326

Die Gleichheit

Nr. 2!

Von 1903 bis 1995 lebte die Kämpferin nun im Ausland und weit davon entfernt, von der Mühsal und den Entbeh­rungen ihres Lebens auszuruhen, hält sie in England und Amerika zahlreiche Versammlungen ab, ruft, wo sie erscheint, stürmische Begeisterung hervor und gewinnt der russischen Revolution zahlreiche Freunde. 1995 nach Rußland zurück­gekehrt, stürzt sie sich kopfüber wieder in die Arbeit, agitiert und organisiert und hat das Glück, den Aufschwung der revo­lutionären Bewegung zu erleben. Von Azew verraten, wird sie 1997 in Simbirsk verhaftet, wohin sie zu einer Bauern­konferenz gefahren war. Man legt sie in Ketten und bringt sie unter starker militärischer Bewachung nach Petersburg . Anderthalb Jahre war sie nun tatsächlich von aller Welt abgeschnitten, und keine Kunde drang von ihr zu den Genossen. Als es endlich gelang, sie wiederzusehen, war sie körperlich sehr geschwächt, aber geistig frisch und voller Hoffnung. Sehr charakteristisch für ihr Wesen ist, wie sie die Nachricht von Azews Verräterrolle aufnahm, von der sie im Gefängnis er- r. Wohl war sie zuerst etwas betreten, aber nach kurzem chdenkcn sagte sie:Pah, wegen eines Lumpen wird man doch die Arbeit nicht aufgeben." Nach einer Haft von 28 Monaten wurde Katharina Bresch- kowskaja vor Gericht gestellt. Sie lehnte jegliches Verhör ab «nd erklärte:Solange ich frei war, habe ich meine Sache ohne euch getan. Tut ihr die eure aber ohne mich. Ich Will mich da nicht hineinmengen sie geht mich nichts an." Auf den Rat, ihre Prozeßakten durchzusehen und sich einen Verteidiger zu wählen, antwortete sie:Ich brauche mich nicht vorzubereiten und zu verteidigen. Mag sich doch der Staats­anwalt vorbereiten." Die Genossen schickten ihr trotz allem einen Verteidiger. DieGroßmutter" wollte jedoch selbst mit ihm nicht über ihre Sache reden.Was geht mich das Ge­richt an? Ich bin dieselbe geblieben, die ich 1878 war, und auch das Gericht ist dasselbe geblieben." Vergeblich drangen die Genossen in sie, sie sollte ihre Überführung aus der feuchten, mörderischen Festung in das Untersuchungsgefängnis bean­tragen.Was fällt dir ein?" meinte sie zu einem Freund. Mutest du mir zu, ich solle in einem Wagen mit dem Gen­darmen fahren?" Vor dem Gericht bekannte sich Katharina Breschkowskaja als Mitglied der sozialrevolutionären Partei. Auf die übliche Frage nach ihrem Beruf gab sie dem betreßten Ankläger die stolze Antwort:Womit ich mich beschäftige? Mit der Propaganda des revolutionären Sozialismus." Die zarischcn Nichter konn­ten und wollten die Greisin nicht freisprechen, die ihre er­bittertste Gegnerin war. Jedoch ein schwacher Abglanz von Katharina Breschkowskajas seelischer Größe muß in ihre ver­härteten Herzen gefallen sein. Sie verurteilten sie zu dem Mindestmaß der vom Gesetz vorgesehenen Strafe: zu lebens­länglicher Verschickung nach Sibirien . In Sibirien wurde dieGroßmutter" in eine ganz ent­legene Gegend verbannt und mit einem Heer von Spitzeln umgeben.Die Regierung hat die Zahl der mich bewachenden Spione vergrößert und bereits den Achtstundentag für sie ein­geführt," schrieb Katharina Breschkowskaja humorvoll in einem ihrer Briefe. Nur spärlich kamen Nachrichten von ihr, da der Postverkehr in der entlegenen Ansicdlung ganz unregelmäßig ist. Der Winter ist dort lang und hart und die Wege ver­dienen kaum diesen Namen. Im letzten Winter verbreitete sich die Kunde,Großnmtter" sei schwer krank. Vergeblich be­mühten sich amerikanische Freunde, die Überführung der leiden­den Greisin an einen Ort zu erreichen, wo die Lebensbedin­gungen für sie günstiger gewesen wären. Die Regierung ließ ihre Beute nicht aus den Klauen. DieGroßmutter" selbst dachte nicht daran, den Abend ihres kämpf- und sturmbewegten Lebens in einer sibirischen Hütte friedlich zu beschließen. Sie schmiedete Pläne, sie sann auf Flucht. Und richtig hieß es vor einigen Monaten, Katharina Breschkowskaja habe einen kühnen Fluchtversuch gemacht, der aber leider mißlungen sei. Der Plan war fein ausgedacht.Großmutter" war wie immer zum Mittagessen gegangen. Bei Anbruch der Dunkel­

heit kam ein Genosse, der Kleider von ihr trug. ES gelang ihm, unerkannt in das Haus zu schlüpfen, das Katharina be­wohnte. Hier legte er sich scheinbar krank ins Bett, während Großmutter" als Mann verkleidet, in der Gesellschaft eines Genossen in einem Schlitten das Weite suchte. Doch schon am nächsten Tage schöpfte ein Spitzel Verdacht, trat ins Haus und schlug Lärni, als er die falscheGroßmutter" in Gestalt eines politischen Verbannten entdeckte. Die Behörden setzten einen hohen Preis auf den greisen Kopf der flüchtenden Frau, ließen ein Heer von Spitzeln los und organisierten eine förm­liche Hetzjagd. Unweit von Jrkutsk fiel der Schlitten mit der Flüchtenden polizeilichen Spitzelblicken auf und mußte halten. Katharina Breschkowskaja wurde erkannt und von einerEhren- eskorte" von 59 Polizisten ins Jrkutsker Gefängnis eingeliefert, wo sie einem neuen Gericht und einer erneuten Verurteilung entgegensieht. Nach fünfmonatiger Gcfängnishaft soll Katharina Bresch­kowskaja unter starker militärischer Bedeckung auf dem Wege nach einem ganz entlegenen Verbannungsort sein: nach Nishni- Kolymsk. Das liegt beträchtlichaußerhalb der Welt", 3999 Werst von Jakutsk und 11999 Werst von Petersburg . Von dieser Stadt aus gelangt ein Brief erst im vierten Monat nach Nishni-Kolymsk, das durch unbewohnte Wüsten so gut wie abgeschnitten vom Verkehr ist. Auf dem Wege nach diesem Ort der Oual stößt man wochenlang auf kein menschliches Wesen. Im Sommer läuft man in der Gegend Gefahr, in Sümpfen zu versinken, im Winter zu erfrieren. Gerüchte wollen wissen, daß dieGroßmutter" zu Schiff nach Nishni-Kolymsk gebracht wird. Wenn es stimmt, daß sie dorthin verbannt sein soll, so ist sie für imnierbesorgt und aufgehoben". Unsterblich ist das Verdienst der vielen russischen Frauen, deren Kampf um Freiheit und Glück ihres Volkes der revo­lutionären Bewegung Rußlands Schwung und Glanz verliehen hat, jener Frauen, die heiter lächelnd für die heilige Bcfrci- ungssache in den Tod gingen. Doch nicht minder strahlend und unvergänglich ist der Ruhm der anderen, die wie Katha­rina Breschkowskaja für diese Sache zu leben wußten, als sie verloren schien, ist der Ruhm der Frauen, die ein Menschen­leben hindurch trotz Sibirien und Zwangsarbeit unerschütter­lich an die Revolution glaubten, keinen Augenblick an ihrem Sieg zweifelten und unberührt von der trostlosen Wirklichkeit den Blick fest und unverwandt auf daS hohe Ziel gerichtet hielten. Diese aufopferungsvolle Treue und dieser hinreißende Glaube haben Wunder gewirkt, sie haben Schlafende geweckt, Gleichgültige aufgerüttelt und den prometheusschen Funken in zahlreichen Menschenherzen zu begeisterten Flammen empor­schlagen lassen. Darum sind alle revolutionären Freiheits­kämpfer Rußlands einig in dem Wunsche, dieGroßmutter" möge den Tag erleben, da von den Zinnen des WinterpalasteS in Petersburg die rote Fahne siegreich weht. __ Edda Tenenbaum.

Die Arbeiterinnen in den Drechslereibetrieben. Der Deutsche Holzarbeiterverband hat jetzt das Ergebnis einer statistischen Erhebung veröffentlicht, welche die Betriebe umfaßt, die allein oder doch vorwiegend Drechflerarbeiten her­stellen. Neben den eigentlichen Holzdrechflereien kommen dabei in Betracht Betriebe, die Galanteriewaren, kleine Luxus­möbel, Portierenstangen und-Rosetten herstellen, dann solche für Holzspielwaren, wie Kreisel, Pistolen, Nadelbüchsen, Rouletten und Reiseandenken, ovale Bilderrahmen, Pinsel­stiele, Holzgriffe und-Hefte, Spulen für Garn, Tabaks­pfeifen, Treppengeländer, Federhalter aus Holz, Zellu­loid und Galalith, Artikel aus Horn und Bein, chirurgische und technische Artikel aus Hartgummi und schließlich Füll­federhalter aus dem gleichen Stoff. Außerdem arbeiten Drechfler in Tischlereien, in Stuhl- und in Holzwarenfabriken sowie in Bürsten- und Pinselfabriken, doch sind diese in die vorliegende Erhebung nicht einbezogen worden.