Nr. 20
Die Gleichheit
bewegung. Sie fanden statt in: Kiel , Dietrichsdorf , Neumünster und Rendsburg . Eintrittsgeld wurde nicht erhoben. Die Beteili gung war durchgehends eine gute. Mit sichtlichem Interesse wurde den Ausführungen der Vortragenden gefolgt, die das Thema zwar nicht erschöpfen konnten, jedoch die Geschichte, die Entwicklung der Arbeiterbewegung den Genossinnen näher gebracht haben. Möge der Zyklus recht vielen Frauen ein Ansporn sein zum weiteren Studium der Geschichte des proletarischen Befreiungslampjes.
Linchen Baumann. Jahresbericht der Genoffinnen des sechsten sächsischen Reichstagswahlkreises. Das letzte Geschäftsjahr stand unter dem Druck einer Wirtschaftsfrise, wie wir sie an Umfang seit langem nicht gehabt haben. Tausende und Abertausende, die sonst arbeiten und verdienen konnten, saßen arbeitslos zu Hause. Arbeitslosigkeit bedeutet aber für den Proletarier Not, denn die Arbeitskraft ist sein Kapital; fann er sie nicht verkaufen, ist er der Not, dem Elend ausgeliefert. Und die Not hat denn auch vornehmlich im verflossenen Winter bei vielen Familien Gastrecht verlangt. Doch auch die Arbeitslosigkeit hat uns in die Hände gearbeitet, auch die Not hat sich mit uns gegen die Besitzenden verbündet. Not lehrt beten, sagt ein Sprichwort; richtiger aber ist es, wenn man sagt: Not lehrt tämpfen. Sie bringt den Menschen zu der Einsicht, daß der Kampf gegen die kapitalistische Produktionsweise aufgenommen werden muß. Sie lenkt auf den Weg zur Organisation, führt den einzelnen zu seinen Klassengenossen und läßt ihn zu einem überzeugten Kämpfer für den Sozialismus werden.
Die Frauen find es, die in erster Linie unter der Arbeitslosigkeit zu leiden haben. Und darum müssen auch die Frauen über deren wahre Ursachen aufgellärt werden, damit auch sie in den Organifationen mittämpfen, den Drachen Kapitalismus zu töten. Jm sechsten sächsischen Reichstagswahlfreis ist die Zahl der Frauen im ununterbrochenen Wachsen begriffen, die von der Notwendigkeit des politischen Stampfes überzeugt sind. Wir haben einen Zuwachs an weiblichen Mitgliedern von 928, so daß ihre Zahl von 2610 auf 3538 sich erhöht hat.
Es hat an fleißiger Berbearbeit nicht gefehlt. Elf Bezirke hatten sich in diesem Jahre wieder zu planmäßiger Hausagitation entschlossen, die viele Proletarierinnen für uns gewonnen hat. Es steht fest, daß diese Art der Agitation die erfolgreichste ist, und es müssen daher Mittel und Wege gefunden werden, um die Hausagitation unter den Frauen in den übrigen Bezirken des sechsten Kreises ebenfalls durchzuführen. Aber auch auf dem Gebiet der öffentlichen Agitation haben wir es im verflossenen Geschäftsjahr nicht fehlen laffen. Die Genofsinnen Röhl- Neukölln, Harder Bremen und Se= linger- Berlin hielten insgesamt 29 Versammlungen ab, die sehr gut besucht waren und Mitglieder für die Partei gewannen. Der diesjährige Frauentag gestaltete sich zu einer wuchtigen Kundgebung. Ju drei fehr gut besuchten Versammlungen haben die Frauen davon Zeugnis abgelegt, daß sie wach geworden sind und immer nachdrücklicher nach dem politischen Wahlrecht verlangen. In den drei Demonstrationsversammlungen herrschte wahre Begeisterung, und der Drganisation traten eine große Anzahl Frauen als Mitglieder bei. Wir wollen aber nicht nur an Zahl vorwärtsschreiten, sondern auch das politische Denken unserer weiblichen Mitglieder vertiefen. Die Frauen sind die Erzieher unserer Kinder, um die alle Realtionäre jetzt so eifrig bemüht sind. Unsere Kinder aber sollen an dem Wert der Befreiung der Menschheit weiterarbeiten. Darum ist es dringend nötig, daß die Frauen immer flareren Einblick in den Sozialismus erhalten, und daß die Drganisationen die Bildung der Frauen als eine wertvolle Aufgabe betrachten. Zur Weiterbildung der Frauen sollen in erster Linie die Diskussionsabende beitragen. Im Verlauf des Geschäftsjahres fanden in 16 von den 21 Bezirten unseres Kreises 160 Diskussionsabende statt. Jn 52 wurden Vorträge gehalten, 26 wurden durch Vorlesungen ausgefüllt, und in 25 fanden gestellte Fragen Beantwortung. Die höchste Besucherinnenzahl war 112, die niedrigste 12, die Durchschnittszahl schwankt zwischen 28 und 60 in den einzelnen Bezirken. Es fanden ferner 10 Wanderabende und 8 Unterhaltungsabende statt, die alle guten Besuch und guten Verlauf hatten. Um Genossinnen zu guten Leiterinnen für Diskussionsabende und Versammlungen heranzubilden, wurde zu Anfang des neuen Geschäftsjahres ein Fortbildungskursus abgehalten, der 25 regelmäßige Teilnehmerinnen aufwies. Die Kreisleitung hatte dafür sämtliches Material, wie Broschüren, Bücher, Schreibmaterial usw. tostenlos zur Verfügung gestellt, Lehrerin war mit gutem Erfolg Genossin Gradnauer. Es sind bereits mehrere Genossinnen geschult worden, die einen Vortragsstoff für einen Diskussionsabend meistern. An dem allge= meinen Kursus für den sechsten Kreis beteiligten sich auf Beschluß des Kreisvorstandes 7 Genojjinnen, ebenfalls mit gutem Erfolg!
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Das, was die Genossinnen in den Kursen gelernt haben, wenden sie in den Diskussionsabenden des Kreises nugbringend an. Wir werden mit der Zeit einige Leiterinnen und Referentinnen für alle Diskussionsabende stellen können. Sehr gute Dienste leisten den Genossinnen bei dieser Arbeit die Broschüren, die im letzten Jahre sehr reichlich von der Kreisleitung angeschafft und teils fostenlos, teils zum Selbstkostenpreis abgegeben wurden. Wir nennen davon: Klara Weyl :„ Die Gemeindepolitik und die Frauen"; Käte Duncker :„ Die sozialistische Erziehung im Hause"; Luise Zietz :„ Gewinnung und Schulung der Frauen zur politischen Betätigung"; Adolf Braun : Gleiches Recht für die Frauen". Wie man sieht, ist die Kreisleitung in anerkennenswerter Weise bemüht, die Frauenbewegung zu fördern. Nicht minder tun die Genosfinnen in unermüdlich geleisteter Kleinarbeit, an der fich erfreulicherweise immer mehr und mehr Genofs finnen beteiligen, ihre Schuldigkeit. Dankbar sei aller derer gedacht, die mit uns in Reih' und Glied gearbeitet und gefämpft haben: in den Verwaltungen der Bezirke, in der Kinderschußkommission, bei der Hausagitation, beim Flugblattverbreiten usw. Hoffen wir, daß alle Genossinnen von den erreichten Erfolgen angespornt werden, ihre ganze Kraft in den Dienst der Bewegung zu stellen. Geschieht das, dann kommen wir sicher auch im neuen Jahre ein gut Stück dem Ziele näher, das wir uns gesteckt haben. Hedwig Kurt.
Politische Rundschau.
Das Verhalten der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion während des Kaiserhochs, das Sitzenbleiben, bewegt immer noch die Loyalen Gemüter der bürgerlichen Parteien. Es hat den Vorwand gegeben zu einem regelrechten Feldzug gegen die Unverleglichkeit und Redefreiheit der Abgeordneten. Führer bei diesem Angriff sind die Konservativen. Ihren Spuren folgen willig das Zentrum und die Nationalliberalen. Die Krenzzeitung" hat einen Artikel gebracht mit der vielsagenden überschrift:„ Der Kaiser hat sein Recht verloren"; darinnen wird bereits ein Straffoder für unbotmäßige Abgeordnete entworfen. Wer beim Schluß des Reichstags nicht mit Kehle und Sitzfleisch der Monarchie seine Hochachtung erweist, dem soll es an den Stragen gehen. Der Oberstaatsanwalt soll gegen den Missetäter einschreiten. Abgeordnete, die sich an einem Tag oder während einer Session mehrfach Drdnungsrufe zuziehen, sollen ebenfalls daran glauben müssen; als mildeste Strafe ist für fie Entziehung des Wortes für die Dauer der Session vorgesehen. Hilft das nicht, so soll der Ausschluß von einer Reihe von Sigungen erfolgen und bei noch hartnäckigeren, ganz unbußfertigen Sündern schließlich der Ausschluß von allen Sigungen. Die Zentrumspresse erhebt die Forderung, daß der Reichstag durch ein Gesetz oder durch Anderung der Geschäftsordnung, derartige öffentliche antimonarchische Kundgebungen" verhindere. Die offizielle Korrespondenz der nationalliberalen Partei haut in dieselbe Kerbe. Der altersschwache und zahnlose Freisinn schließlich stammelt etwas vom„ Tatt", den die sozialdemokratische Reichstagsfraktion vermissen lasse. Eine tolle Verdrehung. Mit Recht ist von sozialdemokratischer Seite darauf hingewiesen worden, daß es umgekehrt eine grobe Tattlosigkeit der bürgerlichen Parteien sei, öffentlich im Reichstag eine Ehrung des Kaisers vorzunehmen, ohne die geringste Rücksicht auf die große republikanische Fraktion der Sozialdemokratie. Was übrigens in der freisinnigen Sprache„ Tatt" heißt, nennt sich auf gut Deutsch Rückgratlosigkeit. Für uns ist es von symptomatischer Bedeutung, daß aus einer solchen Bagatelle, wie die Formalitäten des Reichstagsschlusses, von Regierung und bürgerlichen Parteien eine Staatsattion gemacht wird. Der Umstand ist uns ein sicherer Gradmesser für die Höhe der politischen Spannung in Deutschland und vor allem für die Nervosität der bürgerlichen Selassen. Will die bürgerliche Mehrheit des Babern- Reichstags fich zu dem gewünschten Lakaiendienst hergeben und das Parlament noch tiefer in den Schlamm der Reaktion hinabziehen: nur zu! Die Herren mögen sich dabei aber darauf gefaßt machen, daß das deutsche Proletariat am Ende auch lernen wird, russisch zu reden, wenn der Reichstag in eine russische Duma verwandelt werden sollte.
Es scheint beinahe, als wollten die herrschenden Klassen erproben, ob die Geduld der deutschen Arbeiter wirklich unerschöpflich ist. Eine Herausforderung folgt der andern. Nun wieder das Schredensurteil gegen die Charlottenburger„ Denkmalsschänder"! Fünfeinhalb Jahre Gefängnis sind insgesamt den jungen Leuten aufgebrummt worden, die das Verbrechen begangen hatten, sich für die Anbringung roter Farbe den Marmor eines Hohenzollernstandbildes auszuwählen. Eine unerhörte Ahndung eines törichten und an sich harmlosen Streiches! Die Erklärung dafür liegt auf der Hand. Nicht die Tat, sondern die Gesinnung" sollte getroffen werden. Der Gerichtshof entblödete sich nicht, die verheyende" Agi