vorträge behandelten: Die Ent­widlung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft; Ferdinand Lassalle und seine Zeit( Eisenacher und Lassalleaner, Die Einigung); Das Sozialistengeset; Die Gewerkschaftsbewegung; Die Frauen­