Nr. 21

Die Gleichheit

Die oben genannten Spezialbranchen sind nun zum Teil nur in einzelnen Bezirken vertreten, so die Spielwarenindustrie vorwiegend im Erzgebirge   und Thüringer Wald  , die Herstel lung von Pinselstielen und Federhaltern in der Gegend von Nürnberg  , die Anfertigung von Tabakspfeifen in Waltershausen  und den Dörfern am Inselsberg im Thüringer Wald  , die Füll­federhalterbranche in Heidelberg  , Bonn  , Hamburg   und Berlin  , die ausschließliche Herstellung der Treppengeländer in einem Betriebe fast nur in Berlin  . In diesen Gruppen sind also Be­triebe vereinigt, die in den Ansprüchen an das fachliche Können der Arbeiterschaft ebenso so unterschiedlich sind, als in der allgemeinen Lohnhöhe des Ortes, in dem sie ihren Sitz haben. Eine Branche, die von ihrer Arbeiterschaft mehr als das durchschnittliche Können des Berufes fordert, muß natürlich auch mit ihren Arbeitsbedingungen über den anderen stehen, während zum anderen Branchen, die in Bezirken mit allgemein elender Entlohnung und vorwiegend unorganisierter Arbeiter schaft ihren Sitz haben, leicht billige Arbeitskräfte bekommen. Und gerade die Produktionsstätten leicht transportabler Artikel mit geringen Qualitätsanforderungen suchen mit Vorliebe Ge­genden auf, in denen die Proletarier ihre Arbeitskraft noch nicht zu bewerten wissen. Für die Lohnhöhe in den Drechslerei betrieben ist aber noch ausschlaggebend, daß die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten dem eigentlichen Drechslereiberuf selbst wenig günstig war. Der dafür ausschlaggebende Bedarf gedrehter Möbelteile ist infolge des Wandels in der Stilrich tung ganz erheblich zurückgegangen.

So erklärt es sich denn, daß in diesem Beruf die Arbeits­verhältnisse im Gesamtdurchschnitt unter denen der meisten sonstigen Holzverarbeitenden Gewerbe stehen, aber auch inner­halb des Berufs recht unterschiedlich sind. So fanden sich noch Wochenarbeitszeiten von 66% Stunden in Viernau   im Thü­ ringer Wald  , 65 Stunden in einer Spulendreherei in Walden­ burg   in Schlesien, 63 und 65 Stunden in Deutschneudorf   an der sächsisch- böhmischen Grenze, und 63 Stunden in Drechs lereien für Hefte und Griffe in Gersfeld   im Nhöngebirge. Dem gegenüber arbeiteten die Berliner   Treppengeländerfabriken nur 51 Stunden in der Woche. Die durchschnittliche Arbeitszeit aller bei dieser Statistik Befragten betrug 56,3 Stunden in der Woche. Nicht minder unterschiedlich waren die festgestellten Löhne. Wie immer traf auch hier mangelhafte gewerkschaftliche Dr ganisation der Arbeiterschaft mit langer Arbeitszeit und schlech tem Lohn zusammen. Während die beteiligten Drechsler in der gut organisierten Füllfederhalterbranche es durchschnittlich auf 38 Mr. die Woche brachten, die Treppengeländermacher auf 34,35 Mr. und die Hartgummidrechsler auf rund 32 Mt., betrug der Durchschnittsverdienst der Spulendrechsler nur 21,14 Mr., der Pinselstieldreher gar nur 18,42 Mt. Ja, in den Drten Viernau  , Gebhardsdorf in Schlesien  , Bamberg  , Freyung   im Bayrischen Wald, Deutschneudorf   und Erbach   im Odenwald   verdienen die Arbeiter in den Drechslereien mur 14 bis 15 Mr. die Woche.

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hoher Prozentsatz Arbeiterinnen beschäftigt wird. Es waren derer allein 629 neben 4339 erwachsenen, 243 jugendlichen männlichen Arbeitern und 357 Lehrlingen. Unter diesen ins­gesamt 5568 Beschäftigten machten die Arbeiterinnen also 11,3 Prozent aus. Weibliche Arbeitskräfte werden dabei, mit Ausnahme der Treppengeländerbranche, in allen Drechsler­branchen beschäftigt, in der Federhalterbranche stellen sie sogar fast die Hälfte aller Beschäftigten dar. Von jenen 629 Arbeite­rinnen arbeiteten in dieser Branche 118, in Tabakpfeifenfabriken 142, in Holzdrechslereien 108, auf Holzhefte und Griffe 63, auf Spulen 46, in Hartgummidrechslereien 54, auf Füllfeder­halter 13, Spielwaren 29, Galanteriewaren 13, Horn und Bein 33, Bilderrahmen 7 und Pinselstiele 3. Dabei dürfte es sich natürlich vielfach um Nebenarbeiten, wie Beizen, Polieren, Bohren, Packen und dergleichen handeln.

Der durchschnittliche Wochenverdienst aller Arbeiterinnen betrug 11,09 Mr., er variiert aber fast noch stärker als bet den männlichen Arbeitern. Wurden doch in Deutschneudorf  Wochenverdienste von 3 Mt. und 3,50 Mt., aus Nürnberg  dagegen 7 Fälle mit Verdiensten von 20 bis 24 Mr. fest­gestellt. Insgesamt verdienten 32 Arbeiterinnen unter 6 Mt. und nur 66 über 15 Mk. die Woche. Von den einzelnen Gruppen wurde im Durchschnitt der beste Lohn in der Gummidrechslerei mit 14,15 Mr., der Federhalterbranche mit 13,45 Mk. und der Galanteriewarenherstellung mit 12 Mr. gezahlt, während Spulenarbeit nur 8,55 Mt. und Holzhefte 8,25 Mr. im Durchschnitt einbrachten. Daß die Arbeiterinnen der Federhalterfabriken an der oberen Verdienstgrenze mar­schieren, erklärt sich daraus, daß diese Betriebe in und um Nürnberg   liegen, wo die Arbeiterinnenlöhne infolge des größeren Einflusses der Organisationen etwas höher stehen. Das letztere trifft zum anderen auf die Betriebe der Hart­gummibearbeitung allgemein zu.

Von den beteiligten Orten stellte Nürnberg   mit 135 die größte Anzahl Arbeiterinnen, die sich dort auf die Feder­halter-, Pfeifen- und Spielwarenfabriken verteilen, Köln  hatte 53, von denen 50 in Tabakpfeifenfabriken beschäftigt waren. In Deutschneudorf   arbeiten 33 auf Spulen und 13 in sonstigen Drechslereibetrieben, Schweina   hat 23, Walters­ hausen   20 Arbeiterinnen in den Holztabakpfeifenfabriken be­schäftigt, Freyung   25 in Spulenfabriken und Leipzig   34 in den Hartgummi verarbeitenden Fabriken chirurgischer Be­darfsartikel.

Diese einzelnen Beispiele zeigen, wie die Arbeiterinnen bereits in Betriebsarten eingedrungen sind, die ehemals als Reservate der gelernten Arbeiter galten. Damit wächst aber auch der Einfluß der weiblichen Arbeitskraft auf die Lohn­und Arbeitsbedingungen. Der Lohn, der heute den Arbeite­rinnen für die gleiche Arbeit gezahlt wird, die noch vor kurzem von ihren männlichen Kollegen verrichtet wurde, reicht nicht aus, auch nur die allerbescheidensten Lebensbe­dürfnisse zu befriedigen. Wollen nun die Arbeiterinnen es vermeiden, zum eigenen Nachteil wie zum Schaden ihrer männlichen Angehörigen zum Lohndrücker zu werden, so müssen sie ebenso solidarisch zusammenstehen, wie es ihre Arbeitsbrüder schon überall und die Arbeitsschwestern vieler­orts tun. Für diese billigsten der billigen Arbeitskräfte gibt es kaum noch eine Unterbietung. fk.

Sind schon die Löhne der erwachsenen männlichen Arbeiter so niedrig, so stehen die der Arbeiterinnen noch weit tiefer, fehlt doch der Mehrzahl derselben leider immer noch jeder organisatorische Zusammenhalt, der ihrer Arbeitskraft erst einen Preis auf dem Markt verschaffen könnte. Anstatt einen entsprechenden Lohn zu fordern, sind die meisten Arbeiterinnen mit dem zufrieden, was ihnen der Arbeitgeber bei der Ein­stellung bietet. Da sie in der Regel von Türe zu Türe nach Arbeit fragen gehen und einzeln darüber verhandeln, wissen Zwei Arbeiterinnenstreiks im Ausland. sie meist gar nicht einmal, welcher Lohnsatz in der betreffen­den Branche schon gezahlt wird. Das alles könnte anders sein, wenn auch die Arbeiterinnen sämtlich den geringen Gewerk­schaftsbeitrag auf sich nehmen würden und damit ständige Fühlung mit den Arbeitsbrüdern und-schwestern der anderen Betriebe hätten durch die Organisation. So bringen die männ lichen Arbeiter ihren Lohn hoch, so müßte es auch den weit weniger unter dem überangebot leidenden weiblichen gelingen. Die Statistik des Holzarbeiterverbandes hat nun ergeben, baß in den erfaßten Drechslereibetrieben ein verhältnismäßig

1. Ein Streit von Textilarbeiterinnen in Holland  . Charakteristische Erscheinungen in der kapitalistischen   Arbeits­welt sind international. Eine solche internationale Erscheinung ist die Zunahme der Frauenarbeit auf allen Gebieten, ins­besondere in der Industrie. Sie ist auch in Holland   zu be­obachten. Im Jahre 1899 waren dort 433000 Frauen beruf­lich tätig, 1909 dagegen 540000, was einer Zunahme von beinahe 25 Prozent gleichkommt. Seit 1909 hat die Zahl der berufstätigen Frauen stetig weiter zugenommen. Die Zu­