Nr. 21
Die Gleichheit
Um Mitternacht, als alles versammelt ist, wird der hochragende Holzstoß entzündet. Ein weiter Kreis ist um ihn gezogen, und in Stummer Spannung schauen viele Tausende von Augenpaaren, wie das trockene Reisig langsam zu glimmen beginnt, wie blauzuckende Flämmchen von Zweig zu Zweig hinüberspringen, bis plöglich eine gewaltige Feuersäule hoch emporschlägt, gleichsam aus dem Innern der Erde hervorwachsend, und die Scharen ringsum mit taghellem Schein übergießend. Der junge Rezitator Fuhrmann beginnt mit weithin schallender Stimme Lessens herrlichen Prolog„ Zur Sonnwendfeier" zu sprechen:
Empor zum Licht! Des Jahres längster Tag Versant und schied. Wir stehen an der Wende: Bon jeder Höhe und aus jedem Hag
Glühn grell und rot Johannisfeuerbrände.
Bald hebt der neue Tag sein schimmernd Haupt,
Die Dämmrung weicht, vom Speer des Lichts getroffen. Heil jedem drum, der an die Sonne glaubt! Sie bringt den Sieg, auf den wir alle hoffen! Männerchöre folgen, deren Gesang angesichts des Todernden Feuers bon feierlicher Wirkung ist. Genosse Breitscheid tritt nunmehr in ben Feuerkreis. Er erzählt der aufhorchenden Jugend von einem anderen Feuer, das entzündet wurde von anderen Händen: bei den Bartburgfest in der Nacht vom 17. zum 18. Oftober 1817. Dort pflanzten deutsche Studenten zum erstenmal die Fahne Schwarz- RotGold als Symbol der deutschen Freiheit und Einheit auf und übergaben den lodernden Flammen Schriften, die die Freiheit knebeln wollten. Zuletzt warfen sie noch einen Zopf, eine preußische Schnür brust, einen Korporalstod in das Feuer, als Beichen, daß die Zeit ber Knechtschaft vorüber, daß das Morgenrot der Freiheit angebrochen fet. Und Genosse Breitscheid schildert weiter, wie das, was am 18. Dttober 1817 begonnen, ein Jahr später fortgesetzt wurde mit der Begründung der Deutschen Burschenschaften" mit dem Ziel der Einheit, Freiheit und Gleichheit aller Burschenschafter, und wie dies alles schon im September 1819 ein klägliches Ende fand. Erst die Arbeiterklasse und ihre Jugend habe das schwarz- rot- goldene Erbe angetreten. An die Stelle der akademischen Jugend sei heute die Broletarierjugend getreten, der die Aufgabe zufalle, die rote Fahne boranzutragen zum Siege. Die verhaltene Erregung löste sich in einem nicht endenwollenden Beifallssturm, als Genosse Breitscheid mit den Worten schloß:
Heilige Glut,
Rufe die Jugend zusammen, Daß bei den lodernden Flammen Wachse der Mut.
Auf allen Höhen
Leuchte, du flammendes Zeichen, Daß alle Feinde erbleichen, Wenn sie dich sehen!
Nun gab's ein„ Lustiges Sonnenwendtreiben". Spiel und Gesang scholl aus vielen Gruppen; Rucksäcke wurden ausgepackt, Decken ausgebreitet, mitgebrachter Proviant verzehrt; manche rüsteten auch zum Aufbruch, um an einen der nahegelegenen schönen Seen zu gelangen und dort den Sonntag zu verbringen. Als die blutrot aufsteigende Sonne das letzte hinsterbende Glühen des Sonnwendfeuers beleuch tete, da tönte aus einer Gruppe feierlich ernst der Gesang der Internationale:
Schon erglühen des Sieges Signale,
Ein letzter Stampf muß sein.
Die Internationale
Wird die Welt befrein.
mw.
Ferienwanderungen der Arbeiterkinder von Groß- Stettin. Bum erstenmal hat die Kinderschutzkommission von Groß- Stettin im bergangenen Sommer Spaziergänge für Arbeiterkinder veranstaltet. War die Beteiligung daran auch keine übergroße, so konnten wir doch mit dem Erfolg zufrieden sein. Aus dumpfen Stuben und engen Höfen führten wir die fleine Schar hinaus ins Freie. Während der Ferien veranstaltete die Kommission für die schulpflichtigen Kinder Wanderungen, die solchen allgemeinen Beifall fanden, daß sie auch noch nach den Ferien fortgesetzt wurden, bis die kürzer werdenden Tage ihnen ein Ziel setzten. Im ganzen wurden elf Wanderungen unternommen, an denen sich insgesamt gegen 4000 Kinder beteiligten, und zwar an einzelnen Wanderungen 300, 400, 500, 600 und mehr. Die Kinder sammelten sich an sieben verschiedenen Plätzen, von wo die Leiterinnen sie hinausführten, dem Ziele zu. Hier wurden die Kinder zunächst mit Staffee befvirtet, dann ging es ans Spielen, bis unter fröhlichem Gesang der Heimweg erfolgte. Die lustigen Scharen marschierten ihren Sammelplätzen zu, wo sie sich auflösten; fröhlich fehrten die Kinder in ihr Heim zurück, schöner Eindrücke voll. Die Kommission ist bei ihren Veranstaltungen von den Genossinnen sobiel als möglich unterstützt worden. Außer den regelmäßigen Wande
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rungen hat unter Führung eines jugendlichen Genossen ein Ausflug stattgefunden, an dem 40 Kinder teilnahmen. Daß die Kommission den Kindern so viel Freude bereiten konnte, verdankt sie der or ganisierten Arbeiterschaft Groß- Stettins. Die Parteivereine Stettin und Randow- Greifenhagen wie das Gewerkschaftskartell hatten ihr 100 Mark zur Verfügung gestellt. Wir hoffen, daß auch in der bevorstehenden Ferienzeit unsere Genossinnen mit dem Eifer und dem liebevollen Verständnis ihre Pflicht an den Kindern der Arbeiter. flasse erfüllen, wie sie das vergangenes Jahr getan haben. Wie wichtig diese Betätigung ist, zu der ihr mütterliches Empfinden treibt, das wird durch die Bemühungen der Gegner unterstrichen, durch " Brot und Spiele" die Arbeiterjugend einzufangen. Berta Buchelt.
Die freie Jugendbewegung in Nürnberg hat erst eine recht gute Auswärtsbewegung zu verzeichnen, seitdem das eigene Jugendheim besteht. Ende des Jahres 1908 sette die Jugendbewegung ein und hatte in der ersten Zeit auch einen flotten Zulauf, dann aber flaute sie erheblich ab, und erst seit 1911, mit der Gründung des Jugendheims, ist der Aufschwung ein ständiger. Die Frequenzziffer des Jahres 1911 ist noch sehr bescheiden, nicht mehr als 4321 männ liche und weibliche Jugendliche nahmen an all den Veranstaltungen im Jugendheim, wie auch den Ausflügen usw. teil. Die Arbeiter jugend" zählt nur 150 Abonnenten. Für das Jahr 1912 war schon eine Besucherzahl von 12624 zu buchen, das Jugendorgan hatte 400 Abonnenten. 1913 nahmen im ganzen 17090 Jugendliche, dar unter 2412 Mädchen, an den Veranstaltungen des Jugendheims teil und die„ Arbeiter- Jugend" hatte rund 800 Abonnenten. Es ist sicher, daß die Jugendbewegung in den letzten Jahren einen noch größeren Aufschwung genommen hätte, wenn mehr als ein Jugendheim vor handen wäre, oder wenn den Jugendlichen mehr Räumlichkeiten zur Verfügung stehen würden. Aus finanziellen Gründen mußte jedoch davon Abstand genommen werden, in dieser Hinsicht mehr zu tun. Mit den 2000 Mt., die dem Jugendausschuß jährlich zur Verfügung stehen, muß sparsam gewirtschaftet werden, geht doch die Hälfte der Zuwendung allein für die Jahresmiete und Instandhaltung des einen Jugendheims auf. Trotz der bescheidenen Summe von 1000 Mt., die für alles andere verausgabt werden konnte, wurde eine rege Agitation betrieben, und die Bildungsbestrebungen wurden möglichst gefördert. 10000 Flugblätter machten die Schulentlassenen auf die freie Jugendbewegung aufmerksam; eine Frühlings- und Schulent lassungsfeier, eine Weihnachtsfeier und der erste mittelfränkische Jugendtag hatten guten Erfolg.
Die 52 Vortragsabende und die 24 literarischen Abende waren durchweg stark besucht, auch von Mädchen. Es wurden an natur wissenschaftlichen Stoffen unter anderen behandelt: Erdgeschichte und Sternenkunde; mit Hilfe des Lichtbildes ließ man die Zuhörerschaft durch die Fränkische Schweiz wandern. Die Kunstgeschichtlichen Lichtbildervorträge führten vom Altertum über das Mittelalter bis zur Neuzeit, Nürnberg als Kunststadt, Maler wie Arnold Böcklin , Anselm Feuerbach und Schwind wurden den Jugendlichen nahegebracht. Musikalische Abende und Vorträge über das deutsche Volkslied, über Haydn , Schubert, Schumann, Beethoven und Sebastian Bach wurden mit großer Aufmerksamkeit entgegengenommen. Auf die Frage, was fich die Jugend bei der ernsten Musik denke, hieß es:„ Es sei, als flopfe das Schicksal an das Tor." Die Literaturgeschichte umfaßte die Klassiker, Freiheitsdichter und moderne Dichtungen. Geschichte, Wirtschaftslehre, Sozialpolitik und Gesundheitspflege wurden in Vorträgen behandelt. Für Mädchen fanden besondere Vorträge statt mit dem Thema„ Körperkulturfragen". Der Arbeiterbewegung, der Jugendbewegung und Fragen allgemeiner Natur wurden Vorträge gewidmet. Auch Führungen durch Museen und städtische Anstalten fanden statt, und die lerndurstige Jugend erschien dabei recht zahlreich. Im Jugendheim konnten sich alle Besucher nach ihrer individuelle: t Veranlagung beschäftigen, sei es mit Spiel, Handarbeit, Musik oder mit Lesen von Jugendschriften und guten Büchern. Eine Jugendbibliothek mit 250 Bänden gewährt Unterhaltung und Belehrung. Die Geselligkeit wurde nicht nur im Jugendheim, sondern auch durch Wanderungen und Spiele im Freien gepflegt. Man trachtete, den Sinn für Schönheit und Solidarität zu entwickeln. Ein großer und guter Streis von Mitarbeitern stand dem Jugendausschuß hilfreich zur Seite, und das Vorwärtsschreiten der Jugendbewegung dürfte Zeugnis ablegen, daß die Arbeit auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Die jugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen in noch größerer Zahl der Jugendbewegung zuzuführen, wird die nächste Aufgabe des Jugendausschusses sein. Sie kann erfüllt werden, wenn die organisierte Arbeiterschaft Nürnbergs die Mittel für die Kulturarbeit der freien Jugendbewegung etwas reichlicher fließen läßt. Diese Aufwendungen tragen hundertfältig Frucht, denn wer die Jugend hat, der hat die Zukunft. Helene Grünberg .