Nr. 20
Die Gleichheit
Die vom Deutschen Tertilarbeiterverband angegebene Zahl der im Hauptberuf tätigen Frauen mit 8,2 Millionen und die Zahl der Verheirateten mit 2,8 Millionen sei irreführend, denn in diesen Zahlen seien die selbständigen und hausgewerbetreibenden Frauen mit enthalten, und hiervon fielen allein 4,6 Millionen auf die Landwirtschaft. Die Zahl der Arbeiterinnen in der Industrie habe 1907 1,4 Millionen betragen. Daß 300 Betriebe mit ungefähr 70000 Arbeitern den Arbeitsschluß an Sonnabenden zwischen 12 und 2 Uhr festgesetzt hätten, tönne nicht nachgeprüft werden, da Unterlagen hierfür nicht vorhanden seien; es sei das aber auch belanglos gegenüber 856000 in der Textilindustrie beschäftigten Arbeitern. Die Einschränkung der Arbeitszeit durch die letzte Gewerbeordnungsnovelle habe der deutschen Textilindustrie außerordentliche Lasten gebracht; nachdem weite Streise der Textilindustrie von einer schweren Strise heimgesucht seien, sei eine weitere Berkürzung der Arbeitszeit für die Arbeiterinnen undurchführbar und könne auch den Arbeitern nicht gewährt werden.
Die Kommission beschloß dementsprechend und beantragt daher: Die Petition dem Herrn Reichskanzler zur Kenntnisnahme zu überweisen.
Große und fleine Scharfmacher find also geschlossen Sturm ge= Taufen gegen jede Verkürzung der Arbeitszeit. In den ersten Reihen stehen ausgerechnet die Kapitalisten der Branchen und der Orte, wo noch die allerschlechtesten Arbeitsverhältnisse herrschen, wo die niedrigsten Löhne gezahlt werden. Wir finden da die Arbeitgeber aus den Färbereien, Appreturen und Bleichereien, die Textilherren aus der Oberlausit, aus Zittau , Löbau und Reichenau , Drte, die wegen so niedriger Löhne berüchtigt sind, daß sie zum Teil die sprichwörtlichen„ schlesischen Hungerlöhne" noch unterbieten. Die kapitalistischen Protestler bezeichnen die Zahlen der Petition als irreführend. Dort sind aber außer den allgemeinen Zahlen auch die für die reine Industrie angeführt sowie auch die entsprechenden Ziffern für die Textilindustrie im besonderen. In der Petition heißt es:" In der eigentlichen Industrie, ausschließlich Handel und Verkehr, wurden im Jahre 1907 278387 verheiratete Frauen innerhalb der Betriebswerkstätten beschäftigt. Ganz besonders stark ist die Verwendung verheirateter Frauen in der Textilindustrie. Während im Jahre 1882 50085 verheiratete Frauen beschäftigt wurden, waren es 1895 schon 88652 und 1907 war die Zahl auf 113915 gestiegen." Dazu müssen noch viele tausend verheiratet gewesener Arbeiterinnen gerechnet werden, Witwen und geschiedene Ehefrauen. Also mit der Zahlenforrektur der Herren Unternehmer ist es nichts. Weil der Reichstag geschlossen und nicht, wie vielfach, vertagt wurde, kommt die Petition im Plemum nicht zur Verhandlung. Es wird sich aber bei den kommenden Beratungen im Parlament für die Sozialdemokraten Gelegenheit finden, darauf zurückzugreifen. Wie schon oft, so haben sich die meisten bürgerlichen Parlamentarier in der Petition kommission auch in diesem Falle als Sachwalter der Unternehmerinteressen gefühlt.
Die nächste Betriebszählung wird ein weiteres starkes Anschwellen der Frauenarbeit nachweisen und damit auch eine Zunahme der berheirateten Arbeiterinnen. Damit geht für hunderttausende Arbeiterfamilien die Berrüttung des Familienlebens einher, die Untergrabung der Gesundheit der Mutter, die Vernichtung ihrer Stillfähigkeit und Stillmöglichkeit sowie höhere Säuglingssterblichfeit. Die tapitalistischen Senochenmühlen mahlen schnell. Wir werden mit unserer Forderung wiederkommen und die Agitation dafür auf eine brekere Basis stellen. Nicht nur 215000 Unterschriften wollen wir aufbringen, sondern die doppelte und dreifache Zahl. Inzwischen wollen wir unser Bestes tun, um von der Bedeutung unserer For derung auch die zu überzeugen, die ihr heute noch gleichgültig gegenüberstehen. Spannen wir alle unsere Kräfte an, um unsere Berufsorganisation zu stärken. Es ist Pflicht aller organisierten Textilarbeiterinnen, aller Genossinnen, tatkräftig mitzuwirken. In dem Kampfe für den gesetzlich festgelegten freien Sonnabendnachmittag müssen die Frauen und Mädchen an der Spitze marschieren. sk. Der Achtstundentag für Arbeiterinnen in Kolumbia soll durch ein Bundesgesetz vom 24. Februar dieses Jahres eingeführt werden. Das Gesetz legt den Achtstundentag und die 48stündige Arbeitswoche für Arbeiterinnen und weibliche Angestellte aller Art fest, die in industriellen, gewerblichen und kaufmännischen Unternehmungen wie im Verkehrs- und Transportdienst beschäftigt sind, so daß es auch für Wäschereien, Hotels, für den Post-, Telegraphen und Telephonbetrieb gilt. Für weibliche Personen unter 18 Jahren verbietet es stritte jede Nachtarbeit zwischen 6 Uhr abends und 7 Uhr morgens. Jeder Betrieb muß eine Liste über alle Arbeiterinnen führen, die er beschäftigt, die tägliche Arbeitszeit und die Löhne find darin angegeben. Drei Inspektoren, darunter zwei weibliche,
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sollen die Durchführung des Gesetzes überwachen und erhalten zu diesem Zwecke weitgehende Befugnisse den Unternehmern gegenüber. Die Übertretung des Gesetzes wird mit Geldstrafen geahndet, die im Wiederholungsfall rasch steigen.
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.
Drei Frauenlandeskonferenzen in Oesterreich haben in letzter Zeit stattgefunden. Alle drei Konferenzen standen noch im Zeichen der schweren Wirtschaftskrise, die infolge des Balfankrieges Österreich heimgesucht. Sogar in den Alpenländern, wo die weibliche Arbeit in der Industrie feine hervorragende Rolle spielt, sind die Frauenorganisationen in Mitleidenschaft gezogen worden, weil die Arbeitslosigkeit der Männer es den Frauen selbstverständlich schwer macht, Beiträge zu bezahlen. Wenn trotzdem der Mitgliederstand nur wenig gesunken ist, so ist dies der unermüdlichen Arbeit der Genossinnen zu danken. In Vorarlberg fand die Frauenkonferenz am 3. Mai, in Tirol am 8. Mai statt. An beiden Konferenzen nahm Genossin Prost vom Frauenreichskomitee teil, um den Genossinnen Anregungen zu geben und ihren Mut anzufeuern. Am Pfingstsonntag tagte die Frauenlandeskonferenz für Mähren im Hirnberger Ar beiterheim . Während wir in Tirol und Vorarlberg weniger mit Industriearbeiterinnen für die Drganisation zu rechnen haben von einigen Städten abgesehen, wo die Textilindustrie vorherrscht-, sind es in Mähren fast ausschließlich Fabrikarbeiterinnen, die der politischen Frauenorganisation angehören. Tabatarbeiterinnen und Textilarbeiterinnen sind hier seit vielen Jahren Anhängerinnen der sozialdemokratischen Partei. 1300 gehören gegenwärtig unserer Frauenorganisation an. Neben erfahrenen, in langen Jahren erprobten Kämpferinnen sind es junge Mädchen, die mit Begeisterung für die Ziele der Sozialdemokratie arbeiten. Über alle Schwierigkeiten und über alles Elend siegt immer wieder die Zuversicht auf den endlichen Sieg. Furchtbar hat in einigen Orten Mährens die Serise gewütet. Von 40 und 70 Mitgliedern sind nur 3 respektive 8 erhalten geblieben. Wenn der Hunger quält, wenn kein Brot mehr da ist, wenn der Wanderstab ergriffen werden muß, dann versagt auch große Begeisterung. Aber die einmal vom Sozialismus ergriffenen Proletarierinnen kehren zu uns zurück, wenn es in ihrem Dasein wieder Licht wird. Die Frauenkonferenz verfolgte vor allem den Zweck, den Mut der Genossinnen zu beleben, ihr Selbstvertrauen zu stärken. Und dieser Zweck ist erreicht worden. Es wurden Referate erstattet über„ Unsere nächsten Aufgaben", über„ Die Stellung der Frau im österreichischen Recht" und über„ Die wirtschaftliche Bedeutung politischer Rechte". Auch auf den Konferenzen zeigte es sich, welch großes Interesse die Genossinnen überall der Internationalen Frauenkonferenz entgegenbringen.
a. p.
Von der Entwicklung und Tätigkeit des Verbandes der sozialdemokratischen Frauenklubs in Holland geben der Jahresbericht und die Konferenz dieser Organisation ein erfreuliches Bild. Im April des laufenden Jahres waren dem Verband 30 Klubs angeschlossen, dazu noch einige Agitationskommissionen. Die Gründung solcher Kommissionen wird von dem Verband für Orte befürwortet, wo noch nicht genügend Kräfte für einen sozialdemokratischen Frauenklub vorhanden sind. Die Agitation der Klubs stand letztes Jahr im Zeichen der Parlamentswahlen. Die politische Schulung der Genossinnen wurde im Hinblick darauf in den Vordergrund gerückt. Der Verband und sein Organ, die„ Proletarische Brouw", stellten zu diesem Zwecke den Klubs Material zu, mit dem Erfolg, daß die Mitglieder bei den Wahlen gute Arbeit geleistet haben. Die Klubs ersuchten die Parteiorganisationen, denen sie angehören, öffentliche Frauenversammlungen abzuhalten, in denen die Parlamentswahlen im Zusammenhang mit der Forderung des politischen und kommunalen Wahlrechts für das weibliche Geschlecht behandelt werden sollten. Die sozialdemokratischen Organisationen haben fast alle diesem Wunsche entsprochen. Viele öffentliche Frauenversammlungen sind abgehalten worden. Flugblätter, die der Verband herausgab, wurden in 120000 Exemplaren verbreitet. Die„ Proletarische Vrouw" erschien während dieser Kampagne in einer Auflage von 20000 statt von 6500, fie tat bei der Hausagitation gute Dienste. Kurz, alles geschah, um unsere Forderung vor die breiteste Öffentlichkeit zu tragen: Gewährung des allgemeinen Frauenwahlrechts durch die neue Verfassung. Auch nach der Wahl wurde die Agitation dafür kräftig weiterbetrieben. Der Verband stellte den Klubs fortlaufend Material über den Stand der Frauenwahlrechtsfrage zur Verfügung, ebenso Material über politische und wirtschaftliche Tagesfragen. So zum Beispiel über die sozialen Versicherungsgefeßentwürfe der Regierung, über Mutterschaftsfürsorge, Frauenarbeit, Frauenbewegung im Ausland, Kinderschutz, Wohnungsfrage, gesetzlichen Arbeiterschutz usw. An Hand dieses Materials erörterten die Klubs in ihren Mitglieder