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Die Gleichheit
tation der Sozialdemokratie für die Denkmalsschändung" verant wortlich zu machen. In diese be Reihe dreister Herausforderungen gehört die Umfrage der preußischen Regierung bei den obersten Behörden der Regierungsbezirke, ob die bestehenden Geseze über den Schutz, arbeitswilliger Elemente" ausreichend seien. Es gehört dazu die lächerliche Schifanierung des Arbeitersängerfestes in Breslau durch das gesamte Aufgebot der Polizei zu Fuß und zu Pferd. Es gehört dazu die von der sächsischen Regierung vorbereitete Verordnung, die die Streikposten der absoluten Willkür der Polizei überantwortet. In der„ Gewerkschaftlichen Rundschau" ist sie eingehend gewürdigt. Es gehört dazu die Aufhebung der Stuttgarter Jugendorganisation durch die Kreisregierung des württembergischen Neckarkreises. Der junkerliche Norden und der demokratische Süden reichen sich die Hände zum Kesseltreiben gegen das Proletariat. Die sozialdemokratische Arbeiterschaft Deutsch lands verfolgt mit wachem Auge all diese Bewegungen ihres Feindes, der gegen sie geeinten bürgerlichen Gesellschaft. Das kam in der Stimmung und Diskussion auf der Generalversammlung des Verbandes der Sozialdemokratischen Wahlvereine für Groß- Berlin zum Ausdruck. Fast einstimmig wurde dort eine von Genossin Luxemburg beantragte Resolution angenommen, die eine verstärkte Propaganda für den Massenstreik fordert.
Der preußische Landtag hat nach der Pfingstpause am 9. Juni seine Arbeit wieder aufgenommen. Die Besoldungsvorlage gelangte nach den Wünschen der Regierung zur Annahme, obwohl die bürgerlichen Parteien sämtlich zugestehen mußten, daß die Bestimmungen dieser Vorlage völlig ungenügend sind. Dann begann die Beratung des Fideitommißgeseges. Das Herrenhaus hatte im Gegensatz zur Regierungsvorlage Anordnungen eingefügt, die die Bildung großer Fideikommisse erleichtern sollen, ganz nach den Wünschen der ostelbischen Herrentaste. Die Regierung beugte sich willig den Wünschen der Magnaten. Nach solchen Heldentaten bedarf der Landtag der Erholung; er soll auf den Herbst vertagt werden. Im bayrischen Landtag wurde die von der Ersten Kammer, dem Reichsrat, abgelehnte Regierungsvorlage über eine ArbeitsLosenversicherung erneut beraten. Die sozialdemokratische Fral tion benutte die Gelegenheit zu einer Generalabrechnung mit der Ersten Kammer überhaupt. Die Kritik des Genossen Timm an der mittelalterlichen Institution war von herzerfrischender Schärfe. Sie spitzte sich zu der Erklärung zu, daß der Reichsrat wert sei, zugrunde zu gehen. Fast einstimmig lehnte die Zweite Stammer den Beschluß des Reichsrats ab, 75000 Mart für Zwede allgemeiner Arbeitslosenfürsorge statt für die Arbeitslosenversicherung zu verwenden. Die Arbeitslosen gehen also leer aus. Die sozialdemokratische Presse hatte den Reichsrat wegen der Ablehnung der Arbeitslosenversicherung gebührend gestäupt. Jezt antwortet ihr dieser, indem er den Straf richter auf sie losläßt die einzige Antwort, die dem Wesen der würdigen Körperschaft entspricht.
Am 30. Mai fand in Basel die zweite Verständigungskonferenz zwischen deutschen und französischen Parlamentariern statt. Die erste hatte bekanntlich im Vorjahr in Bern getagt. Während im Vorjahr das französische, war diesmal das deutsche Reichsparlament stärker vertreten. Auf deutscher Seite nahmen außer den Vertretern der Sozialdemokratie Abgeordnete des Freisinns, der Nationalliberalen und des Zentrums an der Beratung teil. Das Resultat der Konferenz war eine Resolution, die" planmäßige Aktion zu dauernder Annäherung der beiden Nationen" verlangt. Zu diesem Zweck soll zunächst ein deutsch - französischer Nachrichtenaustausch organisiert werden, der bestimmt ist, der chauvinistischen Heßpresse auf beiden Seiten entgegenzuwirken. Ferner sollen in Zukunft Plenarversammlungen der auf dem Boden der Berner Konferenz stehenden Parlamentarier in Deutschland und Frankreich selbst stattfinden. Dieses magere Resultat ist von der liberalen Presse kritiklos aufgebauscht und als eine Tat gefeiert worden. Die wirkliche Kraft, die für den Frieden wirkt, ist lediglich das internationale Proletariat. Glaubt man im Ernst, daß der sozialistischen Propaganda gegen den Imperialismus und für den Weltfrieden eine starke reale Macht zuwachsen wird, wenn hartgesottene Imperialisten, wie die Erzberger, die Bassermann, Naumann, Haußmann, mit den Friedenspalmen fächeln? Die Herren sind unsichere Kantonisten. Man dente nur daran, daß zum Beispiel einer dieser bürgerlichen Friedensengel, der Franzose Léon Bourgeois , soeben als Mitglied des reaktionären Ministeriums Ribot und als strammer Anhänger des Dreijahresgeseges gestürzt ist.
In Frankreich trat die neue Kammer am 1. Juni zusammen. Die weltpolitischen Gegensäge, die in Frankreich zur Einführung der dreijährigen Dienstzeit führten, sind die treibende Kraft der schweren inneren Erschütterungen, die dieses Land gegenwärtig durchmacht. Der Präsident Poincaré trachtet danach, das Dreijahresgesetz gegen die Mehrheit der Stammer durchzudrücken. Anfangs machte er den Ver
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such, unter Heranziehung einiger linksradifaler Gegner des Dreijahresgesetzes ein Mischmaschministerium Viviani zu bilden, das die verlängerte Dienstzeit aufrechterhalten sollte. Angesichts des Ausfalls der legten Kammerwahlen eine Provokation des Parlaments, die nur Erfolg haben konnte, wenn ein Teil der Radikalen umfiel. Dieser Versuch mißglückte. Darauf übertrug der Präsident dem ausgesprochenen Reaktionär Ribot die Bildung eines Ministeriums, das gegen die bürgerlich- radikale und sozialistische Mehrheit der Kammer regieren und sich auf die gemäßigte und reaktionäre Minderheit stützen sollte. Ein Streich, der gegen den Parlamentarismus selbst gerichtet war. Die Herrlichkeit des Kabinetts Ribot war von fürzester Dauer: am ersten Tage seiner Existenz wurde es durch eine erhebliche Mehrheit der Kammer gestürzt. Jest soll der Kautschukmann Viviani zum zweitenmal die Situation retten. Was bevorsteht, ist der Kampf zwischen dem persönlichen Regiment des Präsidenten und der Kammermehrheit. Das parlamentarische Regierungssystem selbst steht auf dem Spiel. Den Ausgang dieses Kampfes werden aber nicht die parlamentarischen Gruppierungen allein entscheiden, sons dern legten Endes die gesamten Machtverhältnisse der Klassen und vor allem auch die weltpolitische Situation. Die russische Regierung legt sich ganz offen für den französischen Präsidenten ins Zeug, für seinen Widerstand gegen die Herabsetzung der dreijährigen Diensts zeit. Sie unterstützt dadurch zugleich sein persönliches Regiment und die imperialistischen Interessen des französisch- russischen Bündnisses. Am 4. Juni hat in England eine Konferenz der Vertreter der Organisationen der Bergleute, der Eisenbahner und der Transport arbeiter den Zusammenschluß dieser drei Verbände beschlossen. Diese Entscheidung wird einem nationalen Kongreß der drei Drgas nisat onen zur endgültigen Festlegung unterbreitet werden. Sie ist von tief einschneidender Bedeutung für die gesamte wirtschaftliche und politische Entwicklung Englands.
Die Sozialdemokratie in Belgien fordert auf Grund der Wahlergebnisse die sofortige Inangriffnahme der Wahlreform. Die Neuwahlen haben zwar in der Kammer noch eine klerikale Mehrheit bestehen lassen, allein für die Oppositionsparteien( Sozialdemokraten, Liberale, christliche Demokraten) eine Mehrheit der Wähler ergeben. In Dänemark ist die Wahlrechtsreform durch die Obstruktion der konservativen Partei noch hinausgeschoben worden. Eine Mehrheit, bestehend aus den Sozialdemokraten und den bürgerlichen Radikalen, ist für die Wahlrechtsreform, die bekanntlich auch die Einführung des politischen Frauenwahlrechts in sich begreift.
Die mörderische Unterdrückungspolitik der Arbeiterbewegung in Italien hat zu einem Generalstreit über das ganze Land geführt. Am 7. Juni fand in Ankona eine große Volksdemonstration gegen den Wehrbeitrag statt. Der Präfekt der Stadt rief nach bewaffneter Macht. Karabinieri rückten an und schossen auf die friedlichen Volksmassen. Zwei Tode und 15 Verwundete fielen. Die Arbeiterschaft von Antona beschloß sofort den Proteststreik. Die Empörung über die Bluttaten ergriff die Arbeiterschaft ganz Italiens . Die sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften proflamierten zu Mitternacht vom 8. auf 9. den Generalstreit über das ganze Land. Die Weisung wurde befolgt. In Rom , Florenz , Turin und anderen Städten ließ die Regierung auf das Volk schießen. Der Proteststreik wurde am 10. Juni abgebrochen. Der Präfekt von Antona ist von der Regierung seines Amtes entsegt und vor ein Disziplinargericht gestellt worden, weil er unberechtigterweise das Militär gegen Zivilisten requiriert habe. In Rußland streiften am 1. Juni 50000 Petersburger Arbeiter zum Protest gegen die Verhandlung des Prozesses, den die Regierung gegen die Ausständigen der Obuchowwerke veranstaltet hat. Dieser Prozeß richtet sich unmittelbar gegen das Streifrecht der Arbeiter; der Ausstand soll fünftig unter Strafe gestellt werden. Fürst Wilhelm von Albanien ist noch einmal seiner tödlichen Verlegenheit entrissen worden, die Großmächte haben ihm ein Taschengeld von anderthalb Millionen bewilligt. Nun sündigt der wieder tampflustig gewordene Held die gewaltsame Niederwerfung der„ Empörung" seiner lieben Untertanen an. Die Aufständischen rückten mit vereinten Kräften zum Sturm auf Durazzo vor. Nur mit großer Mühe vermag sich der Fürst noch in der arg bedrängten Hauptstadt zu halten.
Die Ausweisung zahlreicher Griechen aus der Türkei hat die Spannung zwischen den Regierungen beider Länder verschärft. Die A. Th. Kriegsgewitterluft hält auf dem Balkan an.
Gewerkschaftliche Rundschau.
An allen Ecken und Enden setzt eine verschärfte Hetze gegen die Gewerkschaften ein. Dabei zeigt sich immer mehr die Absicht der herrschenden Gewalten, ohne Ausnahmegeseze die klassenbewußte Arbeiterschaft niederzubütteln. Die Auslegung und Ausdeute